Israel und Gaza: Realität und Rhetorik

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Der geschichtliche Rückblick auf Israels Umgang mit Gaza wirft ein Licht auf die strategischen Ziele des aktuellen Konflikts…

von Avi Shlaim

Der einzige Weg, um in Israels sinnlosem Krieg in Gaza einen Sinn zu finden, führt über ein Verständnis der historischen Zusammenhänge. Die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 war mit enormen Ungerechtigkeiten für die Palästinenser verbunden. Englische Politiker waren sich seinerzeit des großen Unrechts bewusst, das den Palästinensern durch die einseitige Unterstützung der Amerikaner für die Israelis angetan wurde. Am 2. Juni 1949 schrieb Sir John Troutbeck, seinerzeit britischer Botschafter in Ägypten, in einem Bericht an den Außenminister Ernest Bevin, die Amerikaner seien verantwortlich für die Schaffung eines Gangsterstaates unter der Führung „einer völlig skrupellosen Führerbande“. Bisher dachte ich, dies sei ein zu hartes Urteil; aber angesichts von Israels brutalem Überfall auf die Bevölkerung von Gaza und der Komplizenschaft der Regierung Bush stellt sich die Frage neu.

Ich schreibe dies als jemand, der Mitte der 1960er Jahre loyal in der israelischen Armee gedient und die Legitimität des Staates Israel in den Grenzen von 1967 nie in Frage gestellt hat. Allerdings lehne ich das zionistische Projekt völlig ab, sofern es über die „Grüne Linie“ hinausgreift. Die israelische Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens in der Folge des Juni-Kriegs 1967 hatte sehr wenig mit Sicherheit zu tun; es ging viel mehr um territoriale Expansionspolitik. Das Ziel war die Errichtung eines „größeren Israel“ mittels dauerhafter politischer, wirtschaftlicher und militärischer Kontrolle über die palästinensischen Gebiete. Das Ergebnis ist eine der längsten und brutalsten Militärbesatzungen in der modernen Geschichte.

Das Erbe

Die beinah vier Jahrzehnte dauernde Herrschaft über Gaza fügte der dortigen Wirtschaft enormen Schaden zu. Für diesen Landstrich, in dem eine aus Flüchtlingen von 1948 und ihren Nachkommen bestehende Millionen-Bevölkerung eingepfercht lebt, ohne Infrastruktur und ohne natürliche Ressourcen – für dieses Gaza waren die Aussichten nie glänzend. Doch handelt es sich hier nicht bloß um einen Fall wirtschaftlicher Unterentwicklung, sondern vielmehr um einen einzigartig grausamen Fall von absichtlicher Rückentwicklung. Israel hat die Bevölkerung von Gaza zu einem Reservoir billiger Arbeitskräfte und Monopol-Absatzmarkt für israelische Waren gemacht. Die Entwicklung lokaler Industrien wurde aktiv behindert. Das machte es den Palästinensern unmöglich, ihre Unterwerfung unter Israel abzuschütteln und die notwendigen wirtschaftlichen Grundlagen für wirkliche Unabhängigkeit zu legen.

Gaza ist ein klassischer Fall von kolonialer Ausbeutung im post-kolonialen Zeitalter. Zivile Siedlungen in besetzten Gebieten sind unmoralisch, ungesetzlich und bilden ein unüberwindliches Hindernis für Frieden. Sie sind gleichermaßen das Instrument der Ausbeutung und das Symbol der verhassten Besatzung.

Vor dem Rückzug Israels im Jahre 2005 betrug die Zahl jüdischer Siedler in Gaza lediglich 8.000 gegenüber 1,4 Millionen einheimischer Bevölkerung. Dennoch kontrollierten die Siedler 25 % des Gebiets, 40 % des bebaubaren Bodens und den Löwenanteil an den knappen Wasservorräten. Die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung lebte in dichter Nachbarschaft mit diesen fremden Eindringlingen, in bitterer Armut und unvorstellbarem Elend. 80 % vegetieren mit 2 Dollar am Tag. Die Lebensbedingungen in Gaza sind eine Beleidigung zivilisatorischer Werte, ein übermächtiger Beweggrund für Widerstand und ein fruchtbarer Nährboden für politischen Extremismus.

