Vor genau 70 Jahren ist mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Mit den ebenso bekannten wie erschütterten Fakten. Auch in der Tschechoslowakei waren nach dem Einmarsch der Nazi-Truppen in die so genannte „Rest-Tschechei“ im März 1939 Tausende Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer politischen Ansichten bedroht. Engagierte Menschen boten ihnen Unterschlupf oder organisierten ihre Flucht. Einer von ihnen war der Brite Nicolas Winton, der Hunderte Kinder mit Sonderzügen nach Großbritannien schickte. Der bisher größte dieser Transporte sollte am 1.September 1939 abfahren, doch schon wenige Stunden nach Kriegsbeginn waren die Grenzen dicht, und der Zug blieb in Prag. Am Dienstag gedachten auf dem Prager Hauptbahnhof Politiker und Zeitzeugen dieses Ereignisses…
Prag Hauptbahnhof, früh am Morgen: auf Bahnsteig eins drängen sich ungewohnt viele Menschen, eine Musikkapelle spielt. Und auch der bereitstehende Zug ist mehr als ungewöhnlich: die Wagen erinnern an die Glanzzeit der europäischen Schnellzüge und an der Zugspitze qualmen zwei mächtige Dampfloks. Der „Grüne Anton“ und der „Blaue Albatros“.
„Wir sind heute hier zusammengekommen, um den Reisenden nach London ‚Gute Fahrt’ zu wünschen. Aber natürlich auch und vor allem, um des 70 Jahrestags der Rettungsaktion für insgesamt 669 Kinder aus der Tschechoslowakei zu gedenken“, so der Präsident des tschechischen Senates, Přemysl Sobotka.
Organisiert hat diese Züge damals der Brite Nicolas Winton. Seine Tochter Barbara ist am Donnerstag nach Prag gekommen, um bei der Abfahrt des Jubiläumszuges dabei zu sein, und um im Namen ihres hundertjährigen Vaters eine Dankesbotschaft zu überbringen: „Das, was er getan hat, hat er nicht allein gemacht. Ohne die Hilfe der vielen mutigen Leute hätte er das Projekt nicht umsetzen können. Gerade hier in Prag hatte er Unterstützung von Menschen, die hier geblieben sind und ein großes Risiko eingegangen sind, um den Kindern dir Flucht zu ermöglichen.“
Ihr Vater freue sich schon darauf, am 4. September den Zug und seine Reisenden in London zu begrüßen, so Frau Winton.
Um punkt neun Uhr und eine Minute gibt der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg das Abfahrtssignal: „Verabschieden wir uns von allen Passagieren. ‚Fahrt frei‘ für den Zug zu Ehren von Sir Nicolas Winton!“
Radio Praha, 1.9.2009
Am Donnerstag kam der Zug in London an. An Bord waren auch einige der vor 70 Jahren geretteten Kinder, der Winton-Kinder. Ebenso an Bord des Zuges war aber auch der Radio Praha Korrespondent Vojta Berger, mit dem Christian Rühmkorf sprach:
Vojta, Du bist jetzt vier Tage mit dem Winton-Train von Prag nach London unterwegs gewesen. Ihr seid über Deutschland und Holland gefahren und habt unter anderem Station in Köln gemacht. Vojta, wie war die Fahrt in diesem historischen Sonderzug mit den ganzen, mittlerweile alt gewordenen Winton-Kindern?
„Für die Winton-Kinder war die ganze Reise vor allem eine einzigartige Gelegenheit sich zu treffen. Denn diese Leute treffen sich normalerweise gar nicht. Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg in der ganzen Welt verstreut. In dem Transporten im Jahre 1939 war es so, dass sich die älteren Kinder um die kleineren und kleinsten gekümmert haben. Und erst hier im Winton-Train konnten sich viele dieser jüngeren mit den älteren so richtig unterhalten und die gemeinsame Geschichte miteinander teilen. Außerdem hat der Winton-Train, der Winton-Zug, eine große, vielleicht sogar riesengroße Aufmerksamkeit geweckt. In allen Städten, wo wir halt gemacht haben – zum Beispiel in Köln – da wollte jeder unsere Dampflok auf einem Foto mit dem Kölner Dom haben. Und ich kann nur dazu sagen, dass alle Leute, die den Zug entlang der Strecke angeschaut haben, gelächelt haben und sagten, dass der Zug wirklich gute Laune verbreitet hat.“
Der Zug ist nun angekommen auf dem Londoner Bahnhof Liverpool Street. Ich nehme an, das war ein bewegender Moment, der mittlerweile 100-jährige Sir Nicolas Winton war ja auch gekommen, oder?
„Genau, man ist zuvor von einem großen Medieninteresse ausgegangen, und diese Erwartung hat sich auch bestätigt. Auf dem Bahnsteig hier im Bahnhof Liverpool Station haben hunderte Leute auf den Zug gewartet. Unter ihnen war auch Sir Nicolas Winton, der seine so genannten „Kinder“ herzlich begrüßt hat. Wie man sich vorstellen kann, war die Atmosphäre voll von Emotionen, von Freude. Hier und da konnte man auch Tränen sehen. Für die meisten war es zwar nicht die erste Begegnung mit Sir Winton, aber trotzdem waren die positiven Emotionen sehr stark.“
Radio Praha, 4.9.2009
[…] Dieser hier ist ein besonderer, dessen Ankunft wir ganz durch Zufall mitbekamen: der Winton Train, der eine Gedenkfahrt von Prag nach London machte und dabei am 2. September 2009 auch in Köln hielt. Sir Nicolas Winton rettete damals – vor 70 Jahren – viele Kinder vor den Vernichtungslagern der Nazis, s. auch hier in Deutsch. […]
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