„Kriege enden, wenn Mütter aufstehen“

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Protestmarsch, Foto: O. Vrankovic

Rund 500 Frauen gründeten am vergangenen Sonntag das Bündnis „Mütter an der Front“, um sich für ein Ende des Krieges in Gaza und die Freilassung der 50 immer noch in Gaza festgehaltenen Geiseln einzusetzen. Der Gründung des Bündnis folgte die Errichtung eines Protestcamp neben dem Kibbutz Sa’ad und ein Protestmarsch nahe der Grenze zum Gazastreifen Mahnmal für die Soldat*innen, die am 7. Oktober im militärischen Außenposten Nahal Oz ermordet wurden.

Von Oliver Vrankovic

Dem Bündnis „Mütter an der Front“ gehören 15 israelischen Frauenorganisationen an. Initiatorin ist die Anwältin und dreifache Mutter Ayelet Hashahar Saydoff, die Benjamin Netanjahu vorwirft für seinen Machterhalt einen endlosen Krieg zu führen. Die Gründung des Bündnis ist eine Reaktion auf die Pläne der Regierung, den Gazastreifen zu besetzen und dafür die Geiseln und die Soldaten zu gefährden und die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu verschlechtern.

Omer Steinitz Haskel, von der Organisation Bonot Alternativa, sagte bei der Gründung des Bündnis u.a.: „Am 7. Oktober trat Israel in den gerechtesten Krieg ein, den es je gab. Unsere Armee kämpfte tapfer und erzielte große militärische Erfolge. Doch fast zwei Jahre sind vergangen, und diese Erfolge haben sich nicht in diplomatischer Hinsicht niedergeschlagen. […] Anstatt ihre militärische Macht zu nutzen, um ein Abkommen zu erzielen, das die Entführten freilässt und den Krieg beendet, besteht diese Regierung darauf, einen politischen Krieg fortzusetzen. […] Sie wählt die Ideologie des ewigen Krieges und den Tod von Soldaten statt Menschenleben.“

Trotz einer Hitzewelle, die in Israel alle Temperaturrekorde brach, verbrachten 150 Frauen die ganze Woche im Camp und gingen jeden Tag zum Mahnmal, von dem der Blick über den ganzen nördlichen Gazastreifen reicht. An den Protestmärschen haben bekannte Frauen, wie Alice Miller, der Wegbereiterin der Kampfpilotinnen, teilgenommen und viele Poltiker*innen und Vertreter*innen des Forums der Angehörigen der Geiseln.

Eine der Teilnehmer*innen des Protestcamp ist Ayala Metzger, deren Schwiegereltern aus dem Kibbutz Nir Oz entführt wurden. Ihre Schwiegermutter Tami kehrte im Rahmen des ersten Abkommens im November 2023 zurück, ihr Schwiegervater Yoram wurde im Februar 2024 in Geiselhaft ermordet. Seine Leiche wurde mit den Leichen von Avraham Munder, Yagev Buchstab, Chaim Peri, Nadav Popplewell und Alex Dancyg im August 2024 geborgen. Yoram Metzger war 80 Jahre alt, als er entführt und in Gefangenschaft ermordet wurde.

Beim Weg in der Hitze durch die frisch gedüngten Felder zum Denkmal sind Rauchsäulen zu sehen, die über Gaza aufsteigen. „Ich verstehe nicht, was wir da tun”, kommentiert Ayala den Anblick und erklärt, dass die Hamas militärisch geschlagen sei und es keine Rechtfertigung mehr für den Krieg gebe. Stattdessen, so berichtet sie, seien im Umland von Gaza und darüber hinaus ständig Artilleriefeuer und Explosionen zu vernehmen. An ein normales Leben, so sagt sie, sei hier nicht zu denken. Und fügt an, dass es zu verhindern gilt, dass der Irrsinn zur Norm wird.

Ayala Metzger (r.) und Efrat Machikawa, Foto: O. Vrankovic

Ayala Metzger gehört zu den bekannteren Gesichtern des Kampfs für die Freilassung der Geiseln und war eine der ersten Angehörigen, die diesen Kampf verschärft und vom Platz der Entführten auf die Straßen getragen haben. Und auf die Kreuzungen und auf die Stadtautobahn. Mit spektakulären Verkehrsblockaden generierten sie Aufmerksamkeit für ihre Forderungen. Im Juni wurde Ayala dabei von einem Polizeipferd verletzt.

Als sie anfing auf Konfrontationskurs zur Regierung zu gehen, setzte diese alles daran, sie zu diskreditieren. Heute kann sie darauf verweisen, dass mehr als Dreiviertel der Israelis ihre Forderungen nach einem Abkommen zur Freilassung aller Geiseln für ein Ende des Krieges teilen.

Bereitwillig stellt sich Ayala Fragen und Vorwürfen, die in Deutschland an den Protest gegen die Regierung gerichtet sind. Auf die Frage, warum keiner der israelsolidarischen Akteure die zentrale Forderung nach einem umfassenden Abkommen teile, antwortet sie mit Verweis auf die Einschüchterungskampagne, die jede Kritik an der israelischen Regierung als israelfeindlich brandmarkt. In Israel selbst wurde der Kampf der Angehörigen so lange in Schach gehalten.