Im August 2005 inszenierte die von der rechten Likud-Partei geführte Regierung des Ministerpräsidenten Ariel Sharon einen einseitigen Abzug aus Gaza, bei dem alle 8.000 Siedler abgezogen und die von ihnen zurückgelassenen Häuser und Landwirtschaftsbetriebe zerstört wurden. Angesichts des Widerstands der Hamas wäre ein Verbleib der Siedler selbst den israelischen Rechten zu teuer geworden. Der Abzug war ein Sieg für die Hamas und eine Demütigung für die israelische Armee.

Der Welt präsentierte Sharon den Rückzug aus Gaza als Beitrag zum Frieden auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung. Im Jahr darauf jedoch siedelten sich weitere 12.000 Israelis im Westjordanland an, womit sie den territorialen Spielraum für einen unabhängigen Palästinenserstaat weiter reduzierten. Landraub und Frieden sind schlicht unvereinbar. Israel hatte die Wahl: es entschied sich für Land statt für Frieden.

Im Wirklichkeit sollte der Abzug aus Gaza dazu dienen, die Grenzen des „größeren Israel“ einseitig neu zu ziehen, indem man die Hauptsiedlungsblöcke im Westjordanland dem Staat Israel zuschlug. Insofern war der Rückzug aus Gaza kein Vorspiel zu einem Friedensabkommen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, sondern der Auftakt zu weiterer zionistischer Expansion im Westjordanland. Es war ein einseitiger Schachzug im, wie ich meine, falsch verstandenen Interesse Israels. Der Rückzug aus Gaza wurzelte in der grundsätzlichen Ablehnung einer palästinensischen Identität, er war Teil des langfristigen Unterfangens, dem palästinensischen Volk eine unabhängige politische Existenz im eigenen Land zu verweigern.

Israels Siedler zogen ab, aber Israels Soldaten kontrollierten weiterhin jedweden Zugang zum Gazastreifen, zu Land, zu Wasser und aus der Luft. Gaza wurde über Nacht in ein Freiluft-Gefängnis verwandelt. Seitdem genießt die israelische Luftwaffe uneingeschränkte Freiheit, die leidgeprüften Gefängnisinsassen zu terrorisieren: sie wirft Bomben, und ihre Flugzeuge erzeugen unerträglichen Lärm, indem sie den Gazastreifen mit Überschallgeschwindigkeit in geringer Höhe überfliegen.

Der Widerspruch

Israel stellt sich gern als Insel der Demokratie mitten in einem Meer autoritärer Regime dar. Indessen hat es in seiner gesamten Geschichte niemals etwas zur Förderung der Demokratie auf der arabischen Seite getan, sondern im Gegenteil einiges dagegen unternommen. Israel hat insgeheim und von langer Hand mit reaktionären arabischen Regimen zusammen gearbeitet, um den palästinensischen Nationalismus zu unterdrücken.

Trotz aller Handikaps ist es dem palästinensischen Volk gelungen, die einzige echte Demokratie in der arabischen Welt (vielleicht mit Ausnahme Libanons) zu errichten. Im Januar 2006 brachten freie und faire Wahlen zum Legislativrat der palästinensischen Autonomiebehörde eine von der Hamas geführte Regierung an die Macht. Israel weigerte sich jedoch, diese demokratisch gewählte Regierung anzuerkennen, mit der Behauptung, die Hamas sei ganz einfach eine terroristische Organisation.

In schamloser Weise zogen Amerika und die Europäische Union mit Israel gleich in dem Bemühen, die geächtete und dämonisierte Regierung dadurch zu Fall bringen, dass man die Auszahlung von Zolleinnahmen und Entwicklungshilfe zurückhielt. So entstand folgende surreale Situation: ein wesentlicher Teil der internationalen Gemeinschaft verhängte wirtschaftliche Sanktionen – nicht gegen die Besatzer, sondern gegen die Opfer der Besatzung, nicht gegen die Unterdrücker, sondern gegen die Unterdrückten.

