US-Verteidigungsminister Hagel: Willkommen, Chuck!

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CHUCK HAGEL gefällt mir sehr. Ich bin nicht ganz sicher, warum. Vielleicht ist es sein Kriegserlebnis. Er wurde für seine Tapferkeit im Vietnam-Krieg (den ich verabscheute) ausgezeichnet. Er war nur ein Sergeant. Da ich nur ein Korporal in unserm Krieg von 1948 war, sehe ich mit Begeisterung, dass ein Unteroffizier Verteidigungsminister werden soll…

Uri Avnery

Wie so viele Veteranen, die den Krieg aus nächster Nähe erlebt haben (wie ich auch), ist er ein Kriegsfeind geworden. Großartig!

Und so wird Hagel nach seiner Benennung von allen Neo-Con-Kriegstreibern wild angegriffen – fast keiner von ihnen hat jemals in Kriegen, in die sie andere schickten, eine Kugel an sich vorbei pfeifen gehört. Hagels größte Sünde scheint zu sein, dass er sich dem Krieg gegen den Iran widersetzt. Gegen einen Angriff auf den Iran zu sein, bedeutet angeblich antiisraelisch, antisemitisch zu sein, die Zerstörung Israels, wenn nicht gar aller Juden zu wollen. Es ist egal, dass fast alle gegenwärtigen und früheren israelischen Militär- und Nachrichtendienstchefs auch gegen einen Angriff auf den Iran sind.
Denn – Benjamin Netanjahu weiß es besser.

In der letzten Woche malte der frühere hoch gelobte Chef des Shin Bet ein erschreckendes Bild von Benjamin Netanjahu und Ehud Barak bei einem Sicherheitstreffen, bei dem vor einiger Zeit über die Bombardierung des Iran diskutiert wurde. Die beiden waren in Hochstimmung, rauchten Zigarren und tranken Whisky – sehr zum Missfallen der versammelten Sicherheitschefs. In Israel werden Zigarren als protziger Luxus angesehen, und während der Arbeit Alkohol zu trinken, ist ein Tabu.
Tatsächlich, denke ich, ist die Ernennung von Hagel für Netanjahu eine Erleichterung. Nach all den Jahren, in denen die iranischen Atombombe als das Ende der Welt, oder wenigstens Israels dargestellt wurde, ist die Bombe auf geheimnisvolle Weise aus Netanjahus Wahlkampagne verschwunden. Hagels Ernennung kann Netanjahu erlauben, von diesem Baum ganz und gar herunter zu klettern.
Das israelische Verteidigungsestablishment macht sich über die Ernennung Hagels jedenfalls keine Sorgen. Es scheint ihn als jemanden zu kennen, der israelischen Forderungen gerne nachgibt. Mehrere israelische Generäle haben ihn schon verteidigt.

In seiner gegenwärtigen Wahlkampagne spricht der Likud zwar nicht vom Iran, er zeigt aber immer wieder die Szene, als Netanjahu vor dem US-Kongress eine Rede hielt. Man sieht wie die Senatoren und Kongressleute nach jedem einzelnen Satz applaudieren, auf und abspringen wie Kinder im Turnunterricht. Der Text des Ausschnitts besagt: „Wenn Netanjahu spricht, hört die Welt zu!“ Im Letzten Wahlkampf hatte Netanyahu offen den Gegner des amtierenden US-Präsidenten unterstützt.

DIESE GANZE Episode um Chuk Hagels Ernennung zum US-Verteidigungsminister könnte als Belanglosigkeit angesehen werden oder sogar als Spaß, wäre da nicht die Frage: warum ernannte Präsident Obama diese kontroverse Person an erster Stelle? Die Antwort: es war eine Retourkutsche. Obama hat seine Emotionen unter Kontrolle. Während all der Monate, in denen Netanjahu den Gegenkandidaten Mitt Romney unterstützte, reagierte Obama nicht. Aber seine Wut muss sich in ihm aufgestaut haben. Nun ist die Zeit gekommen und Hagel zu ernennen und die „pro-Israel-Lobby“ zu warnen, kam auf eines heraus.

Überhaupt könnte Netanjahus US-Politik von Israels oppositionellen Parteien benützt werden, um Netanjahu ausgesprochene Inkompetenz vorzuwerfen. Obamas Gegenkandidaten Romney zu unterstützen, war einfach dumm. Um so mehr als Netanjahu, der in den USA aufgewachsen ist, sich selbst als Experte von US-Angelegenheiten sieht. Aber keine Partei wagt es, dieses Thema in der Wahlkampagne anzusprechen, aus Furcht der politische Gegner könne die patriotische Gesinnung in Frage stellen.

