Eric Zemmour – ein rechtsradikaler Gefährder als Medienstar

0
46

Frankreichs prominentester Ultra-Nationalist hält per TV einen gewaltschwangeren Diskurs gegen Muslime. Er rechtfertigt Kolonialismus und Sklaverei. Das französische Kollaborationsregime will er von jeder Schuld an der Deportation der Juden reinwaschen. Die Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye, die in Senegal geboren wurde, verspottet er mit rassistischen Anspielungen. Aber seine liberalen Gegner haben wegen des Dschihadisten-Terrors einen schweren Stand…

Von Danny Leder, Paris

Am Montag den 28. Oktober wurde am Eingang der Moschee von Bayonne, im französischen Baskenland, von einem Angreifer Feuer gelegt. Zuvor hatte der Täter auf einem vor dem Gebäude sitzenden 74 jährigen Gläubigen geschossen und diesen im Brustbereich lebensgefährlich verletzt. Ein weiterer Gläubiger, ein 78 Jähriger, der den Angriff mit ansah, versuchte in seinem Auto zu flüchten, wurde aber vom Täter eingeholt, und durch das offene Wagenfenster angeschossen. Der Angreifer zündete anschließend auch noch den Wagen an, in dem Opfer sein lag. Herbeigeeilte konnten den Schwerverletzten im letzten Augenblick noch aus dem brennenden Wagen bergen.

Bei dem kurze Zeit später festgenommenen Täter handelte es sich um Claude Sinké, einen 84 Jährigen, der sich (auf seinem Briefkasten) als „Bildhauer – Schriftsteller“ präsentierte und in seiner Nachbarschaft als Eigenbrötler galt, der durch besonders häufige rassistische, vornehmlich anti-muslimische Tiraden auffiel. In der von ihm allein bewohnten Villa prangte Marine Le Pen auf einem großen Plakat. Bei Bezirkswahlen 2015 hatte Sinké für die Partei von Le Pen, den „Front National“, kandidiert.

Die Rechtsaußen-Partei, inzwischen in „Rassemblement national“ umbenannt, verurteilte umgehend den Anschlag von Bayonne und beteuerte, sie habe Sinké bereits vor längerem wegen – nicht näher definierter – Äußerungen ausgeschlossen. Sinké outete sich aber auch als Bewunderer von Eric Zemmour, einem ultra-nationalistischen Essayisten, der mit Bestsellern und zahllosen Medien-Auftritten ein Millionen-Publikum erreicht. Marine Le Pen hatte Zemmour für die EU-Wahlen im vergangenen Mai den zweiten Platz unter den Spitzenkandidaten ihrer Partei angeboten. Zemmour hatte aber abgelehnt, weil er den ersten Platz beanspruchte.        

Damit firmiert eine Persönlichkeit, die sich bis zu einem gewissen Grad auch als „jüdisch“ definiert, als einer der auffälligsten Einpeitscher gegen den Islam. Denn der 61 jährige Eric Zemmour ist nicht nur jemand, der bloß aus einer jüdischen Familie aus Algerien stammt und einen Namen trägt, der unter Juden aus dem Maghreb verbreitetet ist (Zemmour bedeutet in der Berbersprache: Olivenbaum), sondern er führt auch gelegentlich seine jüdische Familiengeschichte für seine ideologische Parteinahme, allerdings auf sehr spezielle Weise, ins Treffen. Ebenso bekennt er sich zu einer diskreten Fortführung jüdischer Feiertagstraditionen.  

Eine im TV live übertragene Brandrede

Nur wenige Tage vor dem Angriff auf die Moschee von Bayonne hatte Zemmour vor einem „Konvent“ mehrerer nationalistischer und erzkonservativer Bewegungen (unter der Leitung von Marion Marechal-Le Pen, der Nichte und Rivalin von Marine Le Pen) eine einstündige Rede gehalten, die von LCI, einem angesehenen französischen TV-Nachrichtensender, live und in voller Länge übertragen wurde. 

Dabei hatte Zemmour seine politischen Glaubenssätze in derartig geballter Weise vorgetragen, dass sie sogar bei einem Teil des anwesenden Publikums auf Zurückhaltung stießen. Ein prominenter konservativer Journalist, Dominique Jamet, ortete „fast demente“ Äußerungen.       

