Diese pazifistischen Deutschen sind naiv

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Erst stimmte Deutschland gegen einen Krieg gegen Libyen und erhielt hohes Lob von Muammar Ghaddafi. Darüber freute sich Berlin gewiss sehr. Merkel und Westerwelle erhielten dann doch heftige Schelte von ihren Volksgenossen, weil Deutschland nun diplomatisch isoliert sei und gemeinsame Sache mit Russland und China gegen die übrigen Europäer und die USA gemacht habe. Doch das wird in Kommentaren nun zurechtgerückt. Der Tenor: Die Odyssy dawn, wie die amerikanische Armee die Aktion nennt, übersetzt „Irrweg im Morgengrauen“, oder auch „Militäraktion ungewiss“, sei ungeplant, ohne klares Ziel, also ohne gewissen Ausgang…

Ein Kommentar von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 20. März 2011

Irgendwie haben diese Kommentatoren  ein sehr kurzes Gedächtnis, oder anders ausgedrückt: leiden an Alzheimer.

Erstens hatten die kriegsführenden Mächte Kanada, Frankreich, England und die USA mehrere Wochen Zeit, sich eine militärische Strategie gegen Ghadafi auszudenken. Der Militärschlag gegen Libyen kam nicht über Nacht. Es ist anzunehmen, dass der Pentagon CNN und Al Dschesira nicht von den Angriffsplänen informierte, um diese brühwarm an Ghaddafi weiterzuleiten.

Wer ein klein wenig von Krieg und Militär versteht, sollte wissen, dass zu einem erfolgreichen Militärschlag Elemente gehören wie Überraschungseffekt und der Versuch, den Feind nicht im Voraus über die Ziele zu informieren: damit der Feind keine Gegenwehr organisieren kann oder sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann.

Niemand kann im Voraus sagen, wie ein Krieg endet, genauso wie Frau Merkel oder Herr Westerwelle offenbar nicht berechnen können, welche Folgen ihre Beschlüsse für ihre Popularitätskurven oder für den Ausgang bei Lokalwahlen in teutschen Provinzen haben.

Angeblich gibt es Rezepte, einen Bestseller zu schreiben oder Millionär zu werden. Falls es das auch für Politiker gäbe, könnte man Parteien und ihre Politiker abschaffen und auf Wahlen verzichten.

Gleiches gilt für Krieg. Hitler hatte sich sechs Jahre lang erfolgreich in der ganzen Welt geschlagen, bis schließlich sowjetische Soldaten den Führerbunker umzingelten und Deutschland in Trümmern lag. Die Japaner wurden erst besiegt, als die Amerikaner ihre „ultimative Waffe“ über Hiroschima und Nagasaki ausprobiert hatten. Wer hätte gedacht, dass ein paar Partisanen des Vietkong die stärkste Supermacht der Welt besiegen könnten. Der ägyptische Präsident Nasser hätte wohl kaum getönt, die „Juden ins Meer“ werfen zu wollen, die Meerenge von Tiran zu schließen und die UNO-Beobachter aus dem Sinai abziehen zu lassen, wenn er geahnt hätte, 1967 von Israel in sechs Tagen besiegt zu werden.

Das sind nur Beispiele. Die Liste ist weit länger. Tatsächlich kann es passieren, dass sich der Westen in Libyen die Nase blutig schlägt. Genauso könnte aber dem blutrünstigen Regime von Ghaddafi der Garaus gemacht werden. Jeder Krieg ist ein gefährliches blutiges Glückspiel. Auch im Falle von Libyen muss geduldig abgewartet werden, wie dieses Abenteuer endet. Die Alliierten mit Ausnahme Deutschlands sind wenigstens in einem Punkt konsequent. Wenn sie der Welt Menschenrechte und Abscheu gegen Genozid lehren, dürfen sie nicht untätig zuschauen, wenn Ghaddafi einen Massenmord begeht. Russland und China sind da skrupelloser. Deshalb kann von ihnen nicht erwartet werden, sich der Koalition gegen Libyen anzuschließen. Aber Deutschland? Allein diese Frage in den Raum zu stellen, ist peinlich.

