Die AfD und der Antisemitismus – Kurze Betrachtungen anlässlich aktueller Debatten

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Foto: Stefan Kühn/CCO

Formal distanziert sich die AfD vom Antisemitismus, aber gleichzeitig findet man judenfeindlich geprägte Codewörter kontinuierlich bei hochrangigen Funktionsträgern der Partei. Deren Anhänger haben bezüglich des Antisemitismus in empirischen Studien die höchsten Zustimmungswerte, was aber alles nicht zu Auseinandersetzungen mit der internen Judenfeindlichkeit führt.

Von Armin Pfahl-Traughber 

Angesichts der Debatte um die Frage, wie die AfD zur Demokratie steht, ist auch ihre Einstellung zur Judenfeindschaft relevant. Betrachtet man die öffentlichen Äußerungen der Partei, so distanziert sie sich dort von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. So heißt es etwa in dem von der AfD herausgegebenen „Europa-Wahlprogramm 2024“ (Berlin 2023, S. 13): „Wir fordern … eine gesellschaftliche Ächtung jeglicher Form von Antisemitismus – ausdrücklich auch, wenn die Urheber in linken und muslimischen Milieu zu verorten sind.“ Hier scheint eine Differenz zum traditionellen Rechtsextremismus zu bestehen, denn in diesem politischen Lager gehören antisemitische Positionen zum politischen Selbstverständnis. Doch wie glaubwürdig sind bei der AfD einschlägige Bekenntnisse, die ihr nicht nur von den Interessenvertretungsorganisationen von Juden nicht abgenommen werden? Zwar gibt es die besondere Gruppe der „Juden in der AfD“, wobei es sich aber nur um eine kleine Minderheit von wenigen Personen mit geringer Zahl handelt.

Eine Erörterung der Frage beginnt mit allgemeinen Reflexionen darüber, wie sich der Antisemitismus in der Gegenwart in öffentlicher Präsenz artikuliert. Die Erläuterung dazu geht von folgender Feststellung aus: Ganz offen vorgetragene antisemitische Aussagen wie man sie etwa aus dem historischen Nationalsozialismus kennt, sind meist auf die innere Kommunikation der neonazistischen Szene beschränkt. Gleichwohl artikulieren sich im Alltagsleben immer wieder einschlägige Einstellungen, offenkundig als tiefsitzende Ressentiments dann in nicht mehr latenter, sondern manifester Version. Auch offenkundige Antisemiten arbeiten eher mit Codewörtern, um strafrechtlichen Konsequenzen und öffentlicher Kritik zu entgehen. Dabei dienen bestimmte Formulierungen als Platzhalter, womit Juden ohne deren deutliche Nennung gemeint sein sollen. Bei Gleichgesinnten lösen sie dann entsprechende Zuordnungen aus. Ein Beispiel wäre das „internationale Finanzkapital“, womit dann das „jüdische Finanzkapital“ gemeint sein soll.

Ein älterer Fall war hier schon einmal ausführlich Thema. Björn Höcke hielt 2020 eine Rede, worin Bezeichnungen wie „Juden“ oder „Verschwörung“ nicht vorkamen. Gleichwohl gab es mehrere eindeutige Anspielungen. Dazu gehörte die Auffassung, dass die konspirativen „Globalisten“ die nationalstaatliche Identität überwinden wollten. Er sprach außerdem davon, dass die gemeinten „Globalisten“ eine politische Elite in ihrem Sinne implementiert hätten. Und dann war von einer „Globalisierungskrake“ und „Herrschaftskrake“ die Rede. Das Bild der Krake zierte häufig die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“, wo ein angeblich jüdischer Akteur eine Krake die ganze Welt umfasste. Spätestens bei dieser Anspielung auf die „Krake“ wird offenkundig, dass Höcke bewusst oder unbewusst antisemitische Stereotype mit verschwörungsideologischem Zuschnitt bediente (vgl. Armin Pfahl-Traughber, Höcke als Verschwörungsideologe).

In dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, welcher die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einschätzt, aber leider bislang noch nicht veröffentlicht wurde, finden sich offenbar einschlägige Fälle. Allein auf 40 Seiten stünden derartige Statements, berichtete in einem Artikel jüngst „Der Spiegel“. Folgender Auszug macht das Gemeinte deutlich: „Ein Vizevorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt nannte den damaligen US-Präsidenten Joe Biden eine ‚giftige Sprechpuppe der Globalisten‘, während ein sächsischer Landtagsabgeordneter vom Machthabern raunte, die ‚vom Weltfinanzkapital gesteuert‘ seien. Ein Vorstandsmitglied der schleswig-holsteinischen JA twitterte von einer ‚Minderheit, die wir fast ausgerottet haben‘ und die nun ‚dieses Land‘ regiert“ (Maik Baumgärnter, „Eine Mäßigung ist nicht ersichtlich“, in: Der Spiegel, Nr. 20 vom 10. Mai 2025, S. 20-23, hier S. 22). Derartige Aussagen gibt es offenkundig in großer Zahl, insofern kann es sich nicht um bloße Ausrutscher oder unglückliche Formulierungen handeln.

Andere Beobachtungen bestätigen diese Einschätzung: So berichten AfD-Aussteiger vom Innenleben der Partei, wo antisemitische Aussagen im nicht-öffentlichen Raum offenbar häufiger Thema sind. Gleiches legt die interne Kommunikation nahe, worüber investigative Journalisten berichteten. Derartige Einsichten werden von der Parteiführung als bloße Verleumdungen gedeutet oder fallen aus der inhaltlichen Wahrnehmung heraus. Demgemäß findet auch keine interne Auseinandersetzung mit antisemitischen Einstellungen statt, zumindest ist über ein einschlägiges Engagement öffentlich kein Wissen präsent. Auch die Existenz einer Gruppe „Juden in der AfD“ spricht nicht gegen die interne Präsenz antisemitischer Stereotype. Denn bei den Genannten handelt es sich nur um wenige Personen, die den Blick auf eine angebliche oder tatsächliche linke oder muslimische Judenfeindschaft konzentrieren. Der Alibicharakter dieser Gründung ist daher offenkundig (vgl. Armin Pfahl-Traughber, „Was Juden zur AfD treibt“).

Wie erklärt sich aber nun die einleitend zitierte Auffassung, wonach man den Antisemitismus ablehne? Erstens will die AfD so ihr Image als seriöse Partei befördern, gilt doch Judenfeindschaft öffentlich als verwerfliches Vorurteil. Zweitens wird auf einen linken und muslimischen Antisemitismus verwiesen, welcher jeweils offenbar die schlimmere Variante sein soll. Drittens fällt der Blick so nicht auf die gesellschaftliche Mitte und die Rechten, kommen derartige Ausprägungen in dieser Betrachtung gar nicht vor. Die AfD hätte demnach in der Gesamtheit mit Judenfeindlichkeit gar nichts zu tun. Eine derartige Deutung kann indessen kaum Glaubwürdigkeit beanspruchen, agierte die Partei bei einschlägigen Skandalen kaum präventiv und mehr spät. Erst bei der öffentlichen Aufmerksamkeit für einschlägige Äußerungen von Mitgliedern reagierte man, wofür nicht nur der frühe Fall von Wolfgang Gedeon 2016 steht (vgl. Armin Pfahl-Traughber, Wolfgang Gedeon und die „Protokolle der Weisen von Zion“).

Darüber hinaus werden wichtige Erkenntnisse von der empirischen Sozialforschung geliefert. Blickt man auf das Ausmaß antisemitischer Einstellungen, die bei den Anhängern diverser Parteien existieren, so sind die mit Abstand bei den AfD-Anhängern am stärksten ausgeprägt: beim tradierten bzw. israelbezogenen bzw. Schuldabwehr-Antisemitismus mit 15 bzw. 22,4 bzw. 50,2 Prozent (vgl. Oliver Decker u.a. (Hrsg.), Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen, Gießen 2024, S. 146). Eine Auseinandersetzung mit dieser Erkenntnis ist seit Jahren kein Thema. Noch nicht einmal in Ansätzen lässt sich eine kritische Beschäftigung mit antisemitischen Gegebenheiten konstatieren, was eben nicht für eine glaubwürdige Haltung gegen die Judenfeindschaft im ganzheitlichen Sinne spricht. Dafür findet man die erwähnten Codewörter kontinuierlich bei hohen Funktionsträgern, ohne dass dies bekannt gewordene Einwände oder gar Korrekturen nach sich zog. Aussagen zu einer Judenfeindschaft von Muslimen richten sich daher gegen Muslime, der eigene Antisemitismus in der Partei ist ebendort kein Thema.