Zemmour, der jede Unterscheidung zwischen moderaten und radikalen Strömungen unter den Muslimen für ein Trugbild hält, sprach von einer „Invasion, Kolonisierung und Besetzung“ Frankreichs durch den aus seiner Sicht seit je her totalitären und unveränderlich aggressiven Islam. Als Einfallstore für den sich verbreitenden Islam würden der „Handels-Universalismus“ der „kosmopolitischen Eliten“ sowie der liberale „Individualismus“ und das „Menschenrechlertum“ dienen.  

Goebbels  – ein „bescheidener Handwerker“ neben der „Tyrannei der Menschenrechtler“

Laut Zemmour würden das „Menschenrechtlertum“ und der „Progressismus der Eliten“ eine „tyrannische Macht“ ausüben. Im Vergleich zur propagandistischen Wirksamkeit der  „Menschenrechtler“ würde  Goebbels bloß als „bescheidener Handwerker“ erscheinen. 

Aus der Sicht von Zemmour würden die liberalen und linken „Menschenrechtler“ der „islamischen Kolonisierung“ Vorschub leisten, wodurch die Zukunft Europas „auf die Belagerung Wiens (durch das türkische Heer) im Jahr 1683 zurückgeworfen“ sei.    

Durch die Umkehr der demographischen Kräfteverhältnisse zwischen Europa und Afrika würde nunmehr den „weißen Europäern“ das einstige Schicksal der Afrikaner und amerikanischen Ureinwohner drohen: „Die Indianer und Sklaven (der „islamisch-afrikanischen Kolonisierung“) seid Ihr“, rief Zemmour ins Publikum. Frankreich stünde die „Ausmerzung des weißen, heterosexuellen, katholischen Mannes“ bevor.  Fazit: „Werden es die jungen Franzosen akzeptieren, auf dem Boden ihrer Vorfahren als Minderheit zu leben? Wenn Ja, verdienen sie es kolonisiert zu werden. Ansonsten müssen sie für ihre Befreiung kämpfen“. Es sind nicht zuletzt diese Worte, die als Aufruf zu Gewalttaten gegen Muslime interpretiert wurden, zumal Zemmour „die Muslime in ihrer Masse“ als „Kolonialisten und Invasoren“ bezeichnet hatte. 

Der TV-Sender, der Zemmour durch die Direktübertragung seiner Suada, wieder einmal eine unschätzbare Tribüne geboten hatte, erntete zwar Kritik in Medien und Politik, diese blieb aber im überschaubaren Ausmaß.  Der Historiker Marc Knobel, der im Vorstand des CRIF (der Zentralrat der jüdischen Institutionen Frankreichs) als Leiter für wissenschaftliche Studien amtiert,  schrieb in einem Gegenplädoyer: „Auch wenn unsere Aufgabe darin besteht, die tödliche Gefahr, die vom Islamismus ausgeht, hervor zu streichen,  müssen wir uns vor  Beschwörern der Apokalypse hüten. Sie sind meilenweit davon entfernt, die Wunden unserer Gesellschaft zu heilen. Sie sind im Gegenteil bereit, Bürgerkriege wieder zu entfachen“.

Das Problem ist freilich, dass sich schon allein die begriffliche Unterscheidung zwischen „Islam“ und „Islamismus“ (worunter sprachversierte Intellektuelle islamische Strömungen verstehen, die ein totalitäres politisches Programm verfolgen), nur einem Teil der Bevölkerung geläufig ist. Dazu kommt, dass die Ereignisse der letzten Jahre, und wiederum besonders die der letzten Wochen, eine hermetische Abgrenzung gegenüber Zemmour erschweren. 

Dschihadistischer Terror und islamistisches Mobbing

Zweifellos hat der dschihadistische Terror, der über Frankreich hereinbrach, die politische Gemengelage fundamental verändert und vormalige Gewissheiten der humanistisch-demokratischen Kräfte erschüttert. Seit 2012 wurden 253 Menschen in Frankreich von Islamisten getötet, sei es nun bei gründlich geplanten Massenmorden durch organisierte Attentäter (wie bei den Massakern in und rund um die Pariser Konzerthalle Bataclan im November 2015) oder bei Angriffen durch Einzeltäter, die zumindest von der dschihadistischen Propaganda und einem islamistisch geprägten Umfeld angestachelt wurden. Bei spezifisch anti-jüdischen Attacken mit islamistischem Hintergrund kamen seit 2003 insgesamt 13 Personen um.