Ich erwarte nicht, dass Präsident Obama in nächster Zeit seine Haltung gegenüber Israel verändert, aber es gibt schon einen Unterschied zwischen Obama I und Obama II. Als er zum ersten Mal gewählt wurde, wählte er Chas Freemann, einen hoch geachteten Diplomaten, zum Chef des Nationalen Sicherheitsrates. Die „pro-Israel-Lobby“ wandte sich stürmisch dagegen, und die Ernennung wurde zurückgenommen. Obama zog damals eine öffentliche Demütigung einer Konfrontation mit der Lobby vor. Wie anders ist es diesmal! Dieser Wandel dürfte in Obamas zweiter Amtszeit auffallen. Der Einfluss der Lobby wurde geschwächt.

WARUM?

Ich glaube, dass einer der Gründe der ist, dass die Wahrnehmung der amerikanisch jüdischen Öffentlichkeit sich verändert. Amerikanische Politiker beginnen zu realisieren, dass die jüdischen Wähler weit davon entfernt sind, einmütig hinter der Lobby zu stehen. Die amerikanisch jüdischen Bannerträger, fast alle selbst ernannt und niemand vertretend, aber eine kleine Clique von professionellen Vertretern, wie auch die israelische Botschaft und einigen rechten Milliardären beherrschen die jüdischen Wähler nicht.
Dies wurde klar, als Netanjahu Romney unterstützte. Die Mehrheit der jüdischen Wähler unterstützte weiter Obama und die demokratische Partei.

Das ist keine plötzliche Entwicklung. Seit Jahren haben sich amerikamische Juden, besonders die jungen Juden, vom jüdischen Establishment distanziert. Sie wurden von der offiziellen israelischen Politik immer mehr desillusioniert: von der Besatzung befremdet, abgestoßen von den Bildern israelischer Soldaten, die hilflose Palästinenser zusammenschlagen; sie haben sich leise davon gemacht. Leise, weil sie eine antisemitische Reaktion befürchten. Juden werden von früher Kindheit an indoktriniert, dass „wir Juden zusammenhalten müssen“ angesichts der Antisemiten.
Nur ein paar tapfere amerikanische Juden sind bereit, offen – wenn auch zaghaft – Israel zu kritisieren. Aber die US-Politiker sind langsam dabei, sich der Tatsache zu stellen, dass ein großer Teil der Lobbystärke auf Bluff beruht und dass die meisten amerikanischen Juden ihr Wahlverhalten nicht von Israel bestimmen lassen.

DER TRAURIGSTE Teil der Geschichte ist, dass alle diese falschen „Freunde Israels“ im US-Kongress und in den amerikanischen Medien „Israel“ nicht wirklich umarmen. Sie umarmen Israels rechten Flügel, einschließlich des extremen und sogar des faschistischen rechten Flügels. Dadurch helfen sie dem rechten Flügel, ihre Macht über unser Land zu verstärken.
Die amerikanische Politik spielt eine große Rolle in der Agonie des israelischen Friedenslagers, die in der gegenwärtigen Wahlkampagne so offenkundig wird. Nur ein Beispiel: die riesigen Siedlungsbemühungen, die jetzt im Gange sind und die die Zwei-Staaten-Lösung mit Frieden immer schwieriger machen, werden von amerikanischen Juden bezahlt, die ihre Spenden über steuerfreie Organisationen schleusen. Auf diese Weise finanziert praktisch die US-Regierung die Siedlungen, die sie offiziell als illegal verurteilt.
Seit dem 19. Jahrhundert haben Zeitungen sich daran gewöhnt, ihre Berichte mit der Redensart „Frankreich protestiert“ und „Deutschland erklärt“ abzukürzen, wenn sie „die französische Regierung protestiert“ und „die deutsche Regierung erklärt“ meinen. So schreiben die Medien heute, dass „Israel“ die Siedlungen fördert, wenn es tatsächlich die israelische Regierung ist, die das tut. Mehrere geachtete Meinungsumfragen der letzten Zeit beweisen, dass die meisten Israelis Frieden auf der Basis einer Zwei-Staaten-Lösung wünschen, die aber von unserer Regierung täglich unterlaufen wird.

ZURÜCK ZU Senator Hagel: die jetzige israelische Regierung und die „Freunde Israels“ sind not amused. Was mich selbst betrifft, so hoffe ich, dass diese Ernennung eine neue amerikanische Politik ankündigt – eine Politik der Unterstützung für ein vernünftiges, rationales, liberales, säkulares, demokratisches Israel, das sich um Frieden mit den Palästinensern bemüht.

Aus einer Übersetzung von Ellen Rohlfs

3 Kommentare

  1. Aber nö doch… Der Preussische Staat (Mark Brandenburg) war z.B. im 17. Jahrhundert noch auf 5 oder 6 isolierte einzelne Territorien zersplittert.

