„Ich werde überleben. Weil ich leben will“

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Eli Sharabis literarische Erinnerungen an seinen Überlebenskampf in den Tunneln der Hamas

Von Roland Kaufhold

Eli Sharabi überlebte 491 Tagen Hamashaft. Der 52-Jährige wurde am 7.10.2023 in seinem Kibbuz Beeri von den Terroristen der Hamas überfallen und nach Gaza verschleppt. Am 8. Februar 2025 kommt er nach 491 Tagen frei. Er hatte mit Glück überlebt und Furchtbares erlebt. Dennoch versichert er wenige Tage nach seiner Freilassung: „Ich rede über alles“.

Nun sind seine gut geschriebenen Erinnerungen, die in Israel auf der Bestsellerliste stehen, auch auf Deutsch erschienen. Es ist ein leicht lesbares, erzählendes Werk, in dem Eli Sharabi seinen eigenen Überlebenskampf in sehr direkter Weise widergibt. Zugleich ist es das erste Werk einer zurückgekehrten Geisel.

Verschleppung nach Gaza

Am 7.10. wird Eli Sharabis Familie im Kibbuz Beeri überfallen. Gemeinsam hatten sie – Eli, seine Frau Lianne ihre Töchter Noiya und Yahel – Zuflucht in ihrem Bunker gesucht. Dieser bot Schutz vor den Hamasraketen, aber keinen Schutz vor mit Maschinengewehren und mit Handgranaten ausgerüsteten Terroristen.

Vor den Augen seiner Familie wird Eli aus der Haustür gezerrt und nach Gaza verschleppt. All dieses Furchtbare beschreibt Eli Sharabi in seinem bemerkenswerten Buch in direkter Weise. Während rings um ihn herum der Krieg tobte, muss er 491 Tage an verschiedenen Orten in Gaza verbringen, nur fünf Kilometer von Beeri entfernt. Die ganze Zeit ist er mit Eisenketten gefesselt, leidet unter Ängsten und dem Hunger. Sein Glück ist, dass er mit mehreren Israelis gemeinsam festgehalten wird.

Eli Sharabi erzählt, dass die Hoffnung auf ein Wiedertreffen mit seiner Familie ihn aufrecht hält. Von deren schrecklichen Schicksal ahnt er nichts: Seine Frau Lianne und ihre Töchter Noiya und Yahel werden von den Terroristen ermordet. Sein Bruder Yossi wird ebenfalls nach Gaza verschleppt und kommt während eines israelischen Angriffs in Gaza ums Leben.

Eli mit seiner Frau Lianne und den Töchtern Noija (16) und Yahel (13)

Eli beschreibt seine Bewacher sehr präzise. Seine Beobachtungsfähigkeit hält ihn am Leben. Sein Glück ist, dass er auch arabisch spricht. Einer seiner Bewacher ist nicht nur ein einflussreicher Hamas-Terrorist, sondern auch ein Koordinator. Nicht nur der terroristische Überfall und die Ermordung von 1200 Israelis unterlag einem sorgfältigen Plan, sondern auch die Verschleppung von vielen Hundert Israelis, Zivilisten: „Hier herrscht Ordnung, es gibt einen Plan. Logik in diesem mörderischen Wahnsinn. Ich begreife, was hier vor sich geht. Die Terroristen laden die Geiseln in Fahrzeuge, die sie im Kibbuz gestohlen haben“, notiert Eli.

In den ersten Tagen seiner Verschleppung ist sein gesamter Körper ein einziger Schmerz: „Ich kann an nichts anderes mehr denken als an meine Hände, Schultern, Beine!“ Eli, wissenschaftlich ausgebildet, er hatte in seinem Kibbuz Beeri mehrere Leitungsfunktionen, studiert seine Peiniger, um das Gefühl der Autonomie nicht ganz zu verlieren: „Ich fange an, sie zu studieren. Nach und nach lerne ich alles über sie. Mit den geschärften Sinnen eines Mannes, der sich nur auf sein Überleben fokussiert, rieche ich, beobachte ich, fühle ich.“

„Ich werde hier rauskommen“

Auch dank seiner Arabischkenntnisse gelingt es ihm, eine Bindung zu seinen Wächtern herzustellen. Jede menschliche Bindung erhöht seine Überlebenschancen, das versteht er sogleich. Es gelingt ihm, diese zum Reden zu veranlassen. Sie erzählen ihm auch von ihrer eigenen Familie. Eli Sharabi studiere seine Umgebung, das private Haus, in dem sie festgehalten werden. Unablässig sammelt er Informationen.

Gemeinsam mit seinen israelischen Mithäftlingen spielt er Karten, um das Gefühl der Angst, der Todesfurcht abzuwehren und den Tag zu strukturieren. „Ich werde hier rauskommen. Ich werde nach Hause zurückkehren“, das sagt er sich immer wieder. Und er wird seine Familie wieder treffen, hofft er.