Dauermobbing bis hin tätlichen Übergriffen durch Jugendliche, die sich vielfach an der Schnittstelle zwischen Kriminalität und Islamismus bewegen, trugen dazu bei, dass nicht nur viele jüdische Familien, sondern auch „die Christen“ (wie Zemmour unterstreicht) aus so manchem ihrer ursprünglichen Wohnviertel, namentlich in und am Rande von Sozialbau-Siedlungen, auszogen.     

Bei dem Rückgang der nicht-muslimischen Bevölkerung in bestimmten Wohnanlagen und Vierteln fallen allerdings auch rein demographisch-soziale Gründe (etwa Wegsterben der ursprünglichen Bewohner und der berufliche Aufstieg und daher Umzug ihrer Kinder) ins Gewicht.

Aber im Endeffekt hat die Zunahme einer demonstrativen und eifernden religiösen Präsenz von jungen Muslimen und Muslima, die das Straßenbild in dicht bewohnten Siedlungen inzwischen fast schon landesweit prägen, etwas Bedrückendes an sich. Orthodoxe Juden und evangelikale Christen (letztere verbreiten sich namentlich unter Familien aus Afrika, aus den französischen Karibik-Inseln und unter Angehörigen wandernder Gemeinschaften) haben auch ihre problematischen Eigenheiten. Aber sie sind in der Minderzahl gegenüber den Muslimen in volkstümlichem Vierteln. Und sie üben auch keinen vergleichbaren Druck aus. Muslimische Eiferer können vermeintliche Glaubensgenossen und vor allem Glaubensgenossinnen, besonders während des islamischen Fastenmonats Ramadan, erheblich drangsalieren, wenn ihnen ihr Verhalten oder ihre Kleidung nicht genehm erscheint. Vor allem aber geht von den orthodoxen Juden und den evangelikalen Christen in Frankreich keine ideologische Anstachelung zur Gewaltanwendung gegen Andersgläubige und die Republik aus. 

Vier erstochene Beamte in der Pariser Polizei-Zentrale

Der jüngste, islamistisch inspirierte Angriff erfolgte erst kürzlich, am 3.Oktober: der 45 jährige Staatsbedienstete Mikael Harpon, der im geheimen Überwachungsdienst der Pariser Polizei-Zentrale als Informatiker arbeitete, erstach urplötzlich mit einem Küchenmesser drei nichtsahnende Büro-Kollegen und eine weitere Beamtin, bevor ihn ein Wachhabender, auf den er ebenfalls losgestürmt war, erschießen konnte.

Zumindest im engsten familiären und nachbarschaftlichen Kreis, war Harpon durch religiöse Wahnvorstellungen aufgefallen. Der aus einer christlichen Familie aus der Karibik stammende Mann war vor zehn Jahren zum Islam konvertiert und hatte zuletzt eine Moschee regelmäßig besucht, in der ein marokkanischer Imam predigte, der wegen seiner fundamentalistischen Tendenzen behördlich vorgemerkt war. In der Nacht vor seiner Tat hörten Nachbarn, wie er „Allahu Abkar“ rief.

Unter Kollegen galt Harpon als „introvertiert“, was auf seine Taubheit zurückgeführt wurde. Allerdings hatte er nach dem Gemetzel in der Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ 2015, vor Kollegen gesagt: „Recht geschieht ihnen“.  Diese Äußerung und auch später, seine Weigerung, Frauen die Hand zu reichen,  blieben folgenlos, obwohl Harpon Zugang zu den geheimen Überwachungs-Dossiers islamistischer Extremisten hatte.

