Kurdische Zustände: Un-Freiheit der Sprache

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Während im Iran zahlreiche Kurden und Kurdinnen hingerichtet wurden, begann in den türkischen und iranischen Gebieten Kurdistans eine weitere Militäroperation. Wir erinnern an ein Interview des Z-Net mit Prof. N. Chomsky bei seinem Besuch im kurdischen Dyyarbakir…

Damals hatte Chomsky eine viel beachtete aber auch viel kritisierte Rede über Gewalt und Gegengewalt gehalten

Wie Sie wissen wird die Kurdische Sprache in der Türkei unterdrückt und wird vom Unterricht ausgeschlossen. Was ist die Beziehung zwischen der persönlichen Identität und der Muttersprache? Einerseits gibt es die weitläufige Nutzung des Englischen als globale Sprache, andererseits gibt es ein neues Aufleben von lokalen Sprachen als Gegentrend zur Globalisierung. Wie schätzen sie in diesem Kontext das neue Aufleben der traditionellen Sprachen in Europa und anderswo?

In Spanien wurden unter der Franco Regierung regionale Sprachen unterdrückt. Die Menschen durften nicht Baskisch, Katalanisch oder andere Sprachen sprechen. Und das sind alles von einander unabhängige Sprachen, nicht Spanisch; Baskisch ist mit Spanisch nicht einmal verwandt. Nach dem Ende des Faschismus gab es ein neues Aufleben dieser Sprachen, welche natürlich niemals verschwunden waren. Die Leute sprachen sie noch immer in ihren Häusern und mit Freunden, wenn die Geheimpolizei nicht gelauscht hat. Und sie erwachten aufs neue. Ich werden Ihnen von einer persönlichen Erfahrung erzählen: Eine meiner Töchter lebte nach dem Fall des Franco-Regimes in Spanien. Sie lebte in Barcelona und als ich in Europa Vorträge hielt besuchte ich sie. Das war zwei Jahre nach dem Fall Francos und da gab es nicht eine Spur von Katalanisch. Alles auf den Straßen war Spanisch, die Schilder waren Spanisch und jeder auf der Straße sprach Spanisch – wenn man dort nur hingereist war hätte man nicht wissen können, dass die Sprache dieser Leute Katalanisch war. Nach fünf Jahren kam ich wieder dorthin und es gab nur noch Katalanisch, die Sprache ist wieder aufgewacht. Das gleiche passierte im Baskenland und an anderen Orten. Und anderswo, z.B. innerhalb des Vereinigten Königreichs. So wurde z.B. Walisisch bis vor kurzem so gut wie nicht mehr gesprochen. Wenn man heute nach Wales kommt und die Kinder die aus der Schule herauskommen hört, hört man, dass sie Walisisch sprechen. Die Sprache ist wieder gekommen. Das ist ein Teil einer gesunden Bewegung weg vom Nationalstaatensystem, die innerhalb Europas passiert, und sich zu etwas wie einem „Europa der Regionen“ entwickelt, einer Föderation von regionalen Gebieten, welche ihre eigene Sprache, Kultur und politische Autonomität innerhalb einer größeren Föderation besitzen. Und das ist äußerst gesund. Was der Fragesteller bezüglich der persönlichen Identität gesagt hat ist sehr wahr. Die persönliche Identität eines Menschen ist sehr nah an seine ursprüngliche Sprache gebunden. Wenn es verboten ist diese Sprache frei für die Kommunikation zu verwenden, zum Sprechen, zum Ausdruck, in der Literatur, in Liedern und für jeden Zweck, dann ist das eine Einschränkung seiner grundsätzlichsten Menschenrechte. Und es vermindert ihn als Person. Deswegen muss diese bewahrt und wieder gefunden werden, und das kann bewerkstelligt werden, wie es an vielen Orten passiert. Die Frage was aus den lokalen Sprachen werden wird ist eine Sache der Entscheidung und keine, die von irgendwelchen historischen Kräften abhängt, die außerhalb der Beeinflussbarkeit liegen. Es gab keine Möglichkeit vorherzusagen, dass Walisisch wieder die Sprache der Menschen in Wales werden würde, ihrer Literatur und so fort. Es war unmöglich das vorauszusehen. Das geschah, weil sie sich dafür entschieden dieses Ergebnis zu erreichen. Die Regionalisierung findet in Europa als Reaktion auf die Zentralisation der EU statt. Und ich vermute, dass es als Reaktion von der Zentralisation dessen, was „Globalisierung“ genannt wird, auch ein neues Aufleben der örtlichen Sprachen, Kulturen und Interessensvertretungen von den verschiedensten Arten geben wird, als Beispiel Feministische Gruppen, die keine geographische Grenze kennen. Aber das muss erreicht werden. Nichts wird von selbst geschehen. Es muss wie alle anderen Menschenrechte durch Einsatz, Verpflichtung und Kampf erreicht werden. Sonst wird es nicht passieren. Dass Englisch die internationale Sprache geworden ist, ist ein ganz anderes Thema. Es ist eine Frage der Machtdurchsetzung. Englisch ist die Weltsprache weil England und die USA die Welt erobert haben. Wenn die Welt diverser wird, und ich glaube, dass sie das wird, dann wird es andere Sprachen für die internationale Kommunikation geben. Diese Frage steht ganz abseits der Frage der Wiederbelebung und Lebendigkeit von regionalen und lokalen Kulturen, Sprachen und Literatur und so weiter. Diese Entwicklungen können ziemlich parallel verlaufen.