Die Entscheidung von Kanzler Merz einen Teilstopp von Waffenlieferungen zu verhängen, werten Ayala und die Teilnehmer*innen des Protestmarsch als Entscheidung gegen das Vorgehen der Regierung. Die Solidarität Deutschlands mit Israel sehen sie dadurch nicht beschädigt.

Wogegen sich Ayala klar verwehrt ist die Instrumentalisierung der Geiseln. Mit den Geiseln für den Krieg zu argumentieren, sei eine Verkehrung der Forderung der Angehörigen nach einem Ende des Krieges. Die lebenden Geiseln können nur im Rahmen eines umfassenden Abkommens freikommen.

42 Geiseln kehrten bisher tot aus Gaza zurück. Unter ihnen Yoram Metzger. Unter ihnen auch Itay Svirski, dessen Schwester Merav sich ebenfalls dem Protest der Frauen angeschlossen hat. Die Eltern von Merav Svirski aus Be’eri wurden am 7.10. ermordet und ihr Bruder wurde von der Hamas in Geiselhaft ermordet, als Reaktion auf einen nahegelegenen Angriff der israelischen Armee. “Der militärische Druck gefährdet die Geiseln“, weiß Merav.

Es muss auf allen Seiten Druck gemacht werden, sagt Efrat Machikawa, die Nichte von Margalit und Gadi Moses, die am Dienstag beim Protestmarsch dabei war. Sie ist Ansprechpartnerin der Angehörigen der Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft, und auch sie sieht den von Merz beschlossenen Teilstopp der Waffenlieferungen gegen die israelische Regierung gerichtet und nicht als Aufkündigung der Solidarität mit Israel.

Efrat erwartet von Deutschland, sich mehr für die Geiseln einzusetzen und Druck auf die Unterstützer der Hamas zu machen, zuvorderst auf die Türkei, aber auch auf Katar. Des Weiteren verweist Efrat auf die konkreten Forderungen, die das Forum der Angehörigen der deutschen Geiseln erstellt hat und die auf die Trockenlegung der Geldflüsse an die Hamas zielen.

Auf die viel gestellte Frage, wie sie sich die Freilassung aller Geiseln im Rahmen eines Abkommens vorstellen, verweisen Ayala und Efrat darauf, dass die Hamas klare Forderungen nach einem Ende des Krieges und einem Abzug der israelischen Truppen aus Gaza stellt. Nachdem die Hamas militärisch geschlagen wurde, gibt es laut den Teilnehmer*innen des Protestmarsch keine guten Gründe mehr, den Krieg weiterzuführen. Das beschworene Szenarium eines weiteren 7. Oktober weisen sie zurück. Mit der Stationierung der Armee entlang der Grenze könne Sicherheit für die Bewohner*innen des Umlands von Gaza garantiert werden.

Und auf der anderen Seite der Grenze, so sind sie sich sicher, werde die Hamas sich nach einem Ende des Krieges nicht lange an der Macht halten können. Niemand würde Geld für einen Wiederaufbau geben, solange die Hamas an der Macht bleibe. Saudi Arabien und andere arabische Staaten könnten mit den USA und mit der palästinensischen Autonomiebehörde die Verwaltung des Gazastreifens übernehmen. Für die israelische Regierung ist eine Beteiligung der PA an der Nachkriegsordnung in Gaza ein rotes Tuch, doch Ayala verweist darauf, dass die PA, so problematisch sie ist, mit den Israelis im Westjordanland tatsächlich zusammenarbeitet. Israel gefährde mit der Ausweitung des Krieges nicht nur die Geiseln, die israelischen Soldaten und die palästinensische Zivilbevölkerung, sondern auch eine mögliche Annäherung moderater arabischer Staaten, die Sicherheit für die ganze Region bedeuten könne. Auch weist Efrat darauf hin, dass Israel den Krieg gegen die Hisbollah im Libanon beendet hat, bevor die Terrororganisation restlos zerschlagen war. Warum war es im Libanon möglich, was in Gaza nicht möglich sein soll?

In den Redebeiträgen am Denkmal für die gefallenen Soldat*innen des Armeestützpunkt Nahal Oz und in den Unterhaltungen beim Protestmarsch wird deutlich, dass für die Teilnehmer*innen alles mit allem zusammenhängt. Mütter und Großmütter sprechen davon, dass sie nicht wollen, dass ihre Kinder in einen Krieg geschickt werden, dessen Sinn und Zweck sich spätestens seit Mitte März niemandem mehr erschließt.

Neben vielen Frauen kam auch der Abgeordnete Gilad Kariv von den Demokraten zu Wort. Er verwies darauf, dass Kriege enden, wenn Mütter aufstehen. Am Ort des Gedenkens an die Gefallenen des Armeestützpunkt erinnerte Kariv daran, dass man den Warnungen der Späherinnen kein Gehör geschenkt hatte. Und fügt an, dass der Schrei der Mütter nicht ignoriert werden könne.