Macron fordert eine Gesellschaft der „Wachsamkeit“

Bei der Trauerzeremonie für die Opfer von Harpon rief Präsident Emmanuel Macron zum „Kampf der gesamten Nation gegen die unterirdische islamistische Hydra“ auf. Man könne sich dabei nicht alleine auf die Behörden stützen. Es gelte, eine „Gesellschaft der Wachsamkeit“ zu schaffen: alle seien dazu aufgerufen, die „kleinen Nichtigkeiten, die zu den großen Tragödien führen,  in der Schule, in der Arbeit, in unserem Lebensalltag ausfindig zu machen“. Man müsse auf diese „todbringenden Ideologien überall Jagd machen, im öffentlichen Dienst, in den Gefängnissen“. Dazu sei eine „moralische Wiederaufrüstung“ nötig.  

Das linksliberale Blatt „Le Monde“  ortete daraufhin bei Macron die Übernahme von Formulierungen, die oft von Marine Le Pen benützt wurden. Ein Abgeordneter ihres „Rassemblement national“ sagte über die Rede Macrons, sie sei „voll der Wahrheit und Klarsicht“. 

Umgekehrt empörten sich linke und muslimische Persönlichkeiten über einen Aufruf zur „Hexenjagd“ und „Denunziantentum“, durch die jeder fromme Muslim unter Terrorverdacht geraten würde. An der Pariser Universität Sorbonne wurde auf Druck linker Studentenverbände ein von langer Hand geplantes Seminar annulliert, das Beamte, Lokalpolitiker und Imame darauf vorbereiten sollte, „der Radikalisierung vorzubeugen und auch geringfügige Anzeichen zu orten“.  Dabei ging die Initiative für das Seminar von einem liberalen muslimischen Gegner der islamistischen Indoktrinierung aus und wurde auch von den Instanzen der Pariser Groß-Moschee unterstützt.

Erneutes Gezerre um den Hidschab

Eine Woche nach den Morden in der Pariser Polizei-Zentrale, am 11.Oktober, kam es zu einem Eklat während einer Sitzung des Regionalparlaments der Provinz Bourgogne-Franche-Comté:  als eine Frau mit einem islamischen Kopftuch auf der Zuschauertribüne erschien (sie begleitete eine Schülergruppe, darunter ihren Sohn), forderte sie ein Abgeordneter des „Rassemblement national“ auf, ihr Kopftuch abzunehmen oder den Saal zu verlassen. Begründung: Dies gebiete der Respekt für den säkularen Charakter des Regionalparlaments, das Gedenken an die vier getöteten Beamten der Pariser Polizei-Zentrale und die Unterstützung „der Frauen, die sich weltweit den Vorschriften islamischer Diktaturen widersetzen“. Es folgte ein Tumult, die sozialistische Parlamentsvorsitzende wies den Abgeordneten energisch zurecht, wobei sie betonte, dass das (in Frankreich 2004 eingeführte) gesetzliche Verbot „auffälliger religiöser Symbole“ innerhalb der Schulen aber nicht außerhalb gelte.

Der Sohn der Hidschab-Trägerin fiel seiner Mutter weinend in die Arme. Sogar Marine Le Pen und weitere Spitzen der Rechtsaußen-Partei kritisierten sinngemäß eine ungeschickte Demütigung einer Mutter. Damit flammte auch wieder der Konflikt auf, der seit dem Verbot „auffälliger religiöser Symbole“ (Hidschab, Kippa und große Kreuze) für Kinder und Lehrer an Schulen schwelt: nämlich der Streit um die Frage, ob man Mütter, die den Hidschab tragen, als Begleiterinnen bei Schulausflügen akzeptieren könne.    

Differenzen im Regierungslager

In der Folge machten sich im Regierungslager um Macron Differenzen bemerkbar. Unterrichtsminister Jean-Michel Blanquer erklärte, der islamische Schleier sei „nicht wünschenswert, weil er unseren Werten nicht entspricht“. Macron beteuerte hingegen, das Tragen eines Hidschabs im öffentlichen Raum würde den Staatspräsidenten einer säkularen Republik „nichts angehen“. Er sei dagegen, dass man „ein einziges religiöses Symbol stigmatisiert“.

In einem langen Interview mit dem scharf rechten Magazin „Valeurs actuelles“ holte Macron zu einer weiteren Erklärung aus: „Mein größtes Problem sind die Kinder, die nicht in die öffentliche Schule gehen. Das Kind muslimischer Eltern, das gut integriert ist, stört niemanden. Seine Mutter trägt ein Kopftuch, sie stört niemanden, man kann ihr nicht sagen: sie sind nicht willkommen. Das wäre ein enormer Fehler“.