    Als Waffen gab es damals allerdings – zugegeben – höchstens primitivste Vorderlader-Schießprügel, vielleicht auch noch ’n paar lederverstärkte ‚Kampf-Postkutschen’…

    Daher also ruhig immer weitersiedeln liebe Siedler aus New York, am Ende werden sicherlich noch 5 oder 6 nette Fleckchen großzügig den lächerlich wenigen nicht-jüdischen Palästinensern überlassen.

    Palästinenser also Kopf hoch ! Nach über 200 Jahren später wurde Preussen einstmals ebenfalls reich, stolz und mächtig !

    Also nur noch ’n bisserl Geduld, so viel Zeit muss schon noch sein . . .

  2. Schade, ich hatte gehofft, dass wenigstens Uri Avnery mal belegt, warum Siedlungen eine Zwei-Staaten-Lösung unmöglich machen?? Weil dann seine gesamte Argumentation zusammenfällt? Wird es wohl sein. Oder?

  3. Das war zu erwarten, dass Hagel von der Macht der „jüdischen Lobby“ phantasierte,U.A nicht stört.
    George Shultz ehemaliger Secretary of State unter Reagan schrieb 2007 über den Mythos der „jüdischen Lobby“ u.a.:
    Israel is a free, democratic, open, and relentlessly self-analytical place. To hear harsh criticism of Israel’s policies and leaders, listen to the Israelis. So questioning Israel for its actions is legitimate, but lies are something else. Throughout human history, they have been used not only to vilify but to establish a basis for cruel and inhuman acts. The catalog of lies about Jews is long and astonishingly crude, matched only by the suffering that has followed their promulgation.

    Defaming the Jews by disputing their rightful place among the peoples of the world has been a long-running, well-documented, and disgraceful series of episodes across history. Again and again a time has come when legitimate criticism slips across an invisible line into what might be called the „badlands,“ a place where those who should be regarded as worthy adversaries in debate are turned into scapegoats, targets, all-purpose objects of blame.

    In America, we protect all speech, even the most hurtful lies. We allow a virtual free-for-all by which laws are adopted, enforced, and interpreted. Hundreds of millions of dollars are spent yearly to influence this process; thousands of groups vie for influence. Among these are Jewish groups that have come under renewed criticism for being part of an all-powerful „Israel lobby,“ most notably in a book published this week by Profs. Stephen Walt and John Mearsheimer.

    Jewish groups are influential. They also largely agree that the United States should support Israel. But the notion that they have anything like a uniform agenda and that U.S. policy in Israel and the Middle East is the result of this influence is simply wrong.

    One choice. Some critics seem overly impressed with the way of thinking that says to itself, „Since there is a huge Arab Islamic world out there with all the oil, and it is opposed to this tiny little Israel with no natural resources, then realistically the United States has to be on the Arab side and against Israel on every issue, and since this isn’t the case, there must be some underhanded Jewish plot at work.“ This is a conspiracy theory, pure and simple.

    Another tried and true method for damaging the well-being and security of the Jewish people and the State of Israel is a dangerously false analogy. Witness former President Jimmy Carter’s book Palestine—Peace Not Apartheid. Here the association on the one hand is between Israel’s existentially threatened position and the measures it has taken to protect its population from terrorist attacks, driven by an ideology bent on the complete eradication of the State of Israel, and, on the other, the racist oppression of South Africa’s black population by the white Boer regime.

    The tendency of mind that lies behind such repulsive analogies remains and is reinforced by the former president’s views, spread across his book, which come down on the anti-Israel side of every case. These false analogies stir up and lend legitimacy to more widely based movements that take the same dangerous direction.

    Anyone who thinks that Jewish groups constitute a homogeneous „lobby“ ought to spend some time dealing with them. For example, my decision to open a dialogue with Yasser Arafat after he met certain conditions evoked a wide spectrum of responses from the government of Israel, its political parties, and American Jewish groups who weighed in on one side or the other. Other examples in which the United States rejected Israel’s view of an issue, or the view of the American Jewish community, include the sale of arms to Saudi Arabia and President Reagan’s decision to go to the cemetery at Bitburg, Germany.

    The United States supports Israel not because of favoritism based on political pressure or influence but because the American people, and their leaders, say that supporting Israel is politically sound and morally just.

    We are a great nation. Mostly, we make good decisions. We are not babes in the woods. We act in our own interests. And when we mistakenly conclude from time to time—as we will—that an action or policy is in America’s interest, we must take responsibility for the mistake.

    So, on every level, those who blame Israel and its Jewish supporters for U.S. policies they do not support are wrong. They are wrong because, to begin with, support for Israel is in our best interests. They are also wrong because Israel and its supporters have the right to try to influence U.S. policy. And they are wrong because the U.S. government is responsible for the policies it adopts, not any other state or any of the myriad lobbies and groups that battle daily—sometimes with lies—to win America’s support.
    http://www.usnews.com/opinion/articles/2007/09/09/the-israel-lobby-myth

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