BAK Shalom: Homosexualität ist kein Verbrechen, ganz sicher nicht in Tel Aviv

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Mit Entsetzen,Trauer und Wut nahm man beim „Bundesarbeitskreis Shalom“, der Plattform der Linksjugend gegen Antisemitismus und Antizionismus, die Nachricht vom Anschlag auf die Tel Aviver Niederlassung der Agudah zur Kenntnis, wo ein maskierter Mann am Samstag Abend eine Jugendgruppe überfallen hat und wahlos mit einem Maschinengewehr auf die Teenager schoss. Eine 17jährige und ein 26jähriger starben, 15 weitere wurden z.T. schwer verletzt. Der Mörder konnte unerkannt entkommen. Er versuchte noch in einen benachbarten Club einzudringen, wurde aber vom dortigen Sicherheitspersonal abgewehrt…

Auch wenn noch nicht klar ist, aus welchem Kreis der Mörder kommt, ist eines klar : Dieser Anschlag ist ein ganz gezieltes Hassverbrechen. Ein Verbrechen gegen die GLBT-Szene. Im Gegensatz zum religiösen Jerusalem ist Tel Aviv als sehr offen-liberale Metrople bekannt, umso größer nun die Betroffenheit.

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Aus der Mitteilung des „BAK Shalom“: Am Abend des 1. August 2009 bricht eine Illusion zusammen: Tel Aviv, bekannt für ihre Toleranz, Weltoffenheit und ihre Gay-Community gehört nun ebenfalls zu jenen Städten des Nahen Ostens, in denen Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transgender und all jene, die nicht in das heteronormative Geschlechterbild passen, um ihre Gesundheit und um ihr Leben fürchten müssen.

Zum Tathergang: Ein vollkommen schwarz gekleideter Mensch richtete wahllos seine Schnellfeuerwaffe auf Besucher_innen eines Gay-Cafés und tötete auf Anhieb 2 Menschen – Nir Katz (26) und Liz Tarbishi (17). Außerdem wurden eine Vielzahl weiterer Besucher verletzt, zum Teil schwer. Sie schweben noch immer in Lebensgefahr.

Die Mitglieder des BAK Shalom trauern um die Opfer und stehen den Angehörigen und den Mitgliedern der LGBT-Community zur Seite. Sie sehen in dem Angriff auf das Zentrum und seine Besucher einen Angriff auf die gesamte LGBT-Community Israels. Der BAK hofft, dass sich die Szene so schnell wir möglich von diesem Schock erholt und der Täter gefasst werden kann – bisher ist er noch immer auf freiem Fuß.

Besonders schockierend ist, dass gerade Tel Aviv Opfer eines solchen Anschlags werden konnte, eine Stadt in der die Szene allgemein akzeptiert ist. Fast täglich werden hier Gay-Parties gefeiert, es gibt Schwulen- und Lesbenbars, Homosexualität wird in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt, einmal im Jahr findet die Gay-Parade mit zehntausenden von Besucher_innen statt, die Schwule aus allen Teilen der Welt nach Tel Aviv zieht.

Überhaupt gilt Israel als eines der liberalsten und sichersten Länder für Schwule, Lesben, Transgender und Bisexuelle: „Eine außerhalb Israels geschlossene homosexuelle Ehe wird vom Staat anerkannt, und Paare gleichen Geschlechts dürfen Kinder adoptieren. Schwule und Lesben dienen in der Armee. Geschlechtsumwandlungen sind erlaubt und werden durchgeführt. Die LGBT-Gemeinde wird von weiten Bevölkerungsteilen akzeptiert. Lesben und Schwule sind in der Politik, im Wirtschaftsleben, im Rechtswesen, in den Streitkräften und in der Kulturszene vertreten.“ (Siehe auch „60 Jahre Israel: Die Rechte von Schwulen und Lesben in Israel“).

Nichtsdestotrotz gibt es eine Vielzahl von Menschen mit homophoben Einstellungen, die in erster Linie religiös motiviert sind. Auch in der israelischen Politik macht sich dies bemerkbar. 2008 erklärte der Abgeordnete Shlomo Benizri (Mitglied der ultraorthodoxen Shas-Partei) in einer Knessetsitzung zu seismographischen Aktivitäten, die Homosexualität sei für Erdbeben verantwortlich. Shas wird überhaupt nach dem Angriff in Tel Aviv für die Tat verantwortlich gemacht. Sie hätten den Hass zugespitzt mit Aussagen, Homosexualität sei Gotteslästerung und neben Erdbeben auch für Seuchen verantwortlich.

Nitzan Horovitz (Mitglied der linkszionistischen Meretz) – einziger Knessetabgeordneter, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekennt, erklärt dazu: „There has been non-stop incitement. I very much hope this is not the result of comments made by public figures and Knesset members. They need to understand that some people will take action.“
Horovitz macht sich nun stark, dass der Übergriff während der nächsten Knessetsitzung auf die Tagesordnung kommt und dieser durch das israelische Parlament verurteilt wird.

