Seit 44 Jahren informiert die TRIBÜNE kontinuierlich über jüdische Themen...
Von Roland Kaufhold
Seit 44 Jahren engagiert sich die Zeitschrift »TRIBÜNE« für ein – wie es im Untertitel heißt – »Verständnis des Judentums«. Kontinuierlich und unabhängig informiert sie über die breiten Facetten des international weiterhin virulenten Antisemitismus, über die durch den deutschen Nationalsozialismus nahezu ausgelöschte Tradition des Judentums wie auch über die schwierige Lebenssituation in Israel. Der Redaktion – hierunter der frühere WDR-Redakteur Heiner Lichtenstein, welcher sich durch seine jahrzehntelangen Reportagen über deutsche Prozesse gegen nationalsozialistische Kriegsverbrecher bleibende Verdienste erworben hat – gelingt es, regelmäßig kompetente Wissenschaftler und Publizisten aus verschiedenen Gesellschaftsdisziplinen als Mitarbeiter zu gewinnen.
In den Rubriken »Deutsches Kaleidoskop«, »Berliner Bühne«, »Österreich-Mosaik« sowie »Israelisches Tagebuch« wird in Heft 176 (4/2005) über aktuelle tagespolitische und kulturelle Ereignisse berichtet. Heiner Lichtenstein erinnert in einfühlsamer, informativer Weise an das außergewöhnliche Wirken des kürzlich verstorbenen Simon Wiesenthal. In Israel ist Wiesenthals lebenslanges Bemühen, untergetauchte Naziverbrecher vor Gericht zu bringen, nahezu nur von Überlebenden der Shoah gewürdigt worden. Lichtenstein resümiert: »Die Welt hat mit Simon Wiesenthal, der 96 Jahre alt geworden ist, ein Symbol, ein leuchtendes Vorbild verloren. Zu seiner Beisetzung in Herzlia am Ufer des Mittelmeers waren Hunderte Holocaustüberlebende gekommen, um von dem Mann Abschied zu nehmen, der so gewirkt hat, wie seine Memoiren heißen: Recht, nicht Rache« (S. 67).
In einer literarischen Rubrik beschreibt Ursula Homann den Lebensweg Kurt Tucholskys und Manès Sperbers als den zweier »ungläubige(r) Juden, die vom Judentum nicht loskamen«. Wolf Scheller zeichnet die Biografie und das Werk des 96-jährigen Psychoanalytikers und Schriftstellers Hans Keilson nach, dessen literarische Schriften gerade im S. Fischer Verlag und dessen wegweisende »Untersuchung zum Schicksal jüdischer Kriegwaisen« unter dem Titel »Sequentielle Traumatisierung« in diesem Jahr im Psychosozial-Verlag wieder neu aufgelegt worden sind. In einem mit »Im Auftrag der Opfer« betitelten Interview mit Moshe Jahoda wird die Arbeit der Jewish Claims Conference in Deutschland dargelegt. Anton Maegerle sowie Carl Heinrich skizzieren in ihren historischen Rubriken die Fluchtwege untergetauchter NS-Massenmörder sowie die von Himmler gegründete »pädagogische« Geheimorganisation »Lebensborn«.
Besondere Erwähnung verdient das von Esther Schapira erstellte Porträt eines 18-jährigen Palästinensers, dessen geplantes Selbstmordattentat vor vier Jahren durch das intuitive, entschlossene Verhalten eines israelischen Busfahrers zum Glück verhindert wurde. Diese einfühlsame autobiografische Studie wird mit einer an anderer Stelle im Heft formulierten Kritik des Films »Paradise Now« verknüpft. Hervorheben möchte ich den Beitrag »Neue Hoffnung. Israel nach dem Abzug aus Gaza« des früheren israelischen Botschafters in Deutschland, Avi Primor. Er beschreibt die bezüglich der »Friedensmöglichkeiten« höchst ambivalente Stimmung in Israel; der einseitig vollzogene Abzug aus dem Gazastreifen erscheint ihm als Hoffnungsperspektive für ein Durchbrechen des beide Seiten schädigenden Kreislaufs der Gewalt, einschließlich der hierdurch hervorgerufenen massiven ökonomischen Schädigungen. Sharons überraschende politische Kehrtwende setzt Primor in Kontext mit den Auswirkungen der von prominenten Israelis und Palästinensern Ende 2003 der internationalen Öffentlichkeit vorgestellten »Genfer Initiative. Primor lässt hierbei seine Unterstützung für dieses hoffnungsvolle Friedensprojekt durchschimmern. Eine umfangreiche Rezensionsrubrik beschließt diesen Band.
Ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Münchner Historiker Reiner Bernstein soeben die sehr profunde Studie »
Von Gaza nach Genf. Die Genfer Friedensinitiative von Israelis und Palästinensern« (Wochenschau-Verlag, Oktober 2005) vorgelegt hat, welcher eine große Verbreitung zu wünschen ist. Im Internet wird diese Initiative vorgestellt unter: www.Genfer-Initiative.de
Diese Rezension ist in "psychosozial" Nr. 108 (Heft II/2007), S.129 f. erschienen. Wir danken dem Psychosozial-Verlag herzlich für die Nachdruckrechte.