Wie definieren sie den Begriff „Freiheit“?

Ich würde das nicht einmal versuchen. Es ist ein grundsätzliches Konzept, das wir verstehen, aber nicht definieren können. Wir verstehen solche Konzepte, aber wir können nicht einmal hoffen sie in Worte zu fassen. Wir definieren sie durch unsere Handlungen und unseren Einsatz. Freiheit ist das was wir aus ihr machen. Wenn wir uns gegen Unterdrückung, Autorität und ungerechtfertigte Strukturen einsetzen erweitern wir die Domäne der Freiheit, und das ist es was Freiheit sein wird. Es ist, was wir erschaffen; da gibt es nichts was in Worten definiert ist.

Welche Arten von Bedrohungen gibt es für die Idee der „Kultur“ in der „neuen Weltordnung“ unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten?

Es ist eine Sache des Willens und der Wahl. Die Geschichte hat keine Naturgesetze in der Art, wie es sie in der Physik gibt. Es hängt davon ab wofür sich die Menschen entscheiden. Deswegen kann niemand irgendetwas vorhersagen. Der Hauptgrund ist, dass zu viel vom Willen, von der Überzeugtheit und vom Einsatz abhängt. Deswegen hängt es von Menschen wie Ihnen ab was mit den kulturellen Freiheiten unter den neuen weltweiten Bedingungen geschehen wird. Wenn die Menschen eine lebendige, kräftige und unabhängige Kultur aufrechterhalten wird sie existieren. Wenn sie sich entscheiden das nicht zu tun, wenn sie nur Brasilianische Seifenopern anhören und Softdrinks trinken wollen, wird sie verschwinden. Aber es gibt eine Wahl.

Sie sind ein Bürger der USA der es versteht „Nein!“ zu sagen. Wir lesen in ihrer Biographie, dass sie ein Dissident mit einer Haltung gegen das System sind, seit sie zehn Jahre alt waren. Was ist das Geheimnis davon?

Das Geheimnis ist sehr einfach. Für hunderte von Jahren haben in den USA, genauso wie anderswo, Menschen hart dafür gekämpft die Domäne der Freiheit und der Gerechtigkeit zu erweitern und es gab Erfolge. Und das Ergebnis ist, dass Menschen wie ich es gut haben. Wir können das Privileg genießen die gewonnene Freiheit zu genießen. Das sind keine Geschenke, sie sind nicht in der Verfassung, sie sind nicht in der Bill of Rights. James Madison, einer der wichtigsten Gründer des Systems der USA, hat gesagt, dass ein „Pergamentwall“ nicht vor Unterdrückung schützen wird. Nehmen sie irgendwelche schönen Worte die Sie mögen, Sie werden ihnen eine Bedeutung geben müssen, und diese Bedeutung erhalten Sie durch Arbeit und Einsatz. Und das ist über die Jahrhunderte in einem wichtigen Maß geschehen. Das Ergebnis ist, dass die Menschen in den Vereinigten Staaten die Freiheit in einem größeren Ausmaß haben. Das Geheimnis ist es, eine Geschichte von Menschen hinter einem zu haben, die sich der Schaffung einer freien Gesellschaft gewidmet haben. Das ist das Geheimnis.

Was denken Sie ist die Rolle der USA im Kurdischen Problem generell und welche in der Übergabe von Kurdischen Führern an die Türkei durch internationale Verschwörung im speziellen?

