Die liberale jüdische Gemeinde in München bekommt eine eigene Synagoge: Ein Haus wie ein Kristall

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Noch ist die erst 1995 gegründete liberale Gemeinde Beth Schalom in gemieteten Räumen in einem Münchner Industriegebiet untergebracht. Doch der Architekt Daniel Libeskind hat bereits ein eigenes Gotteshaus entworfen, das zwischen Isar und Englischem Garten realisiert werden soll…

Von Walter Kittel (Hören)

Der Synagogenentwurf von Daniel Libeskind wirkt auf den ersten Blick wie ein Kristall, der in sich gebrochen und verschachtelt ist. Auch der Innenraum ist völlig asymmetrisch konstruiert und von vielen schrägen, spitz zulaufenden Wänden und Fenstern durchzogen. Der flirrende, lebendige Eindruck, den die Synagoge in den Zeichnungen und im Modell hinterlässt, symbolisiert sehr gut den Aufbruch der noch kleinen, jüdischen Gemeinde Beth Shalom. Tom Kucera ist Rabbiner der liberalen Gemeinde, die in München derzeit etwa 300 Mitglieder hat.

„Wir wachsen von einem Jahr zu einem anderen. Und wir sehnen uns danach, dass wir auch ein Zuhause haben, dass wir sagen können: Das ist unser Haus, da wohnen wir. Und da möchten wir auch für die weiteren Jahrzehnte bleiben, um weiter zu wachsen. Deswegen ist es nicht nur Bedarf nach einer besseren Infrastruktur, sondern die Sehnsucht nach einem Ort, das als unser Zuhause funktionieren wird.“

Noch ist die erst 1995 gegründete liberale Gemeinde Beth Schalom in gemieteten Räumen untergebracht – in einem Münchner Industriegebiet. Daniel Liebeskind erinnerte bei der Vorstellung seines Entwurfs an die bedeutende Tradition liberaler Gemeinden in Deutschland. Auch die 1938 von den Nazis zerstörte Münchner Hauptsynagoge war eine Reformsynagoge liberal orientierter Juden.

„Die Traditionen der liberalen jüdischen Gemeinde in München sind von großer Bedeutung. Denn vor etwa 200 Jahren war die Geburtsstunde des liberalen Judentums hier in Deutschland. Liberales Judentum erlebte damals eine fantastische Resonanz und nach der Schoah, den Verwüstungen und Morden, leben auch heute wieder liberale Juden in Deutschland und in München. Es gibt Familien und Menschen, die damit eine Art Kontinuität herstellen.“

Dem Wunsch nach Kontinuität könnte mit dem Bau der Synagoge auch architektonisch ein markanter Ausdruck verliehen werden. Daniel Libeskind stellte den Entwurf im Jüdischen Museum vor, in direkter Nachbarschaft zu der erst 2006 eröffneten orthodoxen Ohel Jakob Synagoge: ein quaderförmiger Bau mit einer markanten Fassade aus Naturstein.

„Natürlich wird unsere Synagoge ganz anders aussehen. Sie wirkt viel leichter. Es geht dabei nicht so sehr um die vielleicht eher antike Symbolik der großen Mauern und soliden Steine. Wir liberale Juden haben eine eher zeitgenössische Auffassung, was die Liturgie und die Bedürfnisse der Mitglieder unserer Gemeinde betrifft.“
Auf die Architektur bezogen bedeutet das: klare Vorgaben oder Vorschriften, denen sich Daniel Libeskind verpflichtet fühlen musste, gab es nicht. Er konnte bei den Entwürfen der Außenhülle und des Innenraums seinen Assoziationen weitgehend frei folgen. Bereits 2009 besuchte er das zwischen Isar und Englischem Garten gelegene Grundstück, wo das Gotteshaus entstehen soll.

„Ich dachte sofort über die Funken des Lichts nach, die da glitzerten, selbst am Abend. Denn dort sind Funken von der Isar. Lichtfunken. Funken der Spiegelungen. Funken in den Sternen, Funken in den Augen der Menschen, auch Funken der Erinnerung. Und genau das ist es, glaube ich, was das Gebäude ausmacht. Ich habe es nicht von außen gebaut, nicht als ein repräsentatives Gebäude, ein Mahnmal, sondern als ein Gebäude von Innen heraus.“

Für etwa 300 Menschen wurde der von vielen spitz und schräg zulaufenden Wänden und Öffnungen gegliederte Innenraum der Synagoge konzipiert. Die Bimah, das Torapult, wurde fast in die Mitte des Raums gerückt.

„Die Geschichte der Bimah in der Geschichte der jüdischen Architektur ist sehr komplex. Sie begann mit der Ausrichtung der Bimah nach Osten und einer speziellen Bedeutung des östlichen Lichts. Aber das hat sich verändert, besonders in den progressiven Richtungen des Judentums. Es gibt also einen Unterschied zwischen orthodoxen Vorstellungen, wie die Bimah auszusehen hat und wo sie steht und einem eher zeitgenössischen Verständnis der Bimah.
Wie Sie in dem Plan sehen können, kommt das Licht aus dem Osten. Aber es funkelt auch aus anderen Richtungen, wodurch eine viel komplexere Lesart entsteht als die Traditionelle mit ihrer Ausrichtung nach Jerusalem.“

Um die Synagoge zu realisieren, werden etwa 10 Millionen Euro benötigt. Die neu gegründete Stiftung Synagoge Beth Shalom wirbt deshalb um Spenden. Auch das Grundstück gehört noch nicht der Stiftung, sondern der Stadt München, die auf einen klaren Finanzierungsplan besteht, bevor weiter über das Projekt entschieden werden soll.

Der Wunsch der liberalen Gemeinde nach einem eigenen Gotteshaus ist jedoch allzu verständlich. Schließlich seien orthodoxes und liberales Judentum – ähnlich wie katholisches und evangelisches Christentum – in vieler Hinsicht nicht vereinbar, so die Gemeindemitglieder. Vor allem die emanzipiertere Stellung der Frau im liberalen Judentum spiele eine wichtige Rolle. So beten und sitzen in den Synagogen liberaler Gemeinden Frauen und Männer nicht getrennt und mehr oder weniger abgeschirmt voneinander, so Vorstands- und Gemeindemitglied Jehudit de Toledo-Gruber.

„Wir können gleichberechtigt mit den Männern an der Thora Rolle stehen. Wir können Rabbinerinnen werden, wenn wir das möchten. Das finde ich sehr wichtig. Wir können im 21. Jahrhundert nicht so tun, als würde man vor vielen tausend Jahren in der Wüste leben. Man muss sich den heutigen Zeiten etwas anpassen.“

Deutschlandradio