Stadtguerrilla auf israelisch

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„Policeman“ inszeniert das Innenleben einer linken Kleingruppe, die bewaffnet gegen die zunehmenden Klassengegensätze in Israel protestiert, parallel mit der einer Antiterroreinheit der Polizei. Am Schluss kommt es zur unvermeidlichen Begegnung der beiden Gruppen…

Von Gaston Kirsche

Fünf Männer fahren zackig auf Rädern eine Straße hoch, die sie in voller Breite ausfüllen. Steiler Anstieg? Kein Problem! Rundherum karge Berge. Sie halten an, rufen laut ihre Namen in die Schluchten. Sie sind präsent, sie sind stark, raumgreifend. Yaron ist einer von ihnen. Ein „Polizeikämpfer“, wie er sagt. In einem Café legt er seine schwere Pistole auf den Tisch, um eine junge Frau damit zu beeindrucken. Nur weil er erfährt, dass sie erst 15 ist, hört er auf, sie mit seinem Machogehabe anzubaggern. Zuhause liegt seine Frau auf dem Sofa, hochschwanger, kurz vor dem Stichtag. Er ist stolz darauf, Vater zu werden. Fürsorglich massiert er seine Frau zur Geburtsvorbereitung. Seine Kollegen applaudieren, als er erzählt, dass ihr Baby jetzt jeden Tag kommen kann. Auch in seiner Freizeit ist er mit den Kollegen aus der Spezialeinheit der Polizei zusammen. Sie sind es, die zusammen den Berg hochgefahren sind. Schulterklopfen, wenn sie sich treffen, kräftige Umarmungen. Aus Spaß wird ein Ringkampf veranstaltet. Nur ein Kollege, Ariel, ist kein kraftstrotzender Kerl mehr. Er hat Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Charakteristisch für den in Gegensätzen erzählenden Rhythmus des Filmes: Ein endendes steht einem bald beginnenden Leben gegenüber.

Policeman

Ariel nimmt bei Ermittlungen gegen die Polizeieinheit alle Schuld auf sich. So haben sie es abgesprochen: Gegen einen Kranken werden sie schon nicht prozessieren. Schuldbewusstsein? Keine Spur. Bei einem Einsatz haben sie mehrere Angehörige einer arabischen Familie getötet. Darunter einen fünfjährigen Jungen. Kein Innehalten, keine Zweifel, nur eine von Kameraderie gekennzeichnete Abwehr der Ermittlungen durch die Justiz zeigen die Polizisten.

Nadiv Lapids erster Langspielfilm ist kein klassischer Polizeifilm. Aber: Er ist es auch – und streckenweise ein Kammerspiel, auch ein Rebellionsdrama. „Policeman“ oder „ השוטר, Ha-shoter“, so der hebräische Originaltitel, ist vor allem ein in seiner Widersprüchlichkeit bis zum plötzlichen Zerreißen spannendes Drama über zwei absolut gegensätzliche Möglichkeiten, mit der zunehmenden sozialen Polarisierung im heutigen Israel umzugehen. Dabei zeigt der Film angenehm genau, aber distanziert – dank der exzellenten Kameraführung von Shai Goldman – die ProtagonistInnen. Auf Filmmusik wird bis auf den Schluß verzichtet, die Zuschauenden werden nur auf den letzten paar hundert Filmmetern emotional gelenkt.

„Policeman“ zeigt ihn, den Korpsgeist. Auch wenn er in Israel angesichts der realen Bedrohung durch palästinensische TerroristInnen naheliegender erscheint als anderswo, ist die Mächtigkeit dieses männerbündischen Gehabes erschreckend. Die Tonspur trägt dass ihrige dazu bei: Das ständige Schulter- und Rückenklopfen ist betont laut.

Der Regisseur Nadiv Lapid hat für die dichte Inszenierung der Verbindung von archaischer Männlichkeit und paramilitärischem Korpsgeist auf seine eigenen Erfahrungen bei der IDF, der israelischen Armee, zurückgegriffen. Während seines dreieinhalbjährigen Militärdienstes hat er füreinander einstehende Kameradschaft erlebt, deren Kehrseite die Härte war gegen die Anderen, die potenziellen – und teilweise angreifenden – als Feinde gesehenen auf palästinensischer Seite. Israels Last: ständig militärisch abwehrbereit sein zu müssen.