An anderer Stelle meinte Macron aber wiederum, er sei sich durchaus bewusst, dass das islamische Kopftuch „als Signal für eine Form des Separatismus gegenüber der Republik“ benützt würde. Um dann wieder Verständnis zu signalisieren: „Wir haben heute typischer Weise in gewissen Vierteln Mädchen, die den Schleier anlegen, um alle Welt zu ärgern. Es sind die Enkeln von Großmüttern, die bei ihrer Ankunft in Frankreich keinen Schleier trugen. Man hört heute: Ihr habt meinen Vater in die Arbeitslosigkeit versetzt, meine Brüder haben keinen Job, die Republik mag uns nicht. Darauf müssen wir hören!“

Territoriale Spaltung durch Muslime?

Übrig bleibt freilich, dass inzwischen auch Macron eine Art von politisch-religiösen „Separatismus“ konstatiert, nachdem bereits sein sozialistischer Vorgänger, Francois Hollande, in Bezug auf den Vormarsch eines eifernden Islams in gewissen urbanen Zonen gemeint hatte:  „Wie verhindern wir die Spaltung (Frankreichs)? Denn die Spaltung ist sehr wohl im Gange“.    

Damit rückt aber auch wieder der „apokalyptische“ Diskurs von Eric Zemmour in den Bereich des Denkbaren:  Für Zemmour ist die territoriale Spaltung zwischen Muslimen und den übrigen Einwohnern „de facto längst vollzogen“, und zwar als potentielle Vorstufe zu einem Bürgerkrieg. 

Noch hält in der Öffentlichkeit ein (allerdings ziemlich brüchiger) Konsens gegen das Abgleiten in derartige Gedankenspiele (Stichwort „Bürgerkrieg“).  Macron versucht diesen Konsens zu stützen, indem er sich auf eine abtastende Gratwanderung zwischen Verteidigung der säkularen Republik und Akzeptanz religiöser Eigenheiten, sofern diese nicht zur gesellschaftlichen Bedrohung heranwachsen, begibt. Diese vernünftig erscheinende Herangehensweise steht aber unter vielseitigen Druck. Ihre Ausgewogenheit und Differenziertheit  bieten möglicherweise nicht genügend solide Anhaltspunkte angesichts der fortschreitenden gesellschaftlichen Polarisierung.

Im Grunde genommen, geht es Macron und seinen Anhängern um die Wahrung der Demokratie und das Streben nach einer, sozial halbwegs abgefederten Anpassung Frankreichs an den radikal gewandelten welt-wirtschaftlichen Wettbewerb. Aber dieser Kurs spießt sich an der Verhärtung der sozialen Fronten und den wachsenden ökonomischen Ungleichheiten bei gleichzeitiger Auflösung der traditionellen Solidargemeinschaften. Was wiederum den Sog zu schlichter aber emotional beruhigender und sinnstiftender Lagerbildung fördert.

Da hackt Zemmour ein: Die Berufung auf universelle Menschenrechte und ein säkulares Gesetzesgerüst würden für eine zusammenschweißende ideologische Triebfeder in der Auseinandersetzung mit dem „islamistischen Universalismus“ nicht ausreichen. Laut Zemmour könnte nur ein integraler, absoluter Nationalismus als tragbare Gegenkraft wirken.

„Unsere Ahnen, die Gallier“

Ausgehend von dieser Prämisse steigerte sich Zemmour in ein immer extremeres Gedankenkonstrukt: Migranten und ihre Kinder hätten sich nicht bloß in eine säkulare Republik einzuordnen, sondern müssten sich das ewige und ausschließlich im katholischen Christentum verwurzelte Frankreich zu eigen machen. 

Über finstere historische Episoden Frankreichs dürfe man da nicht mehr reden. Und wenn doch, dann nur um Frankreichs Rolle zu rechtfertigen: weder der Kolonialismus („Algerien war eine Kloake vor der Kolonisierung durch Frankreich“)  noch die Sklaverei („Alle Länder und Kulturen haben sie betrieben“) seien Frankreich anzulasten.

