Die globale Kampagne zur Delegitimierung Israels wird vom einflussreichen Tel Aviver Reut Institute als existenzielle Bedrohung bezeichnet, gegen die nur eine neue diplomatische Strategie helfen könne…
Von Andrea Livnat
Jungle World v. 18. Februar 2010
Es wird vermehrt zum Boykott israelischer Waren aufgerufen, bei Demonstrationen sind häufiger antisemitische Parolen zu hören. Doch die anti-israelische Kampagne hat auch die Institutionen erreicht, es gibt Drohungen, israelische Politiker und Militärs zu verhaften. Dass Israel ein Imageproblem hat, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Doch gilt die globale Delegitimierungskampagne mittlerweile als eine strategische Bedrohung, die die staatliche Existenz Israels ebenso gefährden kann wie die Militärmacht feindlicher Staaten.
In der vergangenen Woche erhielt das israelische Kabinett einen Bericht des Reut Institute, eines Tel Aviver Think Tanks, der konstatiert, dass Israel mit einem Angriff auf die Legitimität seiner Existenz als jüdischer und demokratischer Staat konfrontiert ist. Geführt werde die Kampagne von einem weltweiten Netz von Personen und Gruppen, deren Ziel es sei, Israel als Paria-Staat zu brandmarken und sein Existenzrecht zu leugnen. Die Abwehr dieser Bedrohung sei also eine Frage des Überlebens, und eine Gegenkampagne erfordere einen grundsätzlichen Wandel im Denken und Handeln der zuständigen Politiker.
Das Reut Institute hat sich seit seiner Gründung im Jahr 2004 auf die Beratung der israelischen Regierung in sozio-ökonomischen und Sicherheitsfragen spezialisiert. Obwohl der Gründer Gidi Grinstein aus dem Umfeld von Ehud Barak kommt und zwischen 1999 und 2001 als dessen Koordinator an den Friedensverhandlungen mit der PLO beteiligt war, ist das Institut parteiunabhängig. Die Berichte und Studien des Instituts wurden in der Vergangenheit daher auch von unterschiedlichen Regierungen akzeptiert.
Man kann davon ausgehen, dass auch diese Studie von den Regierungspolitikern nicht ignoriert werden wird. Doch vor allem die politischen Schlussfolgerungen und Vorschläge dürften dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und seinen rechten Koalitionspartnern missfallen, denn der Bericht kritisiert den Umgang mit der Delegitimierungskampagne, vor allem die Arbeit des Außenministeriums, das derzeit von Avigdor Lieberman geleitet wird.
»Der Minister kann das Problem nicht lösen, er ist ein Teil davon«, brachte es Ari Shavit in einem Kommentar für die linksliberale Tageszeitung Ha’aretz auf den Punkt. Lieberman, der immer wieder mit rabiater Rhetorik und Drohgebärden auffällt, werde als die »hässliche Seite« Israels gesehen, schreibt Shavit. In der arabischen Welt werde er verachtet, in Europa stelle man ihn mit Jean-Marie Le Pen auf eine Stufe.
Doch ein Personalwechsel an der Spitze würde nicht genügen. »Das Außenministerium ist auf die Herausforderungen der sechziger Jahre eingerichtet«, kritisiert das Reut Institute. Den derzeitigen Problemen sei die israelische Diplomatie nicht gewachsen, es fehle an einem ausreichenden Budget, an geeignetem Personal und einer angemessenen strategischen Doktrin. Die Kritik an der israelischen Diplomatie ist nicht neu, beispielsweise hat bereits im Jahr 2007 Eldad Beck in einem Beitrag über den scheidenden Botschafter Schimon Stein die Zustände in der Berliner Botschaft beklagt. Hohe Ämter seien seit langem unbesetzt, es gebe keinen Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit, und über ein Jahr lang habe der Botschaft ein Sprecher gefehlt. Man könne hier »durchaus von Vernachlässigung und Versäumnissen sprechen«, urteilte Beck.
Eine Ausnahme ist das nicht, zahlreiche israelische Diplomaten haben in den vergangenen Jahren für negative Schlagzeilen gesorgt, nicht zuletzt, weil hohe Posten häufig als Gefälligkeit und ohne Rücksicht auf Qualifikationen vergeben wurden. Das ehemalige Model Motti Reif, das im vergangenen Jahr als Catwalk-Trainer in Heidi Klums Show »Germany’s next Topmodel« auftauchte, wurde als Kulturattaché nach Los Angeles geschickt, nach nur drei Monaten musste er wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer Mitarbeiterin zurücktreten. Nicht sehr diplomatisch verhielt sich Zvi Mazel, der damalige Botschafter in Schweden, als er sich 2004 an einer Installation im Kunstmuseum vergriff, in der er eine Verklärung palästinensischer Selbstmordattentäter zu erkennen glaubte. Auch Medienberichte über Korruptionsvorwürfe, Schlägereien, keifende Konsul-Ehefrauen und Sado-Maso-Spiele von Diplomaten waren nicht geeignet, das Ansehen Israels zu mehren.
