Mittlerweile erschien der Band 33 des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“, diesmal aber in einer eher „schlanken Ausgabe“ bezüglich des Umfangs. Nur drei Beiträge beschäftigen sich mit den Folgen des 7. Oktober 2023. Gleichwohl enthalten sie bedeutsame Anregungen, gleiches gilt für die meisten anderen Aufsätze.
Von Armin Pfahl-Traughber
Mittlerweile liegt Band 33 des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ vor. Bekanntlich versteht es sich als Forum, das nicht nur Forschungen zur Judenfeindschaft, sondern auch zu anderen Minderheitenfeindlichkeiten thematisieren will. Zu den Autoren gehören neben Historikern auch Sozialwissenschaftler, womit man es mit einem interdisziplinären Werk zu tun hat. Der aktuelle Band, der wie die vorherigen Ausgaben vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin herausgegeben wurde, enthält neun Texte zu ganz unterschiedlichen Themenfeldern. Damit überrascht die regelmäßigen Leser aber der diesmal geringe Umfang. Auch die Herausgeberin Stefanie Schüler-Springorum bemerkt im Vorwort, es handele sich um einen „vergleichsweise schlank ausgefallenen Band“ (S. 7). Angesichts des ansteigenden Antisemitismus verwundert dies, gleichwohl mag es dafür gute Gründe geben. Die Erstellung eines Jahrbuchs ist nicht so einfach, wie die gelegentlichen Eindrücke unterschiedlicher Leser vermuten lassen.
Es finden sich auch nur drei Aufsätze in einem Dossier „Debatten über Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023“, wozu es ja eine breite Auseinandersetzung zu unterschiedlichen Gesichtspunkten im öffentlichen wie wissenschaftlichen Kontext gab und gibt. Gleich der erste Beitrag dort von Mathias Berek verdient genaues Interesse, schlägt der Autor doch das Konzept eines „Palästinismus“ vor, der für ihn gar Ausdruck einer Weltanschauung ist. Der gemeinte Ansatz geht von der Beobachtung aus, dass insbesondere „linke Gruppen“ hier erhebliche Widersprüche offenbarten. Einerseits werde eine humanistische Einstellung bekundet, andererseits relativere man gewalttätiges Vorgehen. Dies hänge nicht nur mit Antisemitismus, sondern auch einer besonderen Denkungsart zusammen. Berek benennt deren Elemente und eröffnet damit eine neue Forschungsperspektive, einhergehend mit Folgen für Kritik und Präventionsarbeit. Der Aufsatz verdient unbedingt eine kritische Erörterung, ist das Konzept doch für diverse Untersuchungen sinnvoll.
Dem folgt eine kurze essayistische Betrachtung von Yael Kupferberg zum 7. Oktober 2023. Und schließlich gehört zum Dossier ein Gespräch mit Avner Ofrath, der einen vielbeachteten Artikel über die Formen der Gewalt im „Israel/Palästina-Konflikt“ veröffentlicht hatte. Darin finden sich auch beachtenswerte Einschätzungen zu inflationären Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus. Darüber hinaus werden etwa Legitimationsstrategien zugunsten von „Widerstandsbewegungen“ hinterfragt. Leider bleibt es in dieser Ausgabe des Jahrbuchs eben nur bei diesendrei Texte zum aktuellen Thema. Ihnen vorangestellt sind Abhandlungen zu ganz anderer Fragen. Diese Anmerkung will keineswegs deren Bedeutung minimieren, gleichwohl bedarf es angesichts des ansteigenden Antisemitismus noch vieler Detailerörterungen. So eskalierte die gemeinte Entwicklung ja schon vor den späteren Reaktionen der israelischen Streitkräfte, was für eine Dynamik von einschlägigen Gewalthandlungen eben ohne die gelegentlich postulierte Motivation einer entsprechenden Reaktion steht.
Die anderen Aufsätze beschäftigen sich etwa bei Berryl Amedegnato u.a. mit Berliner Teilprojekten, die auf unterschiedliche Erscheinungsformen von einem „institutionellen Rassismus“ bezogen sind. Dem folgt eine Darstellung von Sven Kinas zu dem antisemitischen Agieren an der Universität München zwischen 1933 und 1945. Der chinesische Antisemitismus zwischen 1912 und 1949 wird danach von Yuang Marcus Liu und Qing Xiao thematisiert. Psychologische Aspekte der Judenfeindschaft sind bei Anthony Kauders ein Thema. Antisemitismus an der Schule wird ebenfalls betrachtet, hier auf Basis einer von Karim Fereidooni und Sebastian Salzmann durchgeführten qualitativen Unterrichtsbeobachtung. Und dann geht es noch um Antisemitismus in jüdisch-nichtjüdischen Begegnungen, dabei bezogen auf Erfahrungen von deutschen Juden, die von Dana Ionescu und Fiona Kazarovytska untersucht werden. Auch diese Beiträge bringen die Forschung in unterschiedlichen Kontexten voran.
Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 33, Berlin 2024 (Metropol-Verlag), 208 S., Euro 21,00, Bestellen?