Der Untergang des Islam: Morgenland ist abgebrannt

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Die islamischen Länder eint eine Religion, aus der sie ein problematisches Menschen- und Gesellschaftsbild ableiten: Frauen und die meisten Männer, die nicht der herrschenden Schicht entstammen, sind ausgegrenzt. Ungeheure intellektuelle Ressourcen dürfen nicht genutzt werden, wodurch auch der Wohlstand dieser Staaten verfällt. Von fundamentalistischen Muslimen wird diese Misere konsequent als Ergebnis »der feindlichen Politik des Westens« gedeutet…

Die regionalen und globalen Perspektiven sind bedrohlich, denn das Zusammenkommen einer innovationsfeindlichen Kultur, einer rapide wachsenden, armen und unterdrückten Bevölkerung, zur Neige gehender Erdölvorkommen und klimatischer Probleme ergibt ein explosives Gemisch. Hamed Abdel-Samad wagt eine scharfe, zwingende Prognose für die Zukunft der Kultur, der er selbst entstammt: Die islamischen Staaten werden zerfallen, der Islam wird als politische und gesellschaftliche Idee, er wird als Kultur untergehen.

Hamed Abdel-Samad: … Mir wurde einmal die mich in Verlegenheit bringende Frage gestellt, was die Welt vermissen würde, sollten die islamischen Staaten allesamt verschwinden. Mir fiel nichts ein außer Erdöl und ein paar schönen Urlaubszielen und vielleicht die Angst vor dem Terror, die manche Leute kitzelt. Darunter würden vermutlich nur die Hersteller von Luxuskarossen leiden, deren beste Kunden in den Golfstaaten leben.

Ja, die Frage darf gestellt werden, was die gegenwärtige islamische Welt hinterlässt, das der Menschheit zugute kommt. Was sind die Beiträge der islamischen Welt auf dem Gebiet des weltlichen Wissens, der Kunst, der Architektur, um nur drei Bereiche zu nennen? Diese Frage ist leicht mit »wenig« oder »gar nichts« zu beantworten. Warum fällt es denn vielen schwer zu erkennen, dass die islamische Kultur ihren zivilisatorischen Zenit schon längst überschritten hat und nicht mehr imstande ist, sich in die Weltgemeinschalt einzuordnen? Was von der islamischen Geschichte des Denkens übrig geblieben ist, ist meines Erachtens der intellektuelle Schaum einer unversöhnlichen Orthodoxie, und der kann nicht länger in der modernen Welt bestehen. Ein letztes Mal wird der Schaum mit dem Mut der Verzweiflung mit seiner Wut die Oberfläche überziehen, bevor er verschwindet.

Mit diesem Buch versuche ich zu verstehen, wie es zum Zerfall des Islam kam und was es bedeutet für die Welt von heute, wenn so ein schwerer Körper in ihrer Mitte zusammenbricht, denn dieser Niedergang betrifft uns alle.

Hier darf zu Recht die Behauptung auftauchen, die islamische Welt als solche gebe es nicht, denn über eine Milliarde Menschen zwischen Indonesien und Marokko als gleichgeschaltete Masse zu betrachten ist schlicht und ergreifend anmaßend. Das ist richtig, wenn wir die islamische Welt als eine geographische, theologische oder politische Einheit sehen, doch es geht in diesem Buch um die islamische Welt als ein imaginäres Konstrukt namens Umma, das als Gemeinschaft alle Gläubigen umfassen sollte; ein Traum, der die Ambitionen des politischen Islam seit seiner Geburt beflügelt. Es geht um die Geisteshaltung vieler Muslime zur Moderne; es geht um den Islam als eine politische Idee, die inzwischen die Substanz verloren und kaum Antworten auf das Weltgeschehen außer Wut und Gewalt parat hat. Um diese islamische Welt geht es.

Gibt es den einen Islam? Eine Frage, die oft hinterhältig gestellt wird, um Islamkritik im Keim zu ersticken. Selbstverständlich ist der Islam in seinen Strömungen und Ausprägungen sehr heterogen, dennoch kann man von einem Islam sprechen. Denn diese Unterschiede mögen für Theologen und Ethnologen von Interesse sein, politisch gesehen sind sie allerdings ziemlich irrelevant. Wenn wir vom Islam sprechen, meinen wir nicht volkstümliche Erscheinungsbilder, sondern meist die politische Ideologie, die Geisteshaltung, die dem Glaubenssystem Islam zugrunde liegt.

Wenn Muslime selbst von Islam sprechen, wenn es etwa um die Einführung von Islamunterricht an europäischen Schulen oder die Beantragung des Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechtes geht, ist die Rede von einem Islam. Wenn Muslime von der »Religion des Friedens« sprechen, sagen sie nicht, welchen Islam sie damit meinen, aber wenn Islamkritik auftaucht, kommt ein Taschenspielertrick, um die Kritik abzuwürgen: Von welchem Islam reden Sie überhaupt?

Von welchem Alkohol reden wir denn, wenn wir sagen: »Viel Alkohol schadet der Gesundheit und führt zu Alkoholismus«? Ja, Alkohol wird zur Herstellung von Medizin oder zum Kochen verwendet, doch diese Funktionen stehen nicht zur Debatte, wenn wir von den sozialen Auswirkungen von Alkohol reden. Und Islam ist für mich mit Alkohol vergleichbar. Wenig davon kann sehr heilend und inspirierend wirken, aber wenn der Muslim in jeder Lebenssituation zur Flasche der Dogmen greift, dann wird es gefährlich. Von diesem hochprozentigen Islam rede ich, denn er schadet dem Individuum und gefährdet das Zusammenleben.

Selbstverständlich können Länder wie die Türkei, Indonesien und Malaysia nicht mit der arabischen Welt gleichgesetzt werden. Die Lage in diesen drei Ländern gilt oft als Hoffnung für die Demokratisierung in der gesamten islamischen Welt, da sie sich in den letzten Jahren in der Bildung und der Wirtschaft gut entwickelt haben. Auch Anfänge einer relativ fortschrittlichen islamischen Theologie sind in diesen Ländern zu beobachten. Doch der Einfluss dieser Länder auf den Rest der islamischen Welt in den Bereichen Bildung und Theologie ist leider marginal. Umgekehrt ist der Einfluss von Saudi-Arabien und Ägypten auf die Türkei, Indonesien und Malaysia ganz erheblich, was zur zunehmenden Rückbesinnung auf den Islam und einer deutlichen Zurücknahme vieler demokratischer Prozesse auch dort führt.

Besonders in der arabischen Welt muss man sowohl die regionalen als auch die globalen Perspektiven als bedrohlich empfinden. Eine rapide wachsende arme, unterdrückte und wenig gebildete Bevölkerung, zur Neige gehende Erdölvorkommen und drastische klimatische Veränderungen, die große Anhauflächen vernichten, bedrohen die wirtschaftliche Grundlage dieser Länder und verschärfen die bereits vorhandenen regionalen und religiösen Konflikte. Dies kann dazu führen, dass der Staat zunehmend an Einfluss verliert, was zur Privatisierung der Gewalt führen würde. Die Bürgerkriege in Afghanistan, Irak, Algerien, Somalia und im Sudan sind nur ein furchtbarer Anfang dessen. Die geistige und die materielle Erstarrung veranlasst mich zu der Prognose: Die islamischen Staaten werden zerfallen, der Islam wird als eine politische und gesellschaftliche Idee, er wird als Kultur untergehen.

Vergleicht man die arabisch-islamische Welt heute mit der »Titanic« kurz vor dem Untergang, so stößt man auf Parallelen. Das Schiff steht einsam und gebrochen mitten im eiskalten Ozean der Neuzeit und weiß nicht, woher die Rettung kommen soll. Die Passagiere der dritten Klasse schlafen weiterhin in ihrem Kerker und ahnen noch nichts von der sich anbahnenden Katastrophe. Die Reichen machen sich in den wenigen Rettungsbooten aus dem Staub und wollen sogar an der Misere verdienen, während Geistliche die üblichen Durchhalteparolcn wiederholen. Die sogenannten Islamreformer erinnern mich an das Salonorchester, das bis zum Untergang weiterspielte, um den Passagieren die Illusion einer Normalität zu vermitteln. Sic spielen die Reformmelodie und wissen, dass sie sowieso niemand mehr hört.

Ein wesentlicher Unterschied allerdings fällt ins Auge: Das islamische Schiff war von vorne herein veraltet und voller Löcher, und dennoch galt es für viele Muslime als unsinkbar, weil sie in ihrem Segeln einen göttlichen Auftrag sahen. Das schwere Schiff driftete Jahrhunderte im Meer ohne Kompass und ohne Orientierung. Weil es nicht wusste, wohin es wollte, war kein Wind ihm recht. Kein heftiger Zusammcnprall, sondern eine leichte Berührung mit dem Eisberg namens Moderne reichte aus, um das islamische Schiff aus dem Gleichgewicht zu bringen. Erst mit dem Auftauchen des überlegenen »Anderen« sind Muslime auf die eigene Schwäche aufmerksam geworden. Trotzdem verhinderten Stolz und Eigensinn die Erkenntnis, dass eine Veränderung not-wendig ist.

Die islamische Welt hat meines Erachtens ihr kulturelles und zivilisatorisches Konto überzogen und lebt sträflich über ihre Verhältnisse. Wäre der Islam eine Firma, dann wäre er längst pleitegegangen. Was der Islam nun braucht, ist eine geregelte Insolvenz, eine Inventur, durch die die islamische Welt sich endlich von vielen Bildern trennen muss: Gottesbilder, Gesellschaftsbildcr, Frauenbilder, Vor- und Feindbilder.

Sowohl der britische Orientalist Bernard Lewis als auch der deutsche Orientalist und Historiker Dan Diner sehen das Hauptproblem des Islam in der Natur des Heiligen, das alle Bereiche des Lebens unterwandert. Auch die Natur der arabischen Sprache, die am Text des Korans und seiner Konnotation hänge, erschwere jede Bemühung der Säkularisierung, so Diner. Dies habe die islamische Welt zum jetzigen Stillstand

geführt, den er »versiegelte Zeit« nennt. Ähnlich argumentiert der im Exil lebende syrische Dichter Adonis, beschrankt seine These jedoch auf die arabische Welt. Die Tatsache, dass in den arabischen Staaten Kultur nur staatlich bürokratisch betrieben wird, dass die arabische Sprache sich nicht erneuert und dass die arabische Welt aus Mangel an Kreativität der Menschheit nichts mehr zu bieten hat, veranlasst Adonis zur Prognose, dass die Araber bald wie die alten Ägypter, Griechen und Römer Geschichte sein werden.

Emmanuel Todd und Youssef Courbage erwarten dagegen, dass der Islam sich rasch modernisieren wird. Die beiden Statistiker und Verfasser des Buchs »Die unaufhaltsame Revolution«, das im französischen Original »Le rendez-vous des civilisations« heißt, studierten die Demographie der islamischen Welt und stellten fest, dass es zu immer mehr Alphabetisierung unter jungen muslimischen Männern und Frauen kommt, was wiederum zu einem Rückgang der Geburtenraten führt. Diese Veränderung führe zu einer neuen sozialen Mobilität, die sowohl für Erneuerung als auch für Fun-damcntalismus verantwortlich sei. Die Schlussfolgerung der Autoren lautet: Die Werte der Moderne verändern die islamische Welt.

Mein Buch »Der Untergang der islamischen Welt« bietet weder eine historische noch eine soziologisch-empirische Studie. Auch wenn die Geschichte des Zerfalls und die gesellschaftliche Dynamik von heute bei der Lektüre eine zentrale Rolle spielen, bleibt das Buch eine persönliche Analyse und eine Einschätzung der

Entwicklungen in den Teilen der islamischen Welt, die ich kenne, nämlich den arabischen Staaten. Deshalb steht mein Geburtsland Ägypten im Mittelpunkt der Analyse, das ich nach wie vor als Mikrokosmos und Trendsetter in der islamischen Welt sehe, wenn es um Modernisierung oder Radikalisierung geht. Gesellschaftliche Prozesse und Fehlentwicklungen, die zum Reformstau führen, werden in den historischen, religiösen und politischen Kontext gestellt und analysiert. Das aus dem Koran abgeleitete Gottes- und Menschenbild sowie das Verständnis von Hierarchie und Ehre und deren Einfluss auf das Bildungssystem sowie auf die Selbst- und Frcmdbildcr werden Gegenstand der Diskussion sein.

Mir geht es weder darum, um Mitleid mit dem Patienten Islam zu werben, noch gegen ihn zu polemisieren, sondern darum, auf wenig beleuchtete Facetten der Problematik aufmerksam zu machen.

Bestellen: Der Untergang der islamischen Welt

Deutschlandradio Kultur „Lesart“ | 05.09.2010
„So gründlich, so radikal, so konsequent wie Hamed Abdel-Samad hat in den letzten Jahren kein Moslem den Islam kritisiert. Er fordert eine ‚geregelte Insolvenz‘ für den Islam, denn wenn er eine Firma wäre, ‚wäre er längst Pleite gegangen‘.“
Deutschlandradio Kultur „Lesart“ | 01.08.2010
„Hamed Abdel-Samad ist nicht der erste Moslem der sich mit dem Islam auseinandersetzt. Vor ihm haben es schon u.a. Salman Rushdie und Ibn Waraq, Necla Kelek und Seyran Ates getan, nur um die bekanntesten Namen zu nennen. Aber so gründlich, so radikal, so konsequent wie er hat es in den letzten Jahren keiner gemacht. Der „postkoranische Diskurs“, den er wagt, geht weiter als Islamkritik.“

Hamed Abdel-SamadVom gleichen Autor:
Mein Abschied vom Himmel: Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland

Streng religiös erzogen, schließt sich Hamed Abdel-Samad als Student der radikalen Muslimbruderschaft an. Doch dort findet er keine Antworten auf seine Fragen. Da beschließt er, nach Deutschland zu gehen, in der Hoffnung, sich endlich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen zu können.

Mein Abschied vom Himmel ist die bittere Geschichte eines hochbegabten, während seiner Kindheit missbrauchten muslimischen Mannes. In Ägypten, Japan und Deutschland erhofft sich Hamed Abdel-Samad eine Erklärung für die Gewalt, der er ausgeliefert war und die lange ein Teil seiner Existenz war. Er sucht Orientierung bei ägyptischen Marxisten, fundamentalistischen Muslimbrüdern, Buddhisten und unter dem Druck seiner seelischen Wunden Zuflucht in psychiatrischer Behandlung. In seinem aufsehenerregenden Buch hält Hamed Abdel-Samad Orient und Okzident gleichermaßen den Spiegel vor und zeigt am Beispiel seines eigenen Lebens Spannungen, Konflikte und Möglichkeiten die in jeder dieser Kulturen existieren. Heute lebt der Muslim Abdel-Samad mit seiner japanischen Frau in München und unterrichtet am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur.

Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, studierte Englisch, Französisch, Japanisch und Politik. Er arbeitete für die UNESCO, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München. Abdel-Samad ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Seine Autobiographie „Mein Abschied vom Himmel“ sorgte für Aufsehen.

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