Die letzten Tage in Haifa

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David Heimann (geb. 1864), 1934: Tagebuch über meine Reise nach Erez Israel…

22.5.34.

Ich treffe zufällig unten in der Stadt eine Schule aus Nathania und schicke durch den Lehrer für Dr. Jacobsohn Grüsse von seinen Angehörigen. Nachmittags Besuch bei Nenny Frank geb. Mathias auf dem Har Hakarmel und im Anschluss Erholung auf der Höhe.

23.5.34.

Umzug in die neue Pension Michaelis, Nordaustr. 11. Von 1-7 Uhr Proteststreik im ganzen Lande gegen die englische Einwanderungspolitik. Alle Läden, Postämter geschlossen. Alle Arbeiter streiken. Kein Autoverkehr. Ein Am echad. Volk in Massen auf den Strassen. Volksreden durch Lautsprecher.

Ich habe mit einem jungen Ingenieur, geborenem Holländer, eine interessante Unterhaltung. Ein radikaler Nationalist, der rücksichtslos für ein einziges jüdisches Volk eintritt, Trumpeldor-Kampfgefährte war und an allen Kämpfen gegen die Araber teilgenommen hat. Er schildert mir den Kampfgeist seiner Gefährten, Männer und Frauen, die schlimmstenfalls gewillt sind, mit der Waffe das Land gegen Engländer und Araber zu erkämpfen. Illusion!

24.5.34.

Vormittags Krankenbesuch bei meinem Freund Karl Tockus aus Oels, der mehrere schwere Herzanfälle hatte. Es geht ihm besser. Er kann die grosse Hitze bei seiner Herzverfettung nicht ertragen. – Nachmittags Rücksprache mit Dr. Ruppin von der Olej Germania, sodann Besuch bei dem Präsidenten der Haifa-Loge U. O.B.B., Bruder Lewin i/Fa. Salomon & Lewin im Haifa-Bazar, der mich zu Montag nachmittag 5 Uhr zum Tee einlädt. Gegen Abend Besuch bei dem Vizepräsidenten der Loge, Dr. Hillel Schachtel.

Recht freundlicher Empfang und Einladung, am Dienstag, dem 29.5., abends 9 Uhr mit den hiesigen Brüdern im Ohel Sarah, Hechaluzstr., zusammen zu sein.

25.5.34.

Ich bin unten in der Stadt und streife durch die arabischen Basare. Enge Strassen und noch schmalere Seitengässchen. Vor ihren Lägern hocken die Verkäufer. Jede Art Ware ist zu haben. Einzelne Berufszweige, wie Schuhmacher, haben besondere Basare, wo auf den Gassen gearbeitet wird. Araber jeglichen Standes in malerischen Kleidern, verschleierte Frauen in schwarz mit schwarzem Gesichtsschleier, Turban-, Tarbusch-, Tappijeträger. MosIims sitzen vor den kleinen Cafés auf der Strasse, spielen Domino oder Karten oder rauchen stoisch ihre Nargileh; dazu Araberjungen, welche ihre Waren oder Eisfrüchte ausrufen, dazwischen jüdische Geschäfte. Heute am Freitag überall Judenfrauen, Fische einkaufend. Ein echtes orientalisches buntes Treiben. Ich mache eine Anzahl photographischer Aufnahmen mit aller Vorsicht, weil die Araber abergläubisch sind und den bösen Blick fürchten. Sodann fahre ich auf die Höhe des Har Hakarmel, besuche Familie Frank und streife überall umher. Ein alter Jude aus Wolhynien, der das Amt des Schauchets versieht, erzählt mir, dass auf dem Karmel die Höhle des Propheten Elisa wäre, doch suche ich vergeblich. Anscheinend fromme Legende. Dagegen finde ich am Westabhang eine Höhlensynagoge, welche in einen grossen Felsen eingehauen ist und zu der man zahlreiche Stufen hinabsteigt. Ein kleiner Almemor in der Mitte, ein kleiner Altar zum Vorbeten, rechts davon ein kleiner Thoraschrein mit Vorhang, an den Wänden Sitze. Es wird hier früh und abends gebetet. Ein grösserer Vorraum mit Holzwänden, auf welchen sich Hunderte Besucher verewigten. Ich tue das gleiche.

Gegen 6 ¼ Uhr wurde durch Trompetensignal der Schabbat angekündigt. Schon vorher eilten Bauarbeiter, die heute schon früher ihre Arbeit beendigten, nach Hause. Autobusse fahren überfüllt in ihre Depots. Die Geschäftsläden schliessen und auf den Strassen erscheinen bald darauf festlich gekleidete Menschen. Schabbatruhe, Schabbatfrieden. Ich nehme am Gottesdienst im Realgymnasium teil. Ein ehrenamtlicher, sehr guter Vorbeter. Aschkenasischer Ritus mit sephardischer Aussprache.

26.5.34.

Schabbat. Ich verbringe den Vormittag am Meeresstrande, wo sich Tausende im Wasser erholen, glühende Sonne. Nachmittags lange Ruhe, abends Besuch bei Bekannten.

27.5.34.

Besuch in Pension Gan Benjamin, wo ich höre, dass Familie Travis nach Jerusalem abgereist ist, Hotel Warschawski, um sich dort dauernd niederzulassen. Ich schreibe einen Abschiedsbrief an Mirjam Travis. Im Hotel Migdal ist wiederum keine Post für mich eingetroffen. Ich bin sehr beunruhigt.

