Verzweifelt am Hügel der Liebe

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(c) Grandfilm

Im Spielfilm „Yes“ geht es über die Selbstaufgabe hinaus um das Ja-Sagen um jeden Preis.

Von Gaston Kirsche
Zuerst erschienen in: nd, 12.11.2025

Grell sind die Farben, unruhig folgt die Kamera einem Mann (Ariel Bronz), der sich nur Y. nennt, und seiner Partnerin Yasmin (Efrat Dor) bei ihrem Agieren auf einer Party. Ganz zu Beginn sind sie halbnah nur zu zweit zu sehen, wie sie sich scheinbar intim küssen, der Kameraausschnitt weitet sich, um sie herum Frauen in teuren Kleidern, Männern in Anzügen, einige auch in Uniformen der Tsahal, der israelischen Armee. Laute, schmissige Tanzmusik setzt ein, mehr oder weniger alle bewegen sich gefällig im Takt, bis auf Yasmin und Y. Die legen eine Performance hin, die über Animation hinausgeht bis zur völligen, sexuell aufgeladenen Verfügbarkeit. Sie lassen alles mit sich machen. Da kann eine Dame den Kopf von Y. in eine große Bowle-Schüssel hineindrücken, so dass er keine Luft mehr bekommt. Spaß, Unterhaltung, Amüsement durch Erniedrigung einer scheinbar willenlosen Person, die dafür zur Verfügung steht.

Drastisch gezeigte Entwürdigung, Spektakel um fast jeden Preis. Als Y. aus dem von unten angeleuchteten Swimming Pool im Garten des Anwesens nicht wieder auftaucht, in den er aus Versehen fällt, muss Yasmin hineintauchen, um ihn zu retten. Die Reichen und Schönen sind einen Moment still, aber nach kurzer Wiederbelebung ist Y. wieder da. Musik! The show must go on.

Der Reichtum, der in Villen und Anwesen zu Beginn von „Yes“ gezeigt wird, ist monströs, obzön. Die israelische Bourgeoisie ist nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Deregulierung so unverschämt reich wie in Mitteleuropa auch. Y. und Yasmin nehmen als Performance-Künstler*innen jeden Auftrag an, sind auf Einnahmen angewiesen. Sie selbst leben prekär in einer kleinen Wohnung in Tel Aviv. Als Y. auf einem E-Piano probt, hängt das Stromkabel an einem Vierfachstecker von einem Regal. Der Kontrast zwischen der einfachen Wohnung im Mehrfamilienhaus und den Villen bebildert den Klassenunterschied deutlich. Ihr kleiner Sohn Noah, gerade ein Jahr alt, wird während der Partyarbeit von einer Babysitterin betreut. Als die wegen einer halben Stunde längerer Zeit bei Noah etwas mehr Geld fordert, muss Yasmin erstmal Schekel suchen.

Sie möchten raus aus ihrem prekären Leben von einem entwürdigen Job zum Nächsten, sich nicht mehr zur sexy anbiedernden Tänzerin und zum willenlosen Party-Clown machen, bis hin zur Prostitution. „Yes“ spielt in der jüngsten Gegenwart, Israel ist nach dem Überfall vom 7. Oktober 2023 im Kriegszustand. Y. liest Pushnachrichten vom Krieg im Gazastreifen auf seinem Mobiltelefon.

Als Y. von einem im Film namenlosen russischen Oligarchen und Milliardär (Alexey Serebryakov) das Angebot erhält, für ein hohes Honorar eine Hymne zu schreiben, welche die Kriegsführung Israels im Sinne der Regierung Netanjahus als harten Feldzug gegen die Palästinenser*innen feiern soll, nimmt er den Auftrag an. Dadurch verändert sich das Leben des Paares. Y. möchte keine Skrupel haben und keine Moral, sondern um jeden Preis Geld verdienen. Er will nicht wahrhaben, dass im Krieg auch die israelische Armee brutale Fehler macht, stört sich nicht an der Zunahme nationaler Symbolik im Alltag auf den Straßen Tel Avivs.