Die USA haben mit allem was auf der Welt abläuft zu tun. Das ist der mächtigste Staat auf der Welt. Sie sind an den Entwicklungen hier interessiert und sind ohne Zweifel in Kurdische Affären verwickelt. Nicht nur hier, das gleiche gilt auch für den Irak. Z.B. unterstützten die USA in den 70er Jahren einen Kurdischen Aufstand im Irak, bis zu einem bestimmten Punkt wo es zu einem Iranisch-Irakischem Abkommen kam und die USA entschied die Kurden zu vergessen, und sie wurden abgeschlachtet. Anschließend wurde Henry Kissinger, der dafür die Verantwortung hatte, vor dem Kongress kritisiert, dass er den Kurdischen Aufstand zuerst unterstützte, und ihn, als er nicht mehr nützlich war, im Stich ließ, was zu ihrer Niedermetzlung führte. Er machte eine berühmte Bemerkung, welche ungefähr so lautete: „Außenpolitik sollte nicht mit missionarischer Arbeit verwechselt werden“. So ist das auch hier, und in einer besonders schändlichen Art war das in den letzten Jahren so.

Wie Sie wissen wandte sich die Kurdische Opposition zu friedlichen Mitteln des Kampfes. Was denken Sie über diese neue Politik?

Darüber wissen Sie besser bescheid als ich. Das ist nicht das erste mal. In 1993 wurde von der Kurdischen Opposition ein Waffenstillstand ausgerufen. Die Europäische Union versuchte die Türkei zu einer konstruktiven Antwort darauf zu bewegen. Anstatt dessen eskalierte die Türkei mit entscheidender Hilfe der USA den Krieg. Das führte zu weiteren Jahren von Gräueltaten und Zerstörungen. Es gibt jetzt noch mal eine Bewegung zu einer friedlichen politischen Lösung. Es ist meiner Ansicht nach die richtige Vorgangsweise. Die Frage die aufkommt ist, was die Reaktion der Türkischen Regierung sein wird, und das hängt sehr stark von den USA ab. Wird es konstruktive Reaktionen geben? Wir haben versucht, dass das eintritt. Und als Menschen in den USA, haben wir es auf unsere Art zu versuchen. Es kann sich weiter entwickeln. Es ist die richtige Richtung, und ich glaube, dass es zu einem fruchtbaren Ergebnis führen wird.

Wie Sie wissen, gibt es ein „Treffen der Zivilisationen“ in Istanbul, wo die Kurdische Zivilisation nicht repräsentiert wird. Dieses Treffen soll eine Gegenbewegung zum „Kampf der Kulturen“ sein. Was ist Ihre Meinung über diese These des „Kampf der Kulturen“?

Die Tatsache, dass die Kurdische Zivilisation nicht repräsentiert wurde hat den selben Grund wie die Tatsache, dass die Palästinensische Zivilisation nicht repräsentiert wurde, oder irgendeine andere unterdrückte Gruppe. Das sind die Treffen der mächtigen Staaten und anderer mächtiger Bewegungen auf der Welt. Sie vertreten niemanden außer sich selbst, und außerdem vertreten sie keine Zivilisationen. Die Leben der Saudi-Arabischen Elite haben ihren Mittelpunkt wahrscheinlich in London und das ist es wo sie hingehören. Es ist wahrscheinlich, dass sie flüchten werden, wenn es einen internen Aufstand gibt den sie nicht kontrollieren können. Sie haben wenig mit der Bevölkerung von Saudi-Arabien gemeinsam, genauso wie die herrschenden Eliten in anderen Ländern wenig Bezug zu ihrer eigenen Bevölkerung haben. Die US-Regierung z.B., vertritt sicherlich nicht die Bevölkerung der USA. Die Bevölkerung der USA ist vehement gegen einige der wichtigsten und grundsätzlichen politischen Maßnahmen, welche die Regierung unternimmt, und die sie daher im geheimen unternimmt. Das Geschwafel über Zivilisationen ist großteils Propaganda.