Wer nach Frankreich gekommen sei, ob eingewandert, geflüchtet, geholt (wie viele Arbeitsmigranten der 1960er und 70er Jahre) oder verschleppt (wie die versklavten Vorfahren der Franzosen in den Karibik-Inseln), der müsse sich die rechtsnationale und rechtsklerikale Lesart der französischen Geschichte zu Eigen machen.  Als Franzose müsse man Karl den Großen, die heilige Jungfrau von Orleans und Napoleon als Helden verehren.  Wider jede Logik verteidigt Zemmour auch den Spruch, den einst alle französischen Schulkinder lernten (darunter auch die Nachfahren der aus Afrika verschleppten Sklaven) und der heute ansonsten nur mehr mit Ironie erwähnt wird: „Unsere Ahnen, die Gallier“.

Bei einem seiner täglichen (!) Aufritte im TV-Nachrichtensender C-News verstieg sich Zemmour Ende Oktober sogar zur Behauptung, als Franzose müsse man sich (nachträglich) auch „auf die Seite von General Bugeaud stellen, der (während der französischen Eroberung Algeriens 1840) die Muslime und auch gewisse Juden niedermetzelte“. 

Zemmour zitiert auch gelegentlich als Vorbild die algerischen Juden, die sich, so seine Behauptung, als vorbildliche französische Patrioten allen Anforderungen Frankreichs anstandslos untergeordnet hätten.  Dabei unterschlägt Zemmour einiges: auch in Algerien gab es so manche Widerstände  streng religiöser Juden gegen die Assimilierung, und in ihrer Mehrheit  klammerten sich die algerischen Juden die längste Zeit an die trügerischen Hoffnung auf eine friedlichen Ausgleich zwischen Frankreich und den muslimischen Algeriern.  Zemmour ignoriert auch in seinem nationalistischen Überschwall die Pogrome durch europäische, katholische Kolonialisten, die 1898 über die Juden Algeriens hereinbrachen, nachdem diesen in toto das Recht auf Erlangung der vollen französischen Staatsbürgerschaft zugestanden wurde.  Genauso bedeutungslos bleibt in dieser Lesart der Geschichte, dass das französische Kollaborationsregime während des zweiten Weltkriegs die algerischen Juden ihrer Bürgerrechte wieder beraubte.

Der einzige historische Strang,  der Zemmour zu pass kommt, ist die ursprüngliche Abstammung seiner Familie (wie die der meisten Juden des Maghrebs) aus der Berberbevölkerung. Die Berber Nordafrikas wurden in Folge der arabisch-muslimischen Eroberungen im siebenten und achten Jahrhundert mehrheitlich islamisiert, nur ein Teil der Juden bewahrten über Generationen ihren ursprünglichen Glauben. 

Diesen Aspekt benützt Zemmour, um eine Tradition des Widerstands seiner jüdischen Ahnen gegen die „islamische Kolonisierung“ (in dem Fall des Maghrebs) zu beschwören.  Allerdings kamen in der Folge der einstigen muslimischen Eroberer auch wiederum Juden in den Maghreb, wobei, wie üblich, ein Teil der urbanen jüdischen Bevölkerung zu einem wichtigen Träger und Verbreiter der herrschaftlichen Schriftsprache und Kultur, also in diesem Fall, des Arabischen, wurde.   

Amoklauf für die Rehabilitierung des Vichy-Regimes

Es ist aber vor allem die Entrechtung der algerischen Juden durch das französische Kollaborationsregime während des zweiten Weltkriegs, die Zemmour nicht ins Konzept passt. Diese Episode berührt einen springenden und extrem wunden Punkt im abartigen nationalistischen Zwangskorsett, das sich Zemmour auferlegt hat, und das ihn zu immer abstruseren Verrenkungen zwingt. Zemmour versucht das Kollaborationsregime und seinen Behördenapparat von dem Vorwurf freizuwaschen,  sie hätten aktive und entscheidende Beihilfe zum Massenmord an den Juden durch das Nazi-Imperium geleistet.  Bei einem seiner jüngsten TV-Auftritte beteuerte Zemmour: „Die Politik von Vichy (die Provinzstadt, in der das Kollaborationsregime amtierte) hatte nicht die Ausrottung und die Nazi-Lager zur Folge“.

