„Wenn Du ein Warum hast, dann findest Du das Wie“

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Foto: O. Vrankovic

Es gibt im Moment keine Aussicht auf ein weiteres Abkommen, das die verbliebenen 59 Geiseln aus Gaza nach Hause bringen wird. Die Geschichten und Schicksale der zurückgekehrten Geiseln lassen keinen Zweifel an der Dringlichkeit eines solchen Abkommens.  

Von Oliver Vrankovic

Ela Elyakim aus Nir Oz war acht Jahre alt als sie am 7. Oktober die Ermordung ihres Vaters ansehen musste und mit ihrer Schwester Dafna (15) nach Gaza entführt wurde. Am 19. Januar diesen Jahres erzählte sie von ihrer Freilassung. Als sie die Uniformen der israelischen Soldaten sah, so Ela, habe sie verstanden, dass sie frei sei und ihre Mutter wieder sehen würde. Ela erinnerte sich daran, wie sich Romi Gonen (24), die vom Nova Musikfestival entführt wurde, in Geiselhaft um sie gekümmert hatte. Das Mädchen, dass 51 Tage von Palästinensern in Gaza gefangen gehalten wurde, zerriss die Herzen der Israelis, als sie sagte, dass sie sich nun um Romi und die anderen kümmere, deren Freilassung an diesem Tag anstand. Mit Romi entkamen Emily Damari (28) und Doron Steinbrecher (31), die aus ihrem Kibbutz Kfar Aza entführt wurden, nach 471 Tagen der Finsternis.

„Sie haben auf mich geschossen, Mama, und ich blute. Alle im Auto bluten“, waren die letzten Worte von Romi Gonen bei ihrem Versuch, vom Nova-Gelände zu fliehen, bevor man nichts mehr von ihr hörte. Die drei Festivalbesucher*innen, die mit ihr im Auto zu fliehen versuchten, haben nicht überlebt.

Die Bilder von Doron, Emily und Romi, die aufrechten Gangs und auf eigenen Beinen stehend der Hölle entstiegen und von ihren Liebsten in die Arme geschlossen wurden, löste eine fast schon entgrenzte Euphorie in Israel aus. Nach einer Ewigkeit, in der Tod und politischer Zynismus die Nachrichten gefüllt haben und man immer nur das Schlimmste erwartet hat und dabei selten enttäuscht wurde, das volle Gegenteil: Leben, Freude, Hoffnung. Die Freilassungen fühlten sich trotz des sich auf ewig eingefressen Horrors so an, als ob es eine Zeit danach geben kann, ein Aufstehen aus den Trümmern.

Emily Damari kehrte aus Gaza mit einer verletzten Hand zurück, die sie bei einem ersten Videogespräch mit ihrer Familie in einer Siegerpose zeigte. Ihre Hand wurde zu einem Symbol der Resilienz. Als sie das erste Mal nach ihrer Rückkehr aus Gaza ihr Haus besuchte, verkündete sie auf social media „I’m back” mit der Hand mit drei Fingern als Emoji. Auf einem Bild sieht man sie neben einem Plakat von Aviv Baram, einem Freund von ihr, der bei der Verteidigung des Kibbutz gefallen ist. In Kfar Aza wurden am 7. Oktober 56 Zivilist*innen ermordet, 24 Sicherheitskräfte und Soldaten sind bei der Verteidigung gefallen.

Seit wir bei der Ausstellung über den 7.10. in Kfar Aza waren, hatte meine 13jährige Tochter Ma’ayan ständig ein Shirt getragen, das der Rückkehr von Doron Steinbrecher gewidmet war. Wie bei fast allen Israelis hat sich die Sorge um die Geiseln über Monate hinweg tief in sie eingefressen.

Doron Steinbrecher sprach letzte Woche bei einem der Proteste in Tel Aviv: „Sie drangen in mein Zimmer ein und schossen – so viele Schüsse. Sie zerrten mich aus dem Bett. Mein Laken ist voller Einschusslöcher. Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe. Ein Wunder, dass ich zurückkam. Ein Wunder, dass ich lebend zurückkam. Der Ort, an dem ich aufwuchs, einst erfüllt von Lachen, Freude und Musik, steht heute wie eine Gedenkstätte. Viele meiner Freunde wurden dort ermordet.“

Doron Steinbrecher am Platz der Entführten, Foto: Lior Rotstein

Das in drei Phasen unterteilte Abkommen zur Freilassung israelischer Geiseln lag seit Mai 2024 auf dem Tisch. Unterschrieben wurde es erst, nachdem Trump gewählt wurde, der Hamas mit einer nicht näher benannten Hölle in Gaza gedroht wurde und sein Sondergesandter Witkoff Druck auf Netanyahu ausübte.

