Kurzgeschichte aus dem Hochsicherheitsgefängnis

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Der international renommierte deutsch-türkische Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist Dogan Akhanli wird seit August diesen Jahres in der Türkei in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten. „Offiziell“ wirft man dem deutschen Schriftsteller die Beteiligung an einem Raubüberfall vor – ein absurder, leicht widerlegbarer Vorwurf…

Von Uri Degania

Der eigentliche Grund seiner Inhaftierung ist sein Buch über den Völkermord an den Armeniern, wie auch sein vieljähriges, überzeugendes Engagement gegen Antisemitismus. Dies haben ihm gewisse Kreise der türkischen Justiz nicht verziehen. Ihm droht eine lebenslängliche Gefängnishaft. Im Hochsicherheitsgefängnis hat Dogan Akhanli soeben eine Kurzgeschichte verfasst, die der WDR nun veröffentlicht hat.

Diese mit “Sibirien” betitelte leichte, satirische Kurzgeschichte hat sein türkischer Anwalt dem WDR zukommen lassen. Zuvor hatte Dogan Akhanli bereits, anlässlich der beiden großen Kölner Solidaritätsveranstaltungen für ihn, satirisch angehauchte Großbotschaften verfasst, die auch verlesen wurden. Nun tritt uns Dogan Akhanli in seinem Brief aus der türkischen Haftanstalt erneut als Schriftsteller gegenüber – eine bewegende Begegnung.

Anlässlich des morgigen „Internationalen Tages der Autoren hinter Gittern“ hat WDR 5 für seine Sendung SpielArt (So., 14.11.2010, 16.05 – 17.55 Uhr) exklusiv diese Kurzgeschichte vertont; sie ist soeben auch auf der Website von WDR 5 veröffentlicht worden.

Diese von Hülya Engin übersetzte Erzählung beginnt so:

„Endlich bin ich in Istanbul, bin aus dem Flieger ausgestiegen und gehe zur Passkontrolle. Ein wenig aufgeregt bin ich auch. Beinahe 20 Jahre ist es her, dass ich zuletzt hier war. Ich verlangsame meine Schritte, um nicht als erster an der Kontrolle zu sein. Mein Personalausweis ist in der Tasche. Vorzeigbereit.
„Doğan Bey, haben Sie auch Ihren türkischen Ausweis dabei?“ fragt mich der Beamte, der meinen Pass am Computer überprüft. „Nein. Ich bin deutscher Staatsbürger. Aus der türkischen Staatsbürgerschaft hat man mich rausgeworfen.
„Nein, efendim. Man hat Sie sicher nicht rausgeworfen. So etwas gibt es nicht. Man wird nicht aus der Staatsbürgerschaft rausgeworfen.“
„Ich schon. Offiziell. Mit dem Urteil des Ministerrats. Vor 12 Jahren.“
„Unmöglich. Das nennt man nicht Rauswurf, sondern Verlust. Wie beim Geld. Schmeißt man Geld raus? Man verliert es. Genauso. Werfen Sie Ihr Geld raus? Nein. Sie verlieren es. Sie werden Ihre Staatsbürgerschaft verloren haben. Doğan Bey, Sie müssen mit uns kommen. Es liegt ein Haftbefehl gegen Sie vor.“
Ein Zuständiger in der Abteilung für Terrorbekämpfung informiert mich:
„Doğan Bey, da ist nichts, wonach wir vorgehen könnten. Die Organisation, wegen der Sie gesucht werden, tauchte – Sie werden es besser wissen – Mitte der 80er Jahre auf, warf hier und da ein paar Molotow-Cocktails und verschwand wieder von der Bildfläche. Seit 20-25 Jahren gibt es keine Einträge über sie. Es dürfte sich um etwas Harmloses handeln. Da ist wohl irgendwo eine alte Aussage gegen Sie.“

Weiter unter:
http://www.wdr5.de/sendungen/spielart/2010/kurzgeschichte-von-dogan-akhanli.html

WDR 5: SpielArt
So., 14.11.2010
16.05 – 17.55 Uhr

–> Solidaritätsveranstaltung am 20. November in Köln

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