Nachmittags 5 Uhr folge ich einer Einladung des Präsidenten der U.O.B.B. Loge, der gleichzeitig Präsident der hiesigen jüdischen Gemeinde ist, zum Tee. In der Privatwohnung Hechaluz-Strasse werde ich von ihm und seiner Frau sehr liebenswürdig empfangen. Ich werde bekannt gemacht mit Oberrabbiner Landau und Frau, dem Landesrabbiner von Südafrika aus Johannisburg, mit Schwiegersohn und Frau des Gastgebers, Herrn Chet, mit Bankdirektor Nathanson von der Anglo-Palestine Bank, Bankdirektor Kassel von der Handels- u. Hypothekenbank, einem anderen Herrn aus Südafrika, dessen Namen ich nicht verstanden habe, sowie Herrn Lipschütz, Sekretär der U.O.B.B. Loge und zugleich Syndikus der Handelskammer Haifa und schliesslich mit Professor Hermann Struck, unserem berühmten Maler und Radierer, früher in Berlin wohnhaft, der den Weltkrieg als deutscher Offizier mitgemacht hat. Wir haben ein langes Gespräch, noch dessen Beendigung ich ein Autogramm zur Erinnerung erhalte. Nach dem Tee machte ich mit Professor Struck noch einen Spaziergang und begleitete ihn zu seinem hoch gelegenen Besitztum. Er wirkt sehr frisch und natürlich, echter Jude, Misrachist. Auf dem Rückwege werde ich in der Arlosoroff-Strasse von derjenigen Dame aus Marokko freudig begrüßt, die auf der „Vulkania“ gelegentlich der Lag Baumer Veranstaltung eine klassisch hebräische Rede hielt. Es ist eine Freude, solche Juden kennen gelernt zu haben. Wie klein kommen wir deutschen Juden uns vor. Wie wenig haben wir im Hebräischen gelernt und wie wenig wissen wir von diesem Heiligen Lande. Welche grossen Aufgaben gilt es für uns deutsche Juden zu erfüllen! Wie wenig haben wir bisher wirklich getan! Jeder deutsche Jude, der es wirtschaftlich noch ermöglichen kann, muss in Erez lsrael mittun! Heraus aus der Galuth in die Freiheit, sich eingliedernd in das jüdische Volk, an der Volkwerdung mitarbeitend! Wie gern möchte ich, wie Jakob aus Aegypten mit Weib und Kindern und Enkeln hierher ziehen.

28.5.34.

Die Hitze ist gleich vom frühen Morgen ab sehr gross. Um 6 Uhr steht die Sonne prall am blauen Himmel. Ich stehe auf der Veranda. Vor mir, fast mit den Händen greifbar, die tiefblaue Meeresbucht von Haifa. Vor mir, an der nördlichen Spitze der Bucht, das alte Akko, dahinter die Bergzüge von Gilboa, von Samaria und Galiläa, ganz hinten die syrischen Berge mit dem Hermon, rechts der Emek Jesreel, soweit das Auge reicht jüdischer Boden. Ganz rechts sehe ich einen Teil des oberen Karmels, an welchem überall Häuser wie Schwalbennester kleben und neu entstehen. Halb rechts zieht sich der Kischon durch das Land und mündet in das Meer. Ueberall neue Bauten, reges Leben. Im Geiste sehe ich vor mir auf dem Karmel eine neue dicht gebaute Stadt entstehen. Unten am Meeresufer zwischen Haifa und Akko wird der neue Stadtteil Kirjath Chajim wachsen. Haifa wird eine der wichtigsten Handelsstädte im nahen Orient sein, für unser Volk durch das gesunde Klima ein besonderer Anziehungspunkt. Infolge des grossen Hafens von Haifa dürfte Jaffa künftig als Handelshafen an Bedeutung verlieren.

–> Fortsetzung folgt

David Heimann, geboren am 12. März 1864 in Festenberg, Kreis Groß Wartenberg in Schlesien, war ein erfolgreicher Kaufmann für Lederwaren. Sein Geschäft eröffnete er zunächst in Pommern, wo er seine erste Frau Clara, geb. Amfeld ehelichte. Das Paar hatte drei Kinder: Theodor (geb. 1891), Thekla ( geb. 1895) und Else (geb. 1899). Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Oslo zog David Heimann 1904 mit seiner Familie nach Berlin, wo er sich in der jüdischen Gemeinde engagierte und eine Ausweitung des Synagogenbezirkes bis nach Oranienburg erwirkte. David Heimann war Vorsitzender der Synagogengemeinde sowie Kuratoriumsmitglied des Jugend-, Mädchen- und Altersheimes in Berlin-Hermsdorf. Nach dem Tod seiner Frau Clara 1924, heiratete er deren verwitwete Schwester Rosa.

David Heimann musste sein Haus Ende 1940 weit unter Wert verkaufen, nach damaliger Schreibweise “Entjudung”, und mit den noch verbliebenen Angehörigen in das s.g. Judenhaus nach Berlin-Hermsdorf umziehen. Seinen Kindern Thekla und Theodor konnte David Heimann die Ausreise nach England und die USA ermöglichen. David Heimanns eigener Versuch, nach Palästina auszuwandern, scheiterte. Das Palästina-Amt Berlin schrieb ihm: “Bei der Bearbeitung Ihres Fragebogens stellen wir fest, dass Sie bereits 75 Jahre alt sind. Da erfahrungsgemäss die Strapazen einer derartigenReise sehr gross sind, können wir es nicht verantworten, Menchen ihres Alters auf diesem Wege zur Alijah zu bringen.”

Rosa Heimann starb am 1. Januar 1942. David Heimann wurde 11. September verhaftet und drei Tage später mit dem 62. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert. Am 29. September 1942 wurde er weiter in Richtung Osten transportiert und galt als verschollen. David Heimann wurde vermutlich im KZ Minsk ermordet.

Im folgenden dokumentieren wir David Heimanns Tagebuch einer Reise nach Palästina im Jahr 1934.

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