Am 31.10.23 hören sie gewaltige Detonationen. Nun erfährt er erstmals von dem unvorstellbaren Ausmaß des Überfalls: Die Hamas hat Hunderte von Geiseln nach Gaza entführt. Nach 50 Tagen wird er an einen anderen Ort, 50 Meter unter der Erde, in die Terrortunnel der Hamas verlegt, wo er andere Israelis trifft: Hersh Goldberg-Polin, Ori Danino und Almog Sarusi. Nach seiner Befreiung erfährt Eli, dass diese von den Terroristen elf Monate später kaltblütig ermordet wurden

In eindrücklicher Weise beschreibt Eli seine Bemühungen, sich durch die brutale Realität nicht seelisch zerstören zu lassen. Darüber tauscht er sich mit seinen Mitgefangenen aus. Sogar tief unter der Erde können sie die israelischen Luftangriffe hören. Sie haben Angst vor Befreiungsversuchen der IDF, weil dies unweigerlich zu ihrer Hinrichtung durch die Hamas führen würde. Auch deshalb hält man sie als Gruppe gefangen. Und doch malt sich Eli in seinen Fantasien mögliche Rettungsversuche durch die IDF aus.

Jeden Morgen inspiziert er seinen Körper, um sicherzugehen, dass dieser nicht von Würmern übersät ist. Seine Brille war gleich bei seiner Entführung zerstört worden.

Wie ein Psychologe – ich musste bei der Lektüre immer wieder an die psychoanalytischen Gespräche von Ernst Federn und Bruno Bettelheim in Buchenwald denken – beschreibt er die internen Konflikte, die in dieser Extremsituation auch zwischen ihnen als Gefangenen ausbrachen. Darf man essen, während der Freund nichts erhalten hat?

Seine Beziehung zu dem 31 Jahre jüngeren Pianisten Alon Ohel wird immer enger: „Er hilft mir zu lernen, wie man schwierige Themen behutsam ansprechen kann. Und ich helfe ihm, seine Gefühle zu äußern, frei von Angst und ohne einen Rückzieher zu machen.“

Dann immer wieder willkürliche Misshandlungen, die er beschreibt. Sie machen heimlich Sport, um ihren Körper am Leben zu halten. Und immer wieder versichert sich Eli: „Ich werde überleben. Weil ich leben will.“ Sie müssen bei den Propagandavideos der Hamas mitmachen, die Texte werden ihnen vorgegeben.

Im Juli 2024 teilt man ihnen mit, dass sie nun wegen des Verhaltens des rechtsextremen israelischen Ministers Ben-Gvir nur noch einmal am Tag etwas zu essen bekommen. „Jetzt beginnt der Hunger, der wirkliche.“

Im September 2024 kommen sie in einen neuen Hamas-Tunnel. Eli, der seine Bewacher weiterhin beobachtet, weiß, dass in einer Extremsituation jeder von ihnen bereit wäre, ihre Wächter zu töten. „Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, ohne Reue.“ Er erlebt diese als wenig informiert, als fanatisch, fremdgesteuert. Sie verhöhnen sie als „jüdische Schweine“.

Ihre hygienischen Zustände verschlimmern sich. Anfang Februar 2025 teilt man ihnen mit, dass sie nacheinander frei kämen. Nur Alon Ohel nicht. Der müsse als Geisel da bleiben: „Ich schaue Alon an. Er wird blass, beginnt zu zittern. Er ist völlig aufgelöst, kann kaum sprechen. Er soll als Letzter rauskommen. Sein Leben hängt an einem Deal, der noch nicht mal unterzeichnet wurde.“ Sie werden getrennt, an einen anderen Ort gebracht, einen neuen Tunnel und neue Bewacher.

Die Szenen der Freilassung

Unmittelbar vor ihrer Freilassung erhalten sie saubere Wäsche. Es folgen die sadistischen Inszenierungen der Hamas. https://www.welt.de/politik/ausland/video255583472/Israel-491-Tage-in-der-Gewalt-der-Hamas-Eli-Sharabi-berichtet-ueber-seine-Geiselhaft.html Jeder in Israel kennt diese Bilder und wird sie nie wieder vergessen.

„Die Hamas-Agenten geben uns detaillierte Bühnenanweisungen für die Zeremonie: wie wir aus dem Auto aussteigen, zur Bühne gehen und die Treppe hinaufsteigen sollen, was wir sagen, was sie sagen werden, wie genau wir winken, wann wir lächeln sollen. Alles.“

Als Eli am Übergang nach Israel die Menschenmenge wahrnimmt, die sie empfangen ist er überwältigt. Dann, im Moment der Sicherheit, bricht er erstmals zusammen.

Nun erfährt er von der Ermordung seiner Familie. Seine Mutter und seine Schwester warten in Re’im auf ihn.

Eli nach seiner Rückkehr mit seiner Mutter und Schwester, Foto: IDF Sprecher

„Ich bin frei. Ich bin jetzt ein freier Mann. Sie warten auf mich. Ich komme.“ So endet Eli Sharabis wirklich bemerkenswerter autobiografischer Zeitzeugenbericht.

Eli Sharabi: 491 Tage. In den Tunneln der Hamas. Suhrkamp, 200 S., 24 Euro, Bestellen?

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