Zum 90. Geburtstag von Renate Aris

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Foto: Alexander Tsyterer

Eine der letzten Holocaust-Überlebenden in Sachsen feiert am 25. August 2025 ihren 90. Geburtstag.

Renate Aris kam 1935 in Dresden als Tochter von Susanne und Helmut Aris und als Schwester von Heinz-Joachim Aris zur Welt. Als Kind erlebte sie die Ausgrenzung und Entrechtung von Juden in Sachsen. Am 16. Februar 1945 sollte sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder in ein Konzentrationslager deportiert werden. Die alliierten Luftangriffe auf Dresden retteten der Familie das Leben, ermöglichten ihr die Flucht vor dem sicheren Tod. Renate Aris ist eine der sehr wenigen, die als Kind den Holocaust überlebt haben. 20 Familienangehörige wurden in der
Schoa ermordet.

„Wir sind zur Gemeindearbeit erzogen worden“

Nach Kriegsende blieb die Familie Aris in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR. Sowohl Heinz-Joachim Aris als auch Renate Aris engagierten sich jahrzehntelang mit Hingabe für die jüdische Gemeinschaft. Renate Aris war von 1988 bis 2003 stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, außerdem jahrelang Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. „Wir sind zur Gemeindearbeit erzogen worden“, sagt sie. Ihr Leitsatz lautet: „Nicht warten, bis andere etwas machen, sondern selbst mittun.“

Gründerin des ersten Jüdischen Frauenvereins

1999 gründete sie den Jüdischen Frauenverein, den ersten in den neuen Bundesländern. „Mir ging es darum, jüdische Bildung und jüdisches Wissen zu vermitteln – auf eine vergnügliche Art und Weise“, sagt sie. Mit der Zuwanderung aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion war der Bedarf daran in der Gemeinde sprunghaft gewachsen. Zu den Themen gehörten unter anderem die Geschichte der Juden in Sachsen, die koschere Küche oder die Staatsgründung von Israel. 1875 hatte sich der erste Jüdische Frauenverein in Chemnitz gegründet, er bestand bis zur Auflösung durch die Nazis 1939.

Vor mehr als 600 Schulklassen Zeugnis abgelegt

Renate Aris ist eine gefragte Zeitzeugin. Bis heute stand sie vor mehr als 600 Schulklassen und berichtete vor Menschen aus allen Bevölkerungskreisen über den Nationalsozialismus und die Vernichtung jüdischen Lebens in Nazi-Deutschland. Trotz ihres Alters ist sie dieser Aufgabe treu geblieben. Erst vor wenigen Wochen hielt sie an der TU Dresden im Rahmen der Jüdischen Campuswoche Mitteldeutschland einen Vortrag, ebenso vor einem vollen Saal in der Alten Börse Leipzig. Das große Interesse erfüllt sie mit Freude und die Treffen mit jungen Leuten halten sie in Bewegung, wie sie sagt. „Wichtig ist, dass dieses Zeugnis von ihnen weitergegeben wird.“ Aktuell setzt sie sich für den Wiederaufbau des Alten Leipziger Bahnhofs in Dresden als Erinnerungs-, Begegnungs- und Lernort ein. Von dort starteten in der Nazi-Zeit Deportationszüge in die Gettos und Vernichtungslager.

Trägerin des Sächsischen Verdienstordens

2016 wurde Renate Aris mit dem Sächsischen Verdienstorden ausgezeichnet, unter anderem für ihre Beteiligung am Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde Chemnitz nach der Friedlichen Revolution. Außerdem wurde ihr Engagement für die Bildungsarbeit gewürdigt. 2022 erhielt sie den Ehrenpreis des Chemnitzer Friedenspreises für ihre Lebensleistung.

„Der Aufstand der Anständigen findet nicht statt“

Trotz aller Bemühungen herrscht aber immer noch erschreckend viel Unkenntnis über die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden, wie sie selbst feststellt. Dafür machen sich Hass und Ausgrenzung breit. „Der Aufstand der Anständigen findet nicht statt“, sagt Renate Aris. „Mittlerweile sind drei Generationen ohne Krieg, ohne Tod und ohne Verfolgung aufgewachsen – wie kommt dann diese braune Suppe in die Köpfe? Als Mitte der 2010er-Jahre Pegida aufkam, dachte man, dass sich all diese Menschenfeindlichkeit verlaufen wird und übersah ihre Gefährlichkeit. Stattdessen hat sich diese Ideologie verfestigt.“

Jubilarin bittet um Spenden für gute Zwecke in Israel

Die Jubilarin wünscht sich statt Sachgeschenken eine Spende für den Jüdischen Nationalfonds (Keren Kayemeth le-Jisrael), mit deren Hilfe Bäume in den Bergen bei Jerusalem gepflanzt werden. Auch Spenden für das Museum der Chemnitzer Partnerstadt Kirjat Bialik, den Beit Katz, sind willkommen. Für Spenden kann das Konto der Jüdischen Gemeinde Chemnitz (IBAN DE378709 621 4 0300 002013) genutzt werden. Bitte als Verwendungszweck „Renate Aris für Jerusalem und Kirjat Bialik“ angeben. Spendenbescheinigungen sind möglich.

–> „Ich bin das letzte Mitglied der Gemeinde vor 1989“
Renate Aris, langjähriges Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, organisierte 1999 die Wiedergründung des „Jüdischen Frauenvereins der Gemeinde Chemnitz“, in den 20 Frauen eintraten. Ein Gespräch von Sharon Adler mit der Dresdenerin, Chemnitzerin, Shoah-Überlebenden und Zeitzeugin.