Im israelischen Kabinett stimmten 24 israelische Minister für das Abkommen zur Befreiung der Geiseln und acht dagegen. In der israelischen Bevölkerung befürworten am Abend vor dessen Umsetzung 73% das Abkommen (unter den Befürwortern der Regierung waren es 53%) und 18% sprachen sich dagegen aus. Nicht vergessen werden darf, dass für die 33 israelischen Geiseln 1900 palästinensische Gefangene freigelassene werden mussten, darunter viele Mörder und Drahtzieher blutiger Terroranschläge.

In die Freude über die Freilassung der drei Zivilistinnen am 19. Januar mischte sich der Schock über den palästinensischen Mob, der sich um die Jeeps des Roten Kreuz drängte und den Frauen Angst einjagte. Niemand wusste, dass es noch sehr viel schlimmer kommen würde in den kommenden Wochen.

Am Samstag, den 25. Januar, kamen vier weitere junge israelische Frauen aus der Geiselhaft frei: Naama Levy (20), Liri Albag (19), Daniella Gilboa (20) und Karina Ariev (20). Die vier Beobachterinnen, die vom militärischen Außenposten Nachal Oz entführt wurden, waren 477 Tage in Gefangenschaft. Sowohl die Bilder ihrer Entführung als auch die wenigen Bilder, die uns aus ihrer Gefangenschaft erreichten, zeugten von der Gewalt, der sie ausgesetzt waren. Ein am 5. Januar veröffentlichtes Video von Liri in Gefangenschaft riefen die schlimmsten Befürchtungen hervor. Niemand kann sich vorstellen, was ihre Eltern 477 Tage lang durchmachen mussten. Im November letzten Jahres hatten palästinensische Terroristen gemeldet, dass Daniella Gilboa tot sei und sie dafür gezwungen, für ein Propagandavideo ihren Tod vorzutäuschen.

In dem militärischen Außenposten Nachal Oz, wo Liri, Daniella, Naama und Karina gedient hatten, wurden am 7. Oktober 59 israelische Soldat*innen brutal getötet, darunter 16 Beobachterinnen. Die ebenfalls entführte Beobachterin Noah Marziano wurde in Geiselhaft getötet.

Den vier Beobachterinnen wurde eine entwürdigende Zeremonie aufgezwungen, die den Israelis vor den Fernsehern und auf dem Platz der Geiseln den Atem stocken ließ. Fortan gehörten die Bühne, das Zuwinken zum Abschied und die Abschiedsurkunde zur palästinensischen Inszenierung der Freilassungen, die zunehmend den Charakter einer perversen Reality Show annehmen sollten.

Liri Albag erzählte ihrem Vater: „Papa, es gibt dort zwei Millionen Terroristen“ und berichtete von der vollumfänglichen Kooperation der palästinensischen Zivilbevölkerung mit den Terroristen und dass sie dem Hass auch von 4 und 8jährigen ausgesetzt war. Mia Shem (22), hatte nach ihrer Freilassung im November 2023 bereits gesagt, dass es keine unschuldigen Zivilisten in Gaza gäbe. Die Berichte freigekommener Geiseln zeigen übereinstimmend von der Komplizenschaft der Zivilbevölkerung bis hin zu Beschäftigten der UNRWA. Emily Damari wurde in einer Einrichtung der UNRWA gefangen gehalten.

Geschichten verschiedener Geiseln über Liri Albag machten diese zu einer Heldin in den Augen der israelischen Öffentlichkeit. So rettete Liri Amit Soussana (40), die als Erste über den sexuellen Missbrauch, den sie in Gaza erleben musste, berichtet hatte, vermutlich das Leben als sie die Terroristen, die ihr mit Gewalt entlocken wollten, dass sie Soldatin sei, überzeugte, dass es sich bei ihr um eine Zivilistin handle.