Deutschland ist in jedem Fall der erste Verlierer dieses Krieges. Sollte Ghaddafi die Oberhand behalten und „siegen“, wäre Deutschland bei seinen bisherigen Verbündeten USA, Frankreich, GB und USA disqualifiziert, weil „mitschuldig“ an ihrer Niederlage. Sollte Ghaddafi abgeschafft und gestürzt werden, so wie Obama es „jetzt“ im Falle des blutrünstigen ägyptischen Präsidenten Mubarak gefordert hat, der 30 Jahre lang der engste und treueste Verbündete der Amerikaner war, würde Deutschland genauso in Erklärungsnot geraten. Ghaddafi schimpfte zwar nur die Alliierten „Hitler“ und nicht das befreundete Deutschland. Aber der Westen, mit Ausnahme Deutschlands, beschloss den Feldzug gegen Libyen, weil er dort einen nicht akzeptablen Genozid am eigenen Volk entdeckte, was Deutschland offenbar nicht weiter stört. Da werden sich manche Leute fragen, ob es wirklich ein „anderes Deutschland“ nach 1945 gibt und ob es Deutschland wirklich verdient hat, nach Auschwitz, Holocaust und Weltkrieg mit 50 Millionen Toten wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen worden zu sein.

Die Zeiten, wo sich Deutschland als besetztes Land politischer Parteinahme enthalten durfte und als neutraler Wirtschaftsriese eine goldene Nase verdienen konnte, sind vorbei, seitdem Deutschland im Sicherheitsrat der UNO sitzt. Jetzt muss Berlin Farbe bekennen und kann sich nicht mehr einfach einer Parteinahme enthalten. Dazu gehört auch die Bereitschaft, den Kopf hinzuhalten, mit Krieg zu antworten, wenn andere Länder mit kriegerischen Maßnahmen die eigenen Interessen oder Werte verletzen.

Der Welt mit erhobenem Zeigefinger moralische Vorhaltungen zu machen, dann aber kleinlaut wegzuschauen, wenn ein übler Diktator sein eigenes Volk massakriert, ist ein Widerspruch, den der Rest der Welt an erster Stelle bei Deutschland nicht akzeptieren kann.  Deutschland darf nicht vergessen, in aller Welt bis heute das schlimmste Symbol totalster Unmoral zu sein. Auch das verpflichtet.

(C) Ulrich W. Sahm / haGalil.com

5 Kommentare

  1. Es wurde Zeit, diesem großmäuligen Irren zu Fall zu bringen! Die Art, wie die westlichen Politiker (insb. Schröder, Sarkozy und Blair) in den letzten Jahren Gaddafi den Hof gemacht haben, stellte in meinen Augen einen moralischen Suizid Europas dar. Man war sich nicht einmal zu schade, diesem Massenmörder Nukleartechnologie zur Verfügung zu stellen – mit welchem moralischen Recht will man dann noch Iran davon abhalten wollen, an diese Technologie zu gelangen? Es war, nach Ruanda, Bosnien und Sudan, ein weiterer Moment in der Geschichte, in dem das Abendland seinen Anspruch auf moralische Ãœberlegenheit und Führung in der Welt verspielt hat.

    Nun empfinde ich die feige Art, wie die deutsche Regierung sich aktuell aus der Affäre gezogen hat, als weitere tiefe Schande für Deutschland.

    Zuerst ermutigen sie die Libyer, sich gegen ihren Diktator zu erheben, und sichern ihnen Unterstützung zu. Und als die Libyer genau das tun, sagen die Deutschen plötzlich: „Jetzt seht zu, wie ihr alleine klarkommt!“
    Das ist zutiefst unmoralisch!

    In meinen Augen haben Merkel und Westerwelle einen verhängnisvollen Fehler begangen, der Deutschland innerhalb der NATO isolieren wird – zurecht. Und meiner Meinung nach hat die deutsche Politik damit endgültig jedes Recht verwirkt, sich auf internationaler Bühne jemals wieder als Hüterin der Menschenrechte aufspielen zu dürfen.

    Freiheitskämpfern nur dann zuzujubeln, wenn es nichts kostet, wie in Tunesien und Ägypten, ist verlogen und feige!

    Die Merkel-Regierung hat mit diesem ehrlosen Akt jeden Rest von Anstand verloren. Sie wollten keine Partei ergreifen – sie haben damit Partei für einen Massenmörder ergriffen.