Wie so oft in der tragischen Geschichte Palästinas machte man die Opfer für ihr eigenes Unglück verantwortlich. Israels Propagandamaschine produzierte hartnäckig die Überzeugung, dass die Palästinenser Terroristen sind, dass sie die Koexistenz mit dem jüdischen Staat ablehnen, dass ihr Nationalismus nichts anderes ist als Antisemitismus, dass die Hamas ein Haufen religiöser Fanatiker und der Islam unvereinbar ist mit Demokratie. Aber die einfache Wahrheit ist doch, dass die Palästinenser normale Menschen mit normalen Hoffnungen und Wünschen sind. Sie sind nicht besser, aber sie sind auch nicht schlechter als irgendein anderes Volk. Was sie erstreben ist vor allem ein Stück Land, das sie ihr eigen nennen und auf dem sie in Freiheit und Würde leben können.

Wie andere radikale Bewegungen auch begann die Hamas mit ihrem Aufstieg zur Macht ihr politisches Programm zu mäßigen. Sie verabschiedete sich von der ideologischen Verweigerungshaltung ihrer Charta und bewegte sich allmählich auf die praktische Akzeptanz einer Zwei-Staaten-Lösung zu. Im März 2007 bildete sie mit der Fatah, der von Yasir Arafat bis zu seinem Tode 2004 geführten säkularen nationalistischen Bewegung, eine Regierung der nationalen Einheit, die bereit war, mit Israel über einen langfristigen Waffenstillstand zu sprechen. Israel jedoch weigerte sich, mit einer Regierung zu verhandeln, an der die Hamas beteiligt war.

Stattdessen spielte Israel weiter das alte Spiel von „teile und herrsche“ zwischen den rivalisierenden palästinensischen Parteien. In den späten 1980er Jahren hatte Israel die im Entstehen begriffene Hamas unterstützt, um die Fatah zu schwächen. Nun ermutigte es die korrupten und gefügigen Fatah-Führer, ihre religiösen politischen Rivalen zu stürzen und die Macht zurück zu gewinnen. Von Seiten Amerikas beteiligten sich aggressive Neo-Konservative unter Führung von Elliot Abrams an dem finsteren Plan, einen palästinensischen Bürgerkrieg anzuzetteln. Ihre Einmischung trug wesentlich zum Zusammenbruch der nationalen Einheitsregierung bei und bewog die Hamas, im Juni 2007 die Macht in Gaza zu übernehmen, um einem Coup der Fatah zuvorzukommen.

Die Täuschung

Der Krieg, den Israel am 27. Dezember 2008 gegen Gaza entfesselte, war der Höhepunkt einer Reihe von Zusammenstößen und Konfrontationen mit der Hamas-Regierung. Im eigentlichen Sinn ist es jedoch ein Krieg zwischen Israel und dem palästinensischen Volk, denn das Volk hatte die Partei gewählt. Das erklärte Ziel des Kriegs ist die Schwächung der Hamas, der immer stärkere Druck soll ihre Führer dazu bringen, einem neuen Waffenstillstand unter den Bedingungen Israels zuzustimmen. Das unerklärte Ziel ist es sicher zu stellen, dass die Palästinenser in Gaza von der Welt lediglich als ein humanitäres Problem wahr genommen werden, und damit den Kampf der Palästinenser für einen unabhängigen Staat zum Scheitern zu bringen.

Der Zeitplan des Krieges wurde von politischer Opportunität bestimmt. In Israel sollen am 10. Februar 2009 allgemeine Wahlen stattfinden; mit ihrem Näherrücken sind die Hauptkontrahenten bemüht, Härte zu zeigen. Der Armeeführung ging es darum, der Hamas einen vernichtenden Schlag zu versetzen, um die Scharte auszuwetzen, die sie durch das Debakel im Krieg gegen die Hisbullah im Libanon im Sommer 2006 erlitten hatte. Israels zynische politische Führung konnte sich auf die Apathie und Unfähigkeit der pro-westlichen arabischen Staaten und auf die blinde Unterstützung durch den amerikanischen Präsidenten im Dämmerlicht seiner zu Ende gehenden Amtszeit im Weißen Haus verlassen; Bush war nur allzu gern bereit, der Hamas die gesamte Schuld an der Krise anzulasten; im UN-Sicherheitsrat stimmte er wiederholt gegen Vorschläge für eine sofortigen Waffenruhe und gab Israel freie Fahrt für den Start einer Bodenoffensive in Gaza.