»Man benötigt ein Netzwerk, um ein Netzwerk zu bekämpfen«, empfiehlt das Reut Institute, in Zukunft sollen die Botschaften als Zentren zur Abwehr der Delegitimationskampagne dienen. Die Aktivitäten der Organisationen, die an der Kampagne teilnehmen, sollten geheimdienstlich untersucht werden. Während man jenen Gruppen, die Israel zu delegitimieren versuchen, entschieden entgegentreten müsse, gelte es, jene, die legitime Kritik üben, in die Debatte einzubeziehen.
Damit spricht das Reut Institute einen besonders heiklen Punkt an. Die Hasbara (wörtlich: Erklärung), die pro-israelische öffentliche Diplomatie und Propaganda, ist noch immer ideologisch festgefahren. So wird betont, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist, was diese Demokratie und den pluralistischen Charakter der israelischen Gesellschaft ausmacht, wird aber gerne ausgeblendet.
Die offiziellen Hasbara-Projekte sind noch immer von den Parolen der fünfziger Jahre geprägt, die Stärke angesichts der feindlichen Umzingelung propagieren. Die Hasbara beschränkt sich zudem allzu oft auf die Verteidigung israelischer Aktionen und grenzt auch wohlwollende Kritiker aus. Das Reut Institute nennt als Beispiel die Washingtoner Interessengruppe J Street, die sich als »pro-Israel, pro-peace« bezeichnet und von der israelischen Botschaft boykottiert wird. Kritiker zu boykottieren, treibe diese jedoch lediglich auf die Seite der Delegetimierer.
Die Hasbara muss offensiver werden, rät das Reut Institute. Das Bild Israels als einer belagerten Festung solle durch das Bild eines modernen Landes mit einer vielfältigen Kultur ersetzt werden. Nur wenn es gelinge, über die Darstellung des Nahost-Konflikts hinauszukommen, würden sich Menschen unbefangener mit Israel identifizieren können.
Implizit ist das auch eine Kritik an vielen pro-israelischen Propagandisten. Das »preaching to the converted« mag bequem sein, doch die oft sehr konträren Ansichten in der israelischen Öffentlichkeit zu ignorieren und einander in Bekenntnissen zu übertreffen, trägt nicht dazu bei, Bündnispartner und Sympathisanten zu gewinnen.
In Israel dürfte nicht nur Ari Shavit bezweifeln, dass die derzeitige Regierung einer globalen Bedrohung von derartigem Ausmaß gewachsen ist. Netanyahu scheint nicht die Absicht zu haben, sich von Lieberman zu trennen, zumal jede Entlassung eines Ministers die Koalitionsregierung gefährden könnte. In der vergangenen Woche kündigte der Ministerpräsident an, einen Gesetzentwurf einzubringen, der es den Israelis ermöglicht, auch im Ausland an den Knessetwahlen teilzunehmen. Damit erfüllt er eine Verpflichtung, die er im Koalitionsvertrag gegenüber Liebermans Partei Israel Beiteinu eingegangen ist. Einer neuen diplomatischen Strategie dürfte das kaum dienlich sein, denn das Gesetz würde die israelische Rechte stärken.
@4israel
Können Sie uns bitte mal näher erklären, an welcher Stelle des Korans von der bedingungslosen Kapitulation und gefolgter Ausrottung aller Juden die Rede ist?
Wie sehen die Alternativen der nach Ihren Worten folgenschweren Friedenspolitik incl. Verzichtspolitik und Beschwichtigungspolitik aus?
Welche Ideen bieten Sie uns an und wie hoch schätzen Sie den Grad der machbaren Umsetzung und der Akzeptanz in Israel und der Welt ein?
Wenn Livnat sich einbildet, man könne Israel retten, indem man am Image poliert, dann hat sie den eliminatorischen Hass der Muslime nicht verstanden.
Dieser Fehler führte schon zu Rabins folgenschwerer „Friedenspolitik“. Verzichtspolitiker wie Rabin haben ausgedient, ebenso Beschwichtiger wie Peres.
Liebermann hat begriffen, dass die Muslime nur eine bedingungslose Kapitulation akzeptieren werden, gefolgt von der Ausrottung aller Juden. Das ist ihr Ziel, so steht es im Kampfbuch Koran.