Aber auch Y. und Yasmin sind überfordert von der Kriegssituation, zunehmend nervös, immer fahriger. Gestresst von zunehmender Militarisierung und Durchhalteparolen. Um dies zu illustrieren, bricht die Kameraführung phasenweise aus, mit schnellen, verrissenen Schwenks, Chaos auch im Bild, aber nur kurz, nicht wie bei Y. Dem fällt es schwer, auftragsgemäß die Hymne zu schreiben, er zweifelt. Dies läuft völlig konträr zur Filmmusik, die aus stimmig eingebauten Liedern besteht. Etwa dem Ketchup Song, zu dem Y. und Yasmin in ihrer Wohnung mit Baby Noah tanzen. „Yes“ ist ein Film der Brüche.

Y. bittet seine frühere Geliebte Lea (Naama Preis), ihm den Gazakrieg zu zeigen. Lea arbeitet für die Armee, versucht auf Internetplattformen über das Massaker der Hamas vom 7. Oktober aufzuklären, durch dass der Gazakrieg begann. Sie fahren gemeinsam an die Grenze zum Gazastreifen, zum Hügel der Liebe, von dem aus es eine weite Sicht in den Gazastreifen hinein gibt. Explosionen, Gewehrfeuer sind zu hören, Rauchwolken. Y. bricht zusammen. Zuvor hat ihm Lea auf sein Bitten hin erklärt, was auf den Videos zu sehen ist, die die Hamas beim Abschlachten möglichst vieler Israelis am 7. Oktober aufgenommen hat. In einem dichten, ergreifenden Moment des Films schildert Lea ihm unter Tränen die Grausamkeiten.

Der Regisseur Nadav Lapid hat mit „Yes“ eine bitterböse Kritik an Israel im Kriegszustand vorgelegt, die sehr auf die Militarisierung fokussiert ist, so kommen die Geiseln nicht vor. Aber nicht nur an dieser Stelle, am Hügel der Liebe, bricht sich die Kritik. „Yes“ ist keine Verurteilung Israels, der Film zeigt, wie Nadav Lapid selbst verzweifelt am Zustand Israels. Und ist dadurch großes Kino, auch wenn die Unterwürfigkeit von Y. allzu drastisch gezeigt wird – so leckt er seinem Auftraggeber, dem Milliardär, sogar die Schuhe. 

Der israelische Film Fond und das israelische Kulturministerium haben „Yes“ trotz seiner drastischen Kritik mit Fördermitteln bezuschusst. Netanjahu und seine rechte Regierung bestimmen eben nicht alles – Israel ist eine Demokratie. Die Nadav Lapid als gefährdet sieht. Schon in „Policeman“ hat er die zunehmenden Klassengegensätze in Israel kritisiert.  

Wenn Y. und Yasmin überlegen, mit ihrem Sohn Noah nach Europa zu gehen und Israel zu verlassen, erscheint dies als Lösung. Der Regisseur selbst ist vor Jahren nach Frankreich ausgewandert. Und kommt doch in seinen Filmen nicht von Israel los. Wie auch, es bleibt für Jüdinnen und Juden weltweit das Zufluchtsland. 

Yes, Deutschland/Frankreich/Israel/Zypern 2025, 150 Min., Buch & Regie: Nadav Lapid, Kamera: Shai Goldman, Montage: Nili Feller, Ton: Moti Hefetz, Aviv Aldema, Adrian Baumeister. Mit: Ariel Bronz, Efrat Dor, Naama Preis, Alexey Serebryakov, Sharon Alexander, Pablo Pillaud Vivien, Idit Teperson, Shira Shaish. FSK: 16. Hebräische OmU-Fassung und deutsche Synchronfassung. Ab 13. November im Kino.