Wie immer behauptet das mächtige Israel, es sei das Opfer einer palästinensischen Aggression. Die eklatante Asymmetrie zwischen den beiden Kontrahenten lässt allerdings wenig Raum für Zweifel darüber, wer das wahre Opfer ist. Dies ist in der Tat ein Kampf zwischen David und Goliath, nur dass das biblische Bild hier umgekehrt wird: ein wehrloser kleiner David steht einem anmaßenden, schwer bewaffneten und gnadenlosen israelischen Goliath gegenüber. Man greift zu brutaler militärischer Gewalt und begleitet das, wie stets, mit der schrillen Rethorik von der Opferrolle und dem Gemisch von Selbstmitleid, das mit Selbstgerechtigkeit verbrämt wird. Im Hebräischen nennen wir es das bokhim ve-yorim Syndrom, will sagen „Tränen vergießen und Schießen“.

Gewiss ist Hamas in diesem Konflikt eine nicht ganz unschuldige Partei. Da sie sich um ihren Wahlsieg gebracht und mit einem skrupellosen Gegner konfrontiert sah, griff sie zur Waffe der Schwachen: Terror. Militante Mitglieder von Hamas und Islamischem Jihad schossen fortgesetzt Kassam-Raketen auf israelische Wohngebiete in der Nähe der Grenze zu Gaza, bis Ägypten schließlich im Juni 2008 einen auf sechs Monate begrenzten Waffenstillstand zustande brachte. Der Schaden, den die primitiven Raketen anrichten, ist minimal, aber die psychologische Wirkung ist immens. Sie hatte zur Folge, dass die israelische Öffentlichkeit von ihrer Regierung Schutz forderte. Unter diesen Umständen hatte Israel das Recht zur Selbstverteidigung, aber die Antwort auf die Nadelstiche dieser Raketenangriffe war völlig unverhältnismäßig. Die Zahlen sprechen für sich: in den drei Jahren nach dem Rückzug aus Gaza im August 2005 kamen elf Israelis durch Raketenbeschuss ums Leben. Demgegenüber tötete die israelische Armee allein zwischen 2005 und 2007 in Gaza 1.290 Palästinenser, darunter 222 Kinder.

Wie auch immer die Zahlen, die Tötung von Zivilisten ist verboten – Punkt. Diese Regel gilt für Israel genau so wie für Hamas, aber zu Lasten Israels geht eine ungezügelte und unversöhnliche Brutalität gegenüber den Einwohnern von Gaza. Außerdem hielt Israel die Blockade von Gaza auch nach dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes aufrecht, was nach Ansicht der Hamas-Führer einen Bruch der Vereinbarung darstellte. Während des Waffenstillstandes verhinderte Israel jedweden Export von Waren aus dem Gazastreifen, eine klare Verletzung des 2005 geschlossenen Abkommens, die zu einem drastischen Verlust an Arbeitsplätzen führte. Sogar nach offiziellen Schätzungen ist in Gaza die Hälfte der Menschen im arbeitsfähigen Alter arbeitslos. Gleichzeitig beschränkte Israel drastisch die Zahl der Transporte, die Gaza mit Lebensmitteln, Kraftstoffen, Flaschengas, Ersatzteilen für Wasserversorgung und –aufbereitung und Medikamenten versorgen. Es ist schwer vorstellbar, wie das Aushungern und Frierenlassen der Zivilbevölkerung in Gaza den Menschen auf der israelischen Seite der Grenze Schutz bringen könnte. Aber selbst wenn es so wäre, so wäre es immer noch unmoralisch, eine Form kollektiver Bestrafung, die das internationale humanitäre Recht streng untersagt.