Nachdem die Zivilistin Arbel Yehud nicht wie vereinbart als erste freigekommen war und es große Sorge um ihren Zustand gab, drohte Israel den Netzarim Korridor nicht wie vereinbart zu räumen. Schließlich stimmte Hamas der außerordentlichen Freilassung von Arbel Yehud (29), Agam Berger (19) und Gadi Mozes (80) am Donnerstag, den 30. Januar zu. An dem Tag kamen auch fünf thailändische Gastarbeiter frei – Thenna Pongsak, Sathian Suwannakham, Sriaoun Watchara, Seathao Bannawat und Rumnao Surasak.

Am Platz der Entführten, Foto: O. Vrankovic

Ich verfolgte mit Hunderten Israelis auf dem Platz der Entführten in Tel Aviv wie die letzte in Geiselhaft verbliebene Beobachterin Agam Berger (19) in Jabalia im Norden des Gazastreifens freigelassen wurde, nachdem auch sie den Palästinensern in eine nachgemachten IDF-Uniform präsentiert wurde.

Am Platz der Entführten, Foto: O. Vrankovic

Was dann folgte ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. Arbel und Gadi, beide aus dem Kibbutz Nir Oz, und die fünf thailändischen Geiseln wurden in der Nähe der Ruinen des Hauses des ermordeten Hamas-Terrorführers Yahya Sinwar freigelassen, umgeben von maskierten Terroristen und einem feindseligen Mob. Arbel wurde als erste durch den hasserfüllten Mob von Palästinensern geführt, umringt von dergleichen Bewaffneten, die das Massaker in ihrem Kibbutz und die Massaker im Westlichen Negev angerichtet hatten. Statt den Weg zum Fahrzeug des Roten Kreuz, bei dem man sich fragt, was seine Mitarbeiter beruflich machen, möglichst kurz zu halten, wurde sie durch einen Lynchmob von Männern geführt. Jedem Menschen mit einem Funken Empathie muss sich der Magen umgedreht haben bei den Bildern.

Arbel wurde 482 Tage alleine gefangen gehalten. Alle Geiseln mussten am 7. Oktober miterleben, wie Familienmitglieder und Freunde massakriert wurden und erfahren nach ihrer Freilassung, wer von ihren Liebsten noch dem Massaker zum Opfer gefallen, oder noch in Geiselhaft gehalten wird. Arbels Bruder Dolev (35), ein Sanitäter, wurde am 7. Oktober ermordet, als er aus dem Haus ging, um Leben zu retten.

Dem Leid der Angehörigen und dem Kampf um die Freilassung von Gadi Mozes kam sehr nahe, wer am 6. Oktober 2024 am Panel „Stimmen aus Israel” teilnahm, bei dem sein Schwager Chanan Cohen sprach. Ob Gadi überhaupt noch lebt, war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Chanan, der mit seinem Ärger auf die israelische Regierung nicht hinter dem Berg hielt, hatte die feste Hoffnung auf Gadis Rückkehr und eine Flasche Whisky im Schrank, die er, so versicherte er uns, mit Gadi leeren würde, wenn dieser lebend zurückkehren sollte.

Kaum freigelassen, sagte Gadi Mozes, dass er sich dem Wiederaufbau des Kibbutz Nir Oz verpflichtet fühlt. Gadi, dessen Partnerin Efrat Katz am 7. Oktober ermordet wurde, schilderte am 25.3. einer kleinen Gruppe von Besucher*innen in seinem Haus seine Entführung. Sinnbildlich mündete das Gespräch mit Gadi in die Frage nach dem Wiederaufbau des Kibbutz. Auf den Whisky angesprochen, versicherte Gadi am 25.3., dass er diesen mit Chanan geleert habe.

Gadi glaubte nicht, den Lynchmob zu überleben und wurde vor seiner Freilassung auf einen Friedhof geführt und vor ein Loch gestellt, von dem er annehmen mussste, dass es für ihn gegraben wurde und dort den Islamischen Jihad für seine Behandlung in Geiselhaft loben.

Drei weitere israelische Geiseln entkamen am Samstag, dem 1. Februar 2025, der Hölle: Ofer Kalderon (54), Keith Siegel (65) und Yarden Bibas (35).

Keith wurde am 7. Oktober 2023 zusammen mit seiner Frau Aviva aus dem Kibbuz Kfar Aza verschleppt. Aviva wurde im November 2023 freigelassen. Am 5. September 2024 hatte die DIG Stuttