Zum Tode von Heiner Lichtenstein (1932 – 2010)

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Seine Stimme hat sich mir früh eingeprägt: Wie oft habe ich ihn im WDR-Rundfunk gehört, bereits während meines Studiums. Unverkennbar in seiner Stimme, in seiner klaren, verständlichen, engagierten, nachdenklichen Sprache – trotz der schwierigen, kontroversen Themen die er stets behandelte: Heiner Lichtenstein verkörperte den Typus eines radikalen Aufklärers über die deutschen, die nationalsozialistischen Verbrechen. Nun ist seine Stimme verstummt: Der 78-jährige WDR-Journalist, Tribüne – Redakteur und Buchautor Heiner Lichtenstein ist am 4. Juli diesen Jahres unerwartet verstorben…

Von Roland Kaufhold

Heiner Lichtenstein hat sein Leben lang immer wieder über NS-Prozesse, über die nationalsozialistischen Mordtaten, über Täter und Opfer berichtet. In einer allgemein verständlichen Weise. Unbeirrbar. Dem allgegenwärtigen Wunsch zu vergessen zum Trotz insistierte dieser streitbare und kenntnisreiche Autor darauf: Geschichte ist ein Teil von uns. Wenn wir sie verdrängen, vergessen, verlieren wir einen Teil von uns selbst. Historische Aufklärung immer neuer, nachwachsender, unschuldiger Generationen ist wohl die einzige Chance, den Wiederholungszwang abzumildern, ihm vorzubeugen.

Foto: © Werner Fricke, Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Bereits als Jugendlicher hatte Heiner Lichtenstein sich mit der NS-Geschichte beschäftigt; als studentischer Praktikant beim WDR wohnte er erstmals Gerichtsverfahren gegen nationalsozialistische Täter bei – und war erschüttert von der Gefühllosigkeit, die ausgerechnet den ehemaligen Opfern, den Zeitzeugen dieser fürchterlichen Verbrechen vor Gericht entgegen schlug. Oftmals ohne Geld, ohne seelische und materielle Unterstützung, sprachlos, standen diese Opfer der Shoah in deutschen Gerichtssälen isoliert, schutzlos, verloren herum. Sie konkret handelnd zu unterstützen, so langsam Vertrauen, Kontakte zu ihnen herzustellen, dies waren prägende, ermutigende Erfahrungen für diesen jungen Mann.

Diese Ermutigung war wichtig: Die Konfrontation in deutschen Gerichtssälen mit den meist gefühlskalten, uneinsichtigen, beharrlich leugnenden Tätern, deutschen Mördern, die in den allermeisten Fällen straflos oder nahezu straffrei blieben, muss für Lichtenstein eine verstörende Erfahrung gewesen sein: Heiner Lichtenstein widmete diesen Themen sein gesamtes Leben. Mit seinen zahlreichen Buchveröffentlichungen – wie etwa „Mit der Reichsbahn in den Tod“, „Massentransporte in den Holocaust 1941-45“, „Raoul Wallenberg, der Retter von hunderttausend Juden“ oder „Warum Auschwitz nicht bombardiert wurde“ – legte er Grundlagenwerke über den Nationalsozialismus vor. Greifbar sind diese Bücher immer noch. Ein wertvolles Erbe.

Für sein unermüdliches Wirken gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit musste er einen hohen persönlichen Preis zahlen: Mehrfach erhielt er Morddrohungen, sein Arbeitsplatz beim WDR wie auch seine eigene Wohnung stand viele Jahre lang unter Polizeischutz. Auch seine Kinder wuchsen unter Polizeischutz auf. Verschiedentlich musste er seine engagierte Aufklärungsarbeit auch vor Gerichten verteidigen.

Heiner Lichtenstein ist in seinem letzten Lebensjahrzehnt für seine beharrliches, unbestechliches Bemühen um historische Aufklärung gegen Antisemitismus vielfach ausgezeichnet worden: Mit dem Leo-Baeck-Preis, der Neuberger Medaille, dem Landesverdienstorden NRW, der Yad Vashem Medaille der polnischen Hauptkommission zur Verfolgung von Hitlerverbrechen. Und vor neun Monaten, am 3. Dezember 2009, verlieh ihm die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ihren Giesberts-Lewin-Preis. Geehrt wurde der 78-jährige also an dem sozialen Ort, der Jahrzehnte lang Mittelpunkt seines Wirkens war: in Köln.

Wir erinnern für haGalil mit mehreren Beiträgen an das vorbildliche Wirken dieses außergewöhnlichen Journalisten. Otto R. Romberg war als Redakteur der Tribüne 30 Jahre lang enger Kollege und Freund Lichtensteins. Sein mit „Zum Tode von Heiner Lichtenstein“ betitelter, persönlich gehaltener Beitrag ist in der neuen Ausgabe der Tribüne (H. 195, Nr. 3/2010) erschienen und wurde uns von Romberg für haGalil zur Verfügung gestellt. Wir danken sehr! Otto R. Romberg hebt dessen auch schwere Konflikte, Anfeindungen und gelegentliche Enttäuschungen aushaltendes Beharrungsvermögen hervor, welches zugleich für Lichtensteins außergewöhnlichen Mut spricht. Er schließt mit dem Versprechen: „Wir von Tribüne werden den gemeinsamen Kampf fortführen.“

Wie bereits erwähnt wurde Lichtenstein acht Monate vor seinem Tod in Köln mit dem Giesberts-Lewin-Preis ausgezeichnet. Wir dokumentieren die von Jürgen Wilhelm im Namen der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gehaltene Laudatio wie auch Heiner Lichtensteins kurze Dankesrede. In den Jahren zuvor waren die Kölner Ralph Giordano, Gunter Demnig und Günter Wallraff, 2010 Gerhart Baum mit diesem Preis ausgezeichnet worden. Wilhelm zeichnet Lichtensteins Vita und dessen konsequentes Wirken kenntnisreich nach. Er hebt dessen beachtlichen Mut hervor, immer wieder „engagiert gegen den Zeitgeist zu denken und zu handeln, verbunden mit dem Willen zur Veränderung eines schlechten gesellschaftlichen Zustandes“. Ein Vorbild.

In seiner Dankesrede zeigt sich Lichtenstein als ein unkomplizierter, humorvoller, lebenserfahrender Mensch: „Schön, hier zu stehen und den Preis zu haben. Genauso gut gefällt mir, dass die Musik von Damen kommt und nicht wie sonst immer von Männern. Ich war mal Frauenbeauftragter. Ist ja nichts Schädliches.“ Das Verhalten der Mehrzahl der deutschen Mörder, denen er in Gerichtssälen immer wieder begegnete, zeichnet Lichtenstein so nach: „Diese Leute erinnern sich entweder nicht oder verschweigen. Es ist so lange her, sie haben ein halbes Jahrhundert, ich will nicht sagen in Wohlstand, aber doch in Zufriedenheit und in Ruhe gelebt, und nun holt sie die Vergangenheit ein. Das ist gut.“

Abgeschlossen wird dieser haGalil – Themenschwerpunkt durch Heiner Lichtensteins letzten Erinnerungsbeitrag: „’Arier-Nachweis‘ für Studenten“; dieser ist unmittelbar vor seinem Tod im von ihm mitherausgegebenen Magazin „Blick nach Rechts“ erschienen. Wir danken auch hier für die Nachdruckrechte. Hierin erinnert er an den 75. Jahrestag der Vertreibung jüdischer Studenten aus den Universitäten.

Der Tod Heiner Lichtenstein hinterlässt eine Lücke, die nicht zu schließen ist. In seinem in der TRIBÜNE (H. 176, Nr. 4/2005) publizierten Nachruf auf Simon Wiesenthal resümiert Lichtenstein: »Die Welt hat mit Simon Wiesenthal, der 96 Jahre alt geworden ist, ein Symbol, ein leuchtendes Vorbild verloren. Zu seiner Beisetzung in Herzlia am Ufer des Mittelmeers waren Hunderte Holocaustüberlebende gekommen, um von dem Mann Abschied zu nehmen, der so gewirkt hat, wie seine Memoiren heißen: Recht, nicht Rache«. Ein klein wenig beschreibt Lichtenstein hiermit auch sein eigenes Wirken.