  2. Was soll Deutschland mitmachen bei einem Krieg, zu dem es keine Veranlassung sieht? Außerdem beteiligt es sich, wenn auch indirekt, durch Erlaubnis für die US-Jets, deutsches Gebiet zu überfliegen bzw, von ihrem Flugplatz hier mit Ziel Libyen zu starten. Wie auch beim Irak-Krieg usw. Dazu beobachten wahrscheinlich ab Morgen deutsche AWACS den Luftraum über Libyen. Machen wir uns doch nichts vor. Die Gründe, Ghadafi eins aufs Haupt zu geben, liegen mitnichten oder kaum in der Sorge um Menschenleben. Es geht um anderes, um die
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    Stunde der Rache
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    Die Gelegenheit ist günstig, Ghadafi wie schon zuvor Saddam, der es fast genauso trieb, endlich dafür zu bestrafen, dass sie es sich unerhörterweise erlaubten, die Erdölanlagen ihrer Länder zu verstaatlichen. Dafür, dass Ghadafi sich gut steht mit einem, der die Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns unterband: Chavez. Und so weiter.
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    OIL RULES THE WORLD !
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    Die Sündenliste seiner gegen die postkolonialen Hegemoniebestrebungen des Westens gerichteten Aktionen ist lang. (Ob Lockerbie, wozu er sich aus taktischen Gründen bekannte, wirklich mit Libyen irgendetwas zu tun hatte, ist umstritten). Er schaffte es, den Lebensstandard zu einem der höchsten in ganz Afrika zu pushen, die Gesundheitsfürsorge ist kostenlos, Rente gibts für alle aus dem Erwerbsleben Ausscheidenden, Schulbesuch bis 15 Jahre ist Pflicht, mehr Menschen als anderswo in Nordafrika können lesen und schreiben – und das alles ohne die Hilfe der USA und der EU!
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    Dann unterstützte er auch noch Befreiungsbewegungen z.T. dubioser Zielsetzung, machte sich dadurch vielfach, übrigens auch bei Israel, unbeliebt und schloss umfangreiche Verträge mit der SU. Das sind Zustände beinahe wie in Kuba. Unverzeihbar. Außerdem fiel einer seiner Söhne durch Misshandlung von Bediensteten in der Schweiz auf. Der Ghadafi-Clan zählt nicht zu den Leuten, die man unbedingt als Freunde haben möchte, es sei denn, er sponsert einem z.B. den Eishockeyverein.
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    Aber die Stunde der Bestrafung ist gekommen, Jetzt gibts die Quittung. Dabei kann man praktischerweise gleich neue Waffensysteme testen wie in einer überdimensionalen Schießbude gegen veraltete sowjetische vom vergangenen Jahrhundert und ein paar neuere der eigenen Sorte. Jeder, der mitmacht dabei und Kampfjets hat, kommt mal an die Reihe, sogar Qatar mit vier Stück. Weidmanns Heil!

    Wer aber die lieben Rebellen eigentlich sind, ist bislang ziemlich mysteriös. Eine Gruppe Geistlicher verkündete eine Fatwa gegen die Herrschenden. Die Aufständischen schwenken die Fahne des früheren Königs, sie sind, wenn auch nicht sonderlich gut, schwer bewaffnet, sie operieren unter Deckung in großen Städten, sie zerhackten – so stand zu lesen – Schwarzafrikaner, die ungeschickterweise nicht ihrer Hautfarbe waren. Auf ihren Demos sind, ganz im Gegensatz zu Tunesien und Ägypten, so gut wie keine Frauen zu sehen – wer sind sie? Wer aber schlau ist, schlägt sich rechtzeitig auf ihre Seite, weil Ghadafi sich gegen die überlegenen mit UN-Segen operierenden Aggressoren nicht wird halten können.
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    Was aber hat das mit einem Weg zu Demokratie zu tun, wie in Ägypten und Tunesien, den so viele dort mit friedlichen Mitteln zu erreichen versuchen?
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    efem

  3. Als in Frankreich lebender Deutscher hat mich die deutsche Haltung schockiert.
     
    Ich bin kein Freund der Regierung Sarkozy und auch nicht des Aussenministers Joppé (auch wenn er im Vergleich zu seiner durch und durch korrupten und inkompetenten Vorgängerin wirklich eine Leuchte ist) aber hier war das französische Vorgehen beispielhaft.
     
    Sahms Artikel ist hervorragend, womit ich nicht einverstanden bin, ist sein Titel, es sei denn, er ist ironisch gemeint. Denn hier handelt es sich nicht um Naivität, sondern zynisches Kalkül.
     
    Deutschland lehnte es ab, mit Frankreich an einem Strang zu ziehen, mit der Begründung, es selbst hätte (im Gegensatz zu frankreich) keine Zivilopfer lybischen Terrorismus zu bedauern. Atemberaubend.
     
    Frankreich steht in erster Linie môglicher terroristischer Anschläge durch Lybien als Racheakt.
     
    Sollte Deutschland sich auf diese Art und Weise vor môglichen Terroranschlägen schützen wollen?
     
    Ich befürchte es.
     

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