Dass der Islam der Feind ist, ist sicherlich nicht wahr. In den 80er Jahren war das dominierende Hauptthema in allen Diskussionen über die Außenpolitik der USA die Kriegsführung in Zentralamerika, und diese Kriege sind gegen die Katholische Kirche geführt worden, nicht gegen den Islam. Die Katholische Kirche in Lateinamerika, nach Jahrhunderten im Dienste der Reichen, hatte sich zu einer Bemühung bewegt, für die Armen einzutreten und wurde sofort zum Feind. Viele terroristische Grausamkeiten sind gegen die Kirche unternommen worden. Gab es einen Kampf der Kulturen? Nein. Zur selben Zeit unterstützte die USA äußerst stark den aller reaktionärsten Islamischen Staat der Welt, nämlich Saudi-Arabien, der seit seinem Ursprung ein Klient der USA war. Die USA organisierten auch einige der radikalsten Islamisten die sie weltweit finden konnte, denn das waren die besten Killer, und sie wurden als Waffen gegen Russland eingesetzt. Indonesien, der größte Islamische Staat, war seit jeher ein wundervoller Freund, seit Präsident Suharto 1965 an die Macht kam und riesige Massenabschlachtungen durchführte, wobei womöglich eine Million Menschen getötet wurden, hauptsächlich Bauern. Er wurde sofort zum großen Freund, und blieb das so lange er sich einigen der schlimmsten Verbrechen der Neuzeit widmete. 1995 beschrieb die Clinton-Verwaltung Suharto als „einen Typ nach unserem Geschmack“. Sehr war. Die Welt teilt sich nicht in untereinander kämpfende Kulturen auf, sie spaltet sich in Machtinteressen, welche Sprachen und Kulturen überschneiden, und hauptsächlich gegen ihre eigenen Bevölkerungen kämpfen. Der Begriff „Kampf der Kulturen“ wurde nach dem Kalten Krieg populär, als man ein neues Propaganda-Rahmenprogramm benötigte um die Menschen zu mobilisieren. Es hat außerhalb von diesem keine Bedeutung.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines US Angriffs auf den Irak? Was wird das für Auswirkungen auf die Türkei und die Kurden haben?

Das ist ein wichtiges Thema das heute auf der Agenda steht. Es gibt zwei Arten von Begründungen für einen möglichen Angriff der USA auf den Irak. Die erste ist domestisch bedingt, von innerhalb der USA. Wenn du ein Berater der Bush Verwaltung wärst, was würdest du sagen, „versuche die Aufmerksamkeit der Menschen auf den Enron Skandal zu lenken und auf die Tatsache, dass die vorgeschlagenen Steuerkürzungen für die Reichen die Sozialprogramme schwächen und den Grossteil der Bevölkerung vor ernsthafte Probleme stellen werden“ ? Würdest du wollen, dass die Menschen darauf achten, also auf diese und ähnliche Politik? Natürlich nicht. Was du willst, ist dass die Leute Angst haben und sich eng unter dem Schirm der Macht zusammenquetschen, und nicht darauf achten, was du ihnen antust indem du in den Interessen von speziellen reichen und mächtigen Sektoren dienst. Also willst du einen militärischen Konflikt haben. Das ist die domestische Seite.

Auf der internationalen Seite hat der Irak die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Die größten liegen in Saudi Arabien, die zweitgrößten im Irak. Die USA wollen sicherlich nicht ihre Kontrolle über diese riesige Quelle von Macht und Reichtum aufgeben. Außerdem wäre das Irakische Öl derzeit, wenn der Irak wieder ins internationale System kommen würde, unter der Kontrolle von Russland, Frankreich und anderen, aber nicht unter jener der US Energieunternehmen. Und die USA wird das nicht erlauben. Also können wir ziemlich sicher sein, dass die USA auf dem einen oder anderen weg sichergehen wird, dass der Irak nur unter der US Kontrolle wieder ins internationale System kommen wird. Nun, wie kann man das erreichen? Gut, ein Plan, und dieser Plan ist in der Türkei diskutiert worden wie Sie wissen, ist es die Türkei als Söldnerarmee für die Eroberung des nördlichen Iraks mit Bodentruppen zu benutzen während die USA diesen aus einer Höhe von 20000 Fuß bombardiert. Die Entschädigung für die Türkei könnte darin liegen, dass sie die Kontrolle über die Ölressourcen von Mosul und Kerkuk bekommt, welche sie immer schon als einen Teil der Türkei betrachtet hat. Und für die USA, dass ihre Feinde — Russland, Frankreich und andere – daran gehindert werden, privilegierten Zugang zum Öl dieser Region zu haben. Inzwischen würde die USA den Süden auf irgendeine Weise übernehmen. Was wird mit den Kurden passieren? Ich hasse es darüber nachzudenken. Es wird wahrscheinlich ein furchtbares Gemetzel der einen oder anderen Art geben. Sie werden genau im Zentrum von all dem sein. Für die Türkei wäre es, abgesehen von der Frage von richtig oder falsch, ein sehr gefährlicher Zug. Und es ist auch ein sehr gefährlicher Zug für die USA, da es die ganze Region umstürzen könnte. Es könnte zu einer Revolution in Saudi-Arabien führen. Niemand kann das wissen. Teile der Bush Verwaltung verfolgen diese und andere Pläne und man sieht die Logik darin. Ob es ihnen gestattet sein wird diese Pläne auch zu verwirklichen ist eine andere Geschichte. Ich bin eher skeptisch. Ich glaube, dass die Argumente dagegen wahrscheinlich zu stark sind. Aber sie kennen sich selbst nicht, und jemand anderer tut das sicherlich nicht.

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