Die Chancen stehen dafür nicht schlecht: Auch Premierminister Netanjahun verurteilt die Tat („I unequivocally condemn the shocking murder.“) genauso wie sein Vize Silvan Shalom („This is a terrible and grave incident, where young people are hurt for no fault of their own. This cannot be called anything other than a terror attack, and it necessitates thorough investigation and the bringing of the murderer to justice.“). Auch Oppositionsführerin Zipi Livni („This difficult event must bring society to shake off prejudice, and to accept and recognize the right of every person to live in respect and safety.“) zeigt sich geschockt und bekundet Anteilnahme. Israels Staatspräsident Shimon Peres („Murder and hate are the two most terrible crimes in society.“) macht auf die gesellschaftlichen Folgen des Angriffs aufmerksam. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter anderer Parteien, der Anschlag wird fraktionsübergreifend und vom Großteil der Bevölkerung scharf verurteilt. Dennoch sind die Folgen für die Szene nicht absehbar. Wird sich die Community erholen können? Und wenn ja, wie schnell? Dafür sind vor allem zwei Faktoren abhängig:

1.Kann der Täter gefasst werden und wird er für sein Handeln gerecht bestraft?
2.Wie stark fällt die Solidarität mit der Community aus? Welche Konsequenzen fällt die Politik? Wie schnell werden andere Themen die Diskussion verdrängen?

Israel zählt zu den fortschrittlichsten und modernsten Ländern des Nahen Ostens. Aber dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land und seine Gesellschaft eine Vielzahl innenpolitischer Konflikte austrägt, die sich vor allem mit dem Thema Religion beschäftigen. Wie viel Religion darf die Politik bestimmen? Inwiefern beeinflusst sie den Alltag in Israel? Und an dieser Stelle werden einige Mängel deutlich, die vom Einstellen der öffentlichen Verkehrsmittel während Shabbat bis hin zum Fehlen einer Zivilehe reichen. Sicher ist es möglich, Schlupflöcher zu finden, bspw. Sammeltaxis für Shabbat oder der Eheschluss im Ausland, der dann in Israel auch anerkannt wird. Aber diese beiden Beispiele machen dennoch deutlich, dass Israel ein Problem mit seiner (ultra)orthodoxen Minderheit hat.

Der BAK Shalom macht schon in seiner Grundsatzerklärung deutlich, dass wir für eine Liberalisierung und Demokratisierung des Nahen Ostens eintreten, was zugleich ein Eintreten für sexuelle Selbstbestimmung bedeutet. Wir wünschen uns daher, dass es zukünftig noch stärkere Bemühungen in Israel geben wird, die die Trennung von Religion und Staat vorantreiben. Wir hoffen, dass der Anschlag dafür eine Initialzündung sein kann; wir sind es den Opfern schuldig.

Der BAK Shalom wird zukünftig noch intensiver den Kontakt zur israelischen Gay-Community suchen und die Themen Nahost, Queer und Feminismus miteinander verbinden. Im Juni nahmen Mitglieder des BAK Shalom an der Gay-Parade in Tel Aviv und Jerusalem teil. Ich selbst arbeite in einem israelischen Frauenhaus als Freiwilliger. Wir unterstützen Partyprojekte wie „Berlin Meshugge“, die von einer deutsch-israelischen Gay-Community in Berlin organisiert wird, ihnen drücken wir ebenfalls unser Beileid aus und wünschen ihnen Kraft. Diese Worte werden wir in einem Kondolenzschreiben zudem an die AGUDAH senden, den Verband israelischer Schwulen, Lesben, Bisexueller und Transgender.

In diesem Zusammenhang weisen wir auf die Arbeit des Tel Aviv-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung hin, das es seit Anfang des Jahres gibt. Das Büro zeichnet sich vor allem durch Arbeit zum Thema Feminismus aus. Wir heben diese Arbeit hervor und hoffen, dass das Büro zukünftig Ressourcen hat, das Themenspektrum auch um Schwul-Lesbische Projekte zu erweitern. Für den 4. August ist gegen 17 Uhr auf dem Breitscheidtplatz eine Demonstration unter dem Motto „Gegen Homophobie – Solidarität mit den Opfern des Anschalgs in Tel Aviv“ geplant, die wir ebenfalls unterstützen. Wir rufen alle auf an dieser Demonstration teilzunehmen, um Anteilnahme und Solidarität zu bekunden.

Stefan Kunath, stellvertretender Bundessprecher des BAK Shalom
Jerusalem, 3. August 2009

Anhang: Kondolenzschreiben an die AGUDAH

Dear Mike Hamel,
Here in Germany, the attack on Agudah and the murder of two people at the Cafe Noir have provoked our dismay and repugnance. We condemn this appalling crime.
This cowardly attack shows that the road towards true acceptance and toleration of gays and lesbians is still a long one, even in Israel. As the deputy chairperson of the Left Party parliamentary group in the German Bundestag and a member of the party’s executive committee, I would like to assure you and the other members and users of Agudah of our solidarity, and send our sympathy and condolences to the victims’ families and all their friends.
We believe that far more protection is needed for Agudah’s members and visitors, and that the Government of Israel should send out clear signals here.

In solidarity,
Yours sincerely,
Bodo Ramelow

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