Endlich mal ein richtig guter Artikel. Nur schade, dass er so wenig Beachtung fand. Der Leser erfährt, wer sich in Israel Gedanken um langfristig angelegte Strategien zu Lösungen von Problemen macht. Die Ideen müssen aus Israel selbst kommen und nicht aus Amerika, Europa oder sonst einer Ecke. Die Studie kann erst der Anfang eines neuen Denkens sein. Sich auf den bisherigen Argumentationsschlagabtausch einzulassen ist kontraproduktiv. Es müssen, von der Gegenwart aus, Lösungen für die Zukunft gesucht werden.
Die berechtigte kritische Kommentierung der Studie durch Frau Livnat sollten sich die Authoren auf der Zunge zergehen lassen. Jedenfalls war die gegebene Analyse in der Studie schon mal recht gelungen. Den Strategien fehlt es noch etwas an Würze und Weitsicht.
Link – Zusammenfassung der Studie in Englisch
http://reut-institute.org/en/Publication.aspx?PublicationId=3769
Hinweis: Die vollständige Version erscheint in einigen Tagen.
Nichts ist blöder, als wenn der Gegner Recht hat!
Man kann hächst wahrscheinlich davon ausgehen, dass der Mossad die Identitäten von Bürgern befreundeter Staaten genutzt hat, um sein Killerkommando mit falschen Identitäten auszustatten und in Europa ist man nicht ‚amüsiert‘.
Jetzt schlägt das Reut-Institut vor, man solle verschiedene, ganz legale, verfassungsrechtlich geschützte NGOs derselben Staaten geheimdienstlich beobachten.
Grinstein redet von einem internationalen Delegitimierungsnetzwerk, aber es gibt kein Netzwerk, dass den israelischen Staat delegitimieren will, nur verschiedene Netzwerke, die die Besatzungpolitik und auch die gegenwärtige und auch vergangene Regierungen scharf kritisieren. Die Positionen hinsichtlich der Besatzungspolitik sind derart polarisiert, dass es da kaum noch ein dazwischen gibt – man ist dafür oder dagegen. Daher ist es recht nebulös, worum es sich denn bei der ‚legitimen‘ Kritik handeln soll.
Der israelische Staat ist jedenfalls durch keinerlei Netzwerke bedroht, höchstens sein Image, aber da wird eben auch reine Imagepflege schließlich und endlich nicht mehr viel ausrichten können.
Wenn die Empfehlungen des Reut-Instituts ernsthaft davon ausgehen, weitere gezielte Einflussnahme auf die Meinungsbildung im Ausland, neben all den verschiedenen bereits bestehenden Netzwerken, dazu geheimdienstliche Bespitzelungen im Ausland, würden allen ernstens die Beziehungen verbessern, dann kann ich nur lachen; es wird die Situation weiter zuspitzen und letztendlich auch die Politiker dazu bringen Farbe zu bekennen und ich glaube nicht, dass das im Sinne der gegenwärtigen israelischen Agenda wäre, denn in Europa und den USA gibt es verfassungsrechtliche Normen, die nicht ebenfalls so ohne weiteres auszuhebeln sind.
Ein anderer Außenminister, am besten ein anderer Präsident und andere Botschafter, die nicht so unangenehm auffallen, wären sicherlich dennoch vorteilhaft.
Die Botschaften mögen dünn und schlecht besetzt worden sein, Anwälte der israelischen Sache gibts jedoch schon ohne Ende rund um den Erdball und die sind auch nicht unbedingt schlecht aufgestellt. Auch wenn man der agressiven ‚Delegitimierungskampagne der Israelkritiker‘ durch diese sehr regen Netzwerke ein freundlicheres Anlitz geben möchte, wird dies neben geheimdienstlichen Aktivitäten, die sich gegen legale NGOs richten – sicherlich auch nichts ändern. Eher schon manövriert sich Israel mit einem solchen Verhalten noch mehr ins Abseits, als es das ohnehin schon ist.
Anstatt sich in einer Endlosschleife ums Image Gedanken zu machen, wäre es schön, die Israelis würden endlich mal in Sachen Besatzung umdenken, die Siedlungen räumen und auf Grundlage bestehender UNO-Resolutionen die Staatsgründung eines palästinensischen Staats begrüßen.
Was besseres fürs Image kanns gar nicht geben.
[…] Meirs eindringliche Worte kommen nur wenige Tage nach der Veröffentlichung eines Berichts des renommierten Reut Instituts zur internationalen Delegitimations-Kampagne gegen Israel, der auch deutliche Worte zum Umgang […]
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