In Interviews hat Nadiv Lapid mehrfach erklärt, die äußere Bedrohung Israels führe dazu, dass die sozialen Konflikte und Klassengegensätze im Land zu wenig beachtet würden. In „Policeman“ will er dass anders machen: in der zweiten Hälfte des Filmes lernen wir eine kleine, isoliert agierende linke Gruppe kennen. Hier ist der Film inkohärent, werden doch bei einem Briefing von Yarons Polizeieinheit zwei von ihnen bei einer Beurteilung der Gruppe mit „Socialist Struggle“ und „Avantgarde“ in Verbindung gebracht – Fantasienamen für öffentlich tätige radikale linke Organisationen. Gegen die zunehmende, heftige soziale Ungerechtigkeit in Israel will die kleine Gruppe angehen. Radikal die Reichen angreifen, die von der jahrzehntelangen Politik der Privatisierung profitiert, sich bereichert haben. Auf Kosten der Mehrheit der israelischen Bevölkerung.

Regisseur Lapid inszeniert sie als Racheengel, offensichtlich losgelöst von sozialen Bewegungen. Absurd. Als ob ein paar Pistolen eine reale soziale Massenbewegung ersetzen könnten. Und dass auch noch ausgerechnet im hochmilitarisierten Israel. Das zudem mit sich als links verstehender Gewalt schockierende Erfahrungen gemacht hat: Ein Kommando der japanischen Guerrilla „Rote Armee“ schoss am 30. Mai 1972 beim Massaker am Flughafen Lod wahllos um sich und warf Handgranaten auf zufällig Anwesende. 26 Menschen starben, 80 wurden verletzt. Diese selbsternannte „Rote Armee“ wollte damit Solidarität mit dem nationalen Kampf der PLO bekunden. Ein terroristischer Akt, der die Abgrenzung von bewaffneter linker Politik gegenüber Terrorismus innerhalb Israels grundlegend in Frage stellte. Vor diesem Hintergrund wirkt die simple Darstellung der bewaffneten Gruppe in „Policeman“ etwas unbedarft.

Der erste Auftritt der linken Gruppe im Film ist eine Schießübung. Alle vier haben schwere Pistolen, Shira streift mit ihrer sanft den Arm von Nathanael. Und endlich tun sie auch dass, was für linke Gruppen so viel typischer ist als das Schießen – sie diskutieren einen Text. Der soll kurz, einfach und grundsätzlich sein. Für eine Aktion. Dabei wirkt der Text schablonig, rein moralisch, so wie insgesamt die kleine, bewaffnete linke Gruppe in ihren Inhalten diffus bleibt. Erst während ihrer militanten Aktion liest Shira laut einen Text vor sich hin, in dem es um konkrete Kritik geht: Wie ein Multimillionär die ArbeiterInnen in seinen Salzbergwerken unterdrückt, ihnen gewerkschaftliche Organisierung verbietet. Das ist kriminell, nicht wir! Wie ein anderer Millionär seinen Putzfrauen nur Dumpinglöhne zahlt. Ihr Text geht aber in der Aufregung unter, weil die Gruppe ganz praktische Probleme hat. Denn nun passiert das, worauf der Film zuläuft: Die linken AktivistInnen um Shira bekommen es mit der Polizeieinheit um Yaron zu tun.