Damit läuft Zemmour gegen alle Erkenntnisse der historischen Forschung der letzten fünf Jahrzehnte Amok. Diese konnte nachweisen, dass die deutschen Besatzungskräfte bei der Festnahme, Internierung  und Deportation von 80.000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager des Ostens weitgehend auf die Initiative der Beamten des französischen Kollaborationsregimes und den ihnen unterstehenden Polizei- und Gendarmerie-Truppen angewiesen waren.  Der französische Staat und seine Bildungseinrichtungen haben sich diese Erkenntnisse inzwischen voll zu eigen gemacht, und zwar spätestens seit der Präsidentschaft von Jacques Chirac. Der (soeben verstorbene) bürgerliche Präsident hatte gleich nach seinem Amtsantritt 1995 bezüglich der Judendeportationen von einer „untilgbaren Schuld Frankreichs“ gesprochen.

Zemmour hat begriffen, dass dieses Kapitel noch immer einem Schulterschluss vieler Franzosen mit dem rechtsnationalen Lager im Wege steht.  Also beharrt Zemmour auf der einstigen Schutzbehauptung der Kollaborationsspitzen, wonach sie die „ausländischen Juden“ eingesperrt und den deutschen Besatzern ausgeliefert hätten, um die „französischen Juden zu schützen“. Tatsächlich aber hatte das Vichy-Regime, noch vor den Massenfestnahmen ausländischer Juden, ein ganzes Arsenal an Gesetzen zur Ausgrenzung der französischen Juden beschlossen:  ab 1940 hagelte Berufsverbote und Enteignungen zur Überraschung der deutschen Okkupanten, die zu diesem Zeitpunkt noch keine derartigen Forderung an das Kollaborationsregime herangetragen hatten.  Gleichzeitig wurden tausenden, bereits eingebürgerte Juden die Staatsbürgerschaft wieder entzogen, bevor dann ab 1941, die Kollaborationsbehörden auch zur Festnahme der seit je her in Frankreich etablierten Juden übergingen. 

Feldzug gegen Beate und Serge Klarsfeld

Zemmour hat deswegen auch schon früh das jüdische Aktivistenpaar Beate und Serge Klarsfeld zu Feindbildern erkoren. Eben weil die Klarsfelds unter den ersten waren, die die Rolle der französischen Behörden bei der Deportation der Juden gründlich durchleuchteten (wobei die Klarsfelds auch die – im  europäischen Vergleich – bedeutenden Widerstände in der französischen Bevölkerung und im Klerus gegen die Deportationen nachwiesen. Das diesbezügliche, phasen- und stellenweise entscheidende Aufbäumen gegen das Kollaborationsregime und die deutschen Okkupanten trug dazu bei, dass  drei Viertel aller in Frankreich damals ansässigen Juden der Vernichtungsmaschinerie entgehen konnten).

Generell erfordert der integrale Nationalismus von Zemmour den Verzicht auf jede jüdische Auffälligkeit oder gar transnationale Solidarität: so ereiferte er sich gegenüber dem Bürgermeister der Vorstadt Sarcelles, in der sich  viele Juden nach ihrem Auszug aus Nordafrika angesiedelt hatten, man hätte diesen Juden „nicht erlauben dürfen, mit der Kippa auf die Straße zu gehen“.  Und in einem Disput mit dem linksliberalen jüdischen Essayisten Bernard-Henri Lévy, warf er diesem in einem Atemzug sein Engagement für die Kurden und für Israel vor.

Man kann freilich über so manches mit so manchem debattieren, aber Eric Zemmour hat die Grenze des Erträglichen spätestens überschritten, als er sich als rassistischer Kotzbrocken und Frauenverächter outete, und zwar in der eingangs erwähnten Rede vor dem rechtsrechten Konvent, als er die Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye, die in Senegal geboren ist, dem höhnischen Gelächter seines Publikums mit folgenden Worten preisgab: „Und wie könnten wir nicht geblendet sein von der Eleganz unserer geliebtesten Ministerin, Sibeth Ndiaye, dem Gipfel der französischen Distinktion“.

Bild oben: Photograph taken during the 25th edition of the Comédie du Livre of Montpellier in France, (c) Esby, wikicommons