Der Brutalität seiner Soldaten entspricht in Israel die Verlogenheit seiner Regierungssprecher. Im April 2008 richtete Israel ein Nationales Informationsamt ein. Die zentrale Botschaft dieser Behörde an die Medien lautet, dass Hamas die Waffenstillstandsvereinbarungen gebrochen hat; dass das Ziel Israels der Schutz seiner Bevölkerung ist; und dass die israelischen Streitkräfte sich aufs äußerste bemühen, keine unschuldigen Zivilisten zu verletzen. Die offiziellen Medienberater haben bemerkenswerte Arbeit geleistet. Aber im wesentlichen ist ihre Propaganda nichts als ein Haufen von Lügen.

Das Problem

Zwischen Israels Reden und Taten besteht eine tiefe Kluft. Nicht die Hamas, sondern die israelische Armee hat den Waffenstillstand gebrochen. Das geschah durch einen bewaffneten Einfall nach Gaza am 4. November 2008, dem Tag der Präsidentenwahlen in den USA. Der Angriff brachte sechs Hamas-Leute ums Leben. Israels Ziel ist nicht nur die Verteidigung seiner Bevölkerung, sondern der Sturz der Hamas-Regierung in Gaza, indem es die Menschen gegen ihre Führung aufbringt. Überdies nimmt Israel keineswegs Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, sondern macht sich durch wahllose Bombardements ebenso schuldig wie durch eine dreijährige Blockade, die die 1,5 Millionen Menschen in Gaza an den Rand einer humanitären Katastrophe gebracht hat.

Die biblische Aufforderung des „Auge um Auge“ ist schlimm genug. Aber Israels irrsinnige Offensive gegen Gaza folgt offenbar der Logik von „Auge um Augenwimper“. Nach achttägigen Bombenangriffen mit einer Opferbilanz von mehr als 400 Palästinensern und vier Israelis schoss die übereifrige Regierung weiter über das Ziel hinaus und ordnete eine Bodenoffensive an, deren Folgen unkalkulierbar sind.

Aber mit keiner noch so großen militärischen Eskalation wird Israel sich Schutz vor den Raketenangriffen des bewaffneten Flügels der Hamas erkaufen. Dem Tod und Verderben zum Trotz, mit denen Israel sie überzieht, halten sie ihren Widerstand aufrecht und feuern weiter Raketen ab. Es handelt sich um eine Bewegung, die Opfermut und Märtyrertum verherrlicht. Für den Konflikt zwischen den beiden Seiten gibt es einfach keine militärische Lösung.

Israels Sicherheitskonzept hat einen gravierenden Mangel: es verweigert der anderen Seite die elementare Sicherheit. Sicherheit kann Israel nicht mit Waffen, sondern allein durch Gespräche mit der Hamas erreichen. Die Hamas hat wiederholt erklärt, dass sie bereit ist, mit dem jüdischen Staat einen langfristigen Waffenstillstand in den Grenzen vor 1967 auszuhandeln – einen Waffenstillstand, der zwanzig, dreißig oder sogar fünfzig Jahre halten könnte. Israel hat dieses Angebot aus dem selben Grunde abgelehnt wie es den Friedensplan der Arabischen Liga von 2002 verschmäht hat. Dieser Plan liegt weiter auf dem Tisch – er verlangt Zugeständnisse und Kompromisse.

Dieser kurze Rückblick auf Israels Bilanz der letzten vierzig Jahre macht es schwer, den folgenden Schluss zu vermeiden: Israel hat sich zu einem Schurkenstaat mit einer völlig skrupellosen Führungsriege entwickelt. Ein Schurkenstaat verletzt gewohnheitsmäßig internationales Recht, er besitzt Massenvernichtungswaffen und praktiziert Terrorismus, will sagen Gewaltanwendung gegen Zivilisten zur Erreichung politischer Ziele. Israel erfüllt diese drei Kriterien; die Rolle passt und wird gespielt. Israels wahres Ziel ist nicht die friedliche Koexistenz mit seinen palästinensischen Nachbarn, sondern militärische Unterwerfung. Israel verschlimmert die Fehler der Vergangenheit durch immer verhängnisvollere neue. Politiker können, wie jeder andere auch, die Lügen und Fehler der Vergangenheit immer wieder begehen. Aber sie müssen es nicht zwangsläufig tun.

Avi Shlaim ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Oxford. Er ist in Bagdad geboren und in Israel aufgewachsen. Er spricht sowohl Hebräisch als auch Arabisch. Shlaim, der israelischer und britischer Staatsbürger ist, schreibt regelmäßig für den Guardian und ist Autor von „Die eiserne Wand: Israel und die arabische Welt“ und „Löwe von Jordanien: Das Leben von König Hussein in Krieg und Frieden„.

Autor: Avi Shlaim אבי שליים أفي شلايم / Übersetzung: Ulrike Vestring.
Quelle: http://www.opendemocracy.net

10 Kommentare

  1. OK, hast schon Recht, es hatte nur irgendwie nicht viel mit dem zu tun, was dem Kommentar vorangegangen war.

  2. @miroslav:

    diese bizarre form verschwörungstheoretischen denkens kannte ich noch gar nicht – ein jüdischer kritiker der israelischen regierung vertrete in wirklichkeit eine ganz andere meinung, werde aber insgeheim gezwungen, öffentlich kritik zu äußern.

    oder ist es nur der alte trick: wenn du auf der inhaltlichen ebene keine gegenargumente hast, versuch es mit persönlichen diffamierungen?

  3. Habe ich etwas von Tito geschrieben oder irgendwas, was in diese Richtung weisen könnte?

    Nö, Du nicht. ICH  habe etwas von Tito geschrieben um zu betonen, dass nicht jeder Diktator überall eine  jüdische Weltverschwörung sehen muss. Stalin musste es. Hitler musste es.  Tito musste es nicht.  Als Kroate habe ich Tito noch als unseren Führer „gut“  im Gedächtnis.

  4. Wie soviele israelische Eigenhasser flüchtete sich auch Prof Shlaim nach England, das nach Weltkrieg II zum zentralen Treffpunkt aller Israelbashers und Antisemiten geworden ist.
    Zu dem Zitat über den Gangsterstaat kann ich den Auspruch eines englischen Offiziers in einem der Lager in Zypern (wo die sogenannten illegalen Einwanderer aus den KZ nach Palästina eingesperrt wurden)hinfügen : Schade daß die Nazis ihre Aufgabe nich ganz ausführen konnten. Auch die Gleise nach Auschwitz waren sie nicht bereit zu bombardieren. Diese Einstellung scheint sich nicht verändert zu haben

  5. @Dimitri

    Tito war zwar kein Engel, ganz Gegenteil, aber ich weiß ihn dafür  zu schätzen, dass er die Sowjets nach dem Krieg aus Jugoslawien verjagt hatte. Titoismus war im Vergleich zum Stalinismus wirklich kleineres Übel. Obwohl ein Übel bleibt ein Übel.

  6. @Miroslav: 1937/38 ging es nicht um Juden, sondern um wesenlich größere Teile der sowjetischen Gesellschaft und Eliten, darunter natürlich auch Juden. Du hast aber Recht, die Prozessakten sind ein gutes Beispiel dafür, zu welch unglaublichen Aussagen und Anklagen gegen geliebte Männer, Frauen, Mütter, Väter man die Menschen zwingen kann. Und noch ein Beispiel von mittelbarer antisemitischer Hetze in der Sowjetunion: Kosmopolitenverfolgung Ende 1940er.

  7. @Yael,
    Wovon spricht er eigentlich? Spätestens hier wird deutlich, dass er anscheinend überhaupt nicht weiß, wovon er redet.

    das glaube ich steht nicht zur Debatte. Ich schätze, dass es genau weiß was er sagt, er glaubt zwar nicht daran, aber MUSS das sagen. Hast Du schon von Moskauer Prozessen 1937/38 gegen die Juden gehört? Hast Du schon Mal vom Rudolf Slansky Prozes 1952 gelesen, oder über den stalinistischen Prozessen gegen die jüdsiche Ärzte 1952?
    Wenn Du gelesen hättest was diese Menschen in ihrer verzeweifelter Lage unter Folter zugaben, würdest niemals glauben, dass sie das freiwillig getan haben. Jedem normalen Mensch, der diese Verhörprotokolle und Prozessakten liest, muss auch klra gewesen sein, dass es einfach nicht der Wahrheit entspricht.

    Herr Avi Schleim gibt von sich auch irgendwelche Geschichte die man als Unwahrheit bezeichnet kann.   Und auch viele anderen Juden und Israelis, die im britischen Wissenschaftsbetrieb ihr Auskommen gefunden haben verlautbaren ihr Entsetzen über die völlig skrupellosen Führerbande eines Gangsterstaates.

    Sind diese Menschen gefoltert worden? Nein, körperlich bestimmt nicht. Aber wenn sie jeden Tag mit Boykottaufrufen konfrontiert werden, wenn der Durck der Umwelt auf sie immer mehr steigt, dann haben sie auch ein Gefühl der Ausweglosigkeit. Nur eine harte Abgrenzung vom  Israel, kann sie noch von der existenziellen Ruin bewähren.
    Und wenn die Charakter schwach ist, dann wird so ein Mensch wie Judt oder Shlaim das tun. Dann ist er auf der richtigen Seite und wird für sein Mut noch von nichtjüdischen Israelkritiker gefeiert und als jüdischer Zeuge mißbraucht und Ressentiments legalisiert. Ob das ihn stört? Wer kann das wissen. Es gab immer in jedem Staat Renegaten die irgendwelche Nutzen aus der Leugnung seines Staates zogen. Petain und Quisling sind die, die mir sofort einfallen.
    Du weißt doch wie das abläuft, wenn man sich nicht als Antisemit outet möchte, sondern als Israelkritiker einen kashrut Stempel braucht.
    Zunächst lässt man einen Juden, der qua Selbstauskunft und nach Ansicht seiner Protegés gar nicht antisemitisch sein könne, Positionen gegen Israel vortragten, die man in dieser Vehemenz selbst – noch – nicht formulieren wag. Hinter dieser einstweiligen Vorsicht steht nicht nur die Halluzination der von Alfred Grosser erwähnten „Keule über den Köpfen“ , die deutschen Schädeln Schmerzen zu bereiten droht, sondern eben auch die taktische Flinte, sich später ruhigen Gewissens auf genau jene jüdische Stimme gegen Israel berufen zu können und sich selbst auf diese Weise gegen die Kritik an der Israelkritik zu immunisieren.

    Für mich stehen immer die „DREI Ds“ vom Sharansky zur Hand, wenn ich eine Aussage auf die antisemitischen Inhalte überprüfen will- ob sie vom Juden/Israeli oder von Nichtjuden kommt, spielt da für mich keine Rolle.
    Die Beweggründe eines Nichtjuden sich antisemitisch zu äußern interessieren mich auch nicht. Ein Teil der Weltbevölkerung ist seit Jahrtausenden Judeophobisch.
    Was mich aber dabei wirklich interessiert, warum die Juden das tun.
    Um sich wieder in der Opferrolle zu finden? Diesmal als von Juden verfolgten Antisemiten?
    Die jüdische Seele ist vielschichtiger als man sich das vorstellen könnte.

  8. Da sie sich um ihren Wahlsieg gebracht und mit einem skrupellosen Gegner konfrontiert sah, griff sie zur Waffe der Schwachen: Terror. 

    Auch etwas was ich nie verstehen werde: Denn waren die Terroristen der RAF schwach, ist Ossama bin Laden und Al Quaida schwach, kommen die aus schwierigen Verhältnissen? Damit wird der Rechtfertigung von Terror Tor und Tür geöffnet. 
    Terroristenexperten wie Kai Hirschmann oder Christian Leggemann und viele andere seriöse Wissenschaftler haben diese Thesen schon längst widerlegt, denn weder kommen Terroristen (schon gar nicht die Hamas) bevorzugt aus besonders sozial-schwierigen Verhältnissen, noch sind es schwache Menschen, die gar nicht anders können. 

    Trotz aller Handikaps ist es dem palästinensischen Volk gelungen, die einzige echte Demokratie in der arabischen Welt (vielleicht mit Ausnahme Libanons) zu errichten. 

    Wovon spricht er eigentlich? Spätestens hier wird deutlich, dass er anscheinend überhaupt nicht weiß, wovon er redet. 

    *wunder über wunder*

  9. Prof. Avi Shlaim hat sich opportunistisch richtig positioniert.
    Dank solchen israelischen Staatsbürger wie Prof. Avi Schlaim, kann man nicht mehr behaupten, dass ALLE Israelis hinter einer völlig skrupellosen Führerbande eines Gangsterstaates stehen. Allerdings muss man schon sagen, dass Herr prof. Avi Shlaim 60 Jahren lang total blind war. Das diese Bezeichnung „eine völlig skrupellosen Führerbande eines Gangsterstaates “ wurde von einem ausgewiesenen Freund des jüdischen Volkes am 2. Juni 1949 vom  Sir John Troutbeck, seinerzeit britischer Botschafter in Ägypten verwendet.
    Prof. Avi Shlaim brauchte ganze 60 Jahren um zu einem solchen Urteil zu gelangen.
    Für einen Akademiker ist das entweder eine Schande, oder ein Versuch seine Haut zu retten.
    An den britischen Unis geht es z.Z. wie in der stalinistischen Sowjet Union. Wer als Jude und Israeli keine Kritik des Staaten Israel öffentlich betreibt, der begeht sein wissenschaftlichen Selbstmord. Das Klima an den britischen Unis ist so stark mit der Israelkritik durchtränkt, dass nur ein Mensch mit Rückgrat das aushalten kann ohne sofort opportunistisch sich zum Mainstream anzuschliessen und im Chor der „Antizionisten“ mitzusingen. Sonst ist man als Israeli erledigt und wie ein Leprakrank gemiedet.
    Kein Wunder daher, dass sich die britischen Juden reihenweise zu Antizionisten erklären. Das kostet nicht viel, aber es bringt enorm viel an Anerkennung von den anderen Akademiker. Und die Mitarbeit mit den moslemischen Wissenschaftler an gemeinsamen Projekten kann ruhig fortgesetzt werden.

    Die Frage, die ich mir stelle lautet: Ist diese „Israelkritik“ vom Prof. Avi Shlam wirklich aus Ãœberzeugung und vom Herzen kommende Kritik? Oder ist das nur eine Modeerscheinung wie die Bewegung um Tony Judt: „Israel ist schlecht für die Juden“? Ein Grabenkampf zwischen Diaspora und Israel? Eine reine innerjüdische Angelegenheit, die rasch ins Gegenteil umschlagen kann, wenn die israelische Argumente stärker werden, oder Judenhass in GB stärkere Züge annimmt?
    Was denken die Juden wirklich? Wie denken sie? Und warum denken sie so und nicht anders?
    Ein Blick in die Seelen und auf die Lage der jüdischen Intellektuellen in Groß Britanien gewährt in seiner Publikation aus dem Jahre 2004  Prof. Alvin H. Rosenfeld. Der Direktor des Institute for Jewish Culture and the Art an der Indiana University. Die Publikation trägt den  Titel: Antizionism in Great Britain and Beyond: A >Respectable< Antisemitism?
    Prof. Rosenfeld ist ebenfalls Autor vom dem Essay “ ´Fortschrittliches´jüdisches Denken“, der in Amerika für Aufregung sorgte.

    Zu diesem Essay verfasste Leon de Winter ein Vorwort in dem er u.a. schrieb:
    „Jüdische Gewalt wird anders bewertet als islamische. Ein von Juden umgebrachter Palästinenser ist ein Opfer anderer Kategorie. Er scheint eine andere Art Opfer zu sein als ein Palästinenser, der in einem libanesischen Flüchtlingslager getötet wird, oder einer, der in den Bruderkämpfen in Gaza stirbt. Was unterscheidet das traurige Schicksal der Palästinenser vom Los der Tibeter? Warum ist der Nachrichtenwert eines ermordeten Muslims in Darfur geringer als der des Palästinensers, der im Konflikt mit Israel stirbt?“

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