Policeman

Der Film erinnert in seinem packenden Aufbau an „Amores Perros“ von Alejandro González Iñárritu. In „Policeman“ sind es allerdings keine Autos, die in einem verheerenden Unfall zusammenstoßen. Aber wie in dem mexikanischen Film nimmt der Film verschiedenste Perspektiven ein, die Zuschauenden können sich immer wieder auf neue Konstellationen und Situationen einstellen. Störend ist allein, dass der überzeugenden Darstellung der Polizeitruppe eine Darstellung der linken Gruppe dialektisch gegenübergestellt wird, die sich auf ihr Beziehungsgeflecht konzentriert. So wirkt die Gruppe bizarr, übermütig: sich verrennende Jugendliche. Allein der Vater eines der Genossen, früher selbst aktiv in der radikalen Linken, kann in kurzen Andeutungen und durch seine fürsorgliche Art, seiner Bereitschaft bis zum Äußersten, seinen Sohn zu schützen, etwas von gereiften radikalen, linken Inhalten ausdrücken. Ansonsten ist der Inszenierung anzumerken, dass sich Lapid vom vorherrschenden deutschen Diskurs, den Fremdzuschreibungen über die sogenannte „Baader-Meinhof-Bande“ hat inspirieren lassen: Frustrierte Desperados aus gutbürgerlichem Elternhaus. Die beunruhigenden, zunehmenden sozialen Verwerfungen in Israel bekommt „Policeman“ so nur andeutungsweise ins Bild. Eben sowenig das Dilemma der israelischen Linken, einerseits dem Schutzinteresse des jüdischen Staates gerecht zu werden, aber andererseits gegen die neoliberale, unsoziale Ausrichtung des Staatsapparates, die Militarisierung der Politik und die enorm hohen Kosten von Militär und Polizei zu protestieren.

Im August 2011 kam „Policeman“ mitten während der größten sozialen Proteste seit Jahrzehnten in die Kinos Israels. Freigegeben erst ab 18 – eine solche Einstufung durch den Israel Film Council ist selten. Zur Begründung wurde auf Gewalt im Film verwiesen. Die Entscheidung rief breiten Protest hervor, etwa durch die linksliberale Tageszeitung Ha’Aretz. Limor Livnat, seinerzeit Ministerin für Kultur und Sport, intervenierte wie viele Kulturschaffende beim Israel Film Council. Die Altersfreigabe wurde auf 14 Jahre abgesenkt. „Die Entscheidung, den Zugang zum Film einzuschränken wurde getroffen wegen der einzigartigen Gewalt, welche eine anarchistische Gruppe gegen wohlhabende Geschäftsleute ausübt in dem Film“, erklärte Nissim Abouloff, Vorsitzender des Israel Film Council, gegenüber Ha’Aretz: „Aber als das Unterkomitee den Film diskutierte, urteilte es mit großer Strenge, während der ganze Rat es nicht mit der gleichen Strenge sah“.

Der Regisseur betonte in Ha’Aretz, sein Film „zeigt sehr viel weniger Gewalt als ein beliebiger US-Actionfilm oder irgendein israelischer Film über die Israelische Armee. Es scheint so, als ob für den Rat ein Vorgehen gegen die Tycoons Gewalt ist, Soldaten im Kampf aber nicht.“ Nadiv Lapid erklärte, dies sei eine ideologische Definition von Gewalt: „Wenn es zu einem internen sozialen Kampf, einem Kampf gegen die Tycoons kommt, sehen sie dies als eine illegitime Gewalt.“ So wurde in Israel anhand der Frage der Altersfreigabe lebhaft über den sehenswerten Film diskutiert, über die Selbstwahrnehmung von Gewalt in einer durch äußere Bedrohung militarisierten Gesellschaft.

השוטר / Policeman, Israel 2011, 105 min. Buch/Regie: Nadav Lapid; Kamera: Shai Goldman; Mitwirkende: Yiftach Klein, Yaara Pelzig, Michael Moshonov, Menashe Noy, Ben Adam, Michael Aloni. Originalversion hebräisch mit deutschen Untertiteln, deutsche FSK-Freigabe: ab 16.
Bonus: Die DVD enthält ein Gespräch des Filmemachers und Autors Nicolas Wackerbarth mit dem Regisseur Nadav Lapid.
15,90 Euro. Erhältlich bei goodmovies.de. Trailer mit deutschen Untertiteln: http://www.gmfilms.de

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Guter Überblick zu betrieblichen Konflikten um prekäre Arbeitsbedingungen in Israel: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Ausland/Nahost/NewsletterGewerkschaftenIsrael.pdf
Der Text des Soziologen Assaf Bondi thematisiert vor allem die neue gewerkschaftliche Selbstbestimmung anhand der Organisation Koach la-Ovdim – Irgun Ovdim Demokrati, Macht den Arbeitern – Demokratische Arbeiterorganisation. Es geht um die Arbeitsbedingungen und Streiks von prekär beschäftigten Putzfrauen, FlughafenarbeiterInnen, KinderbetreuerInnen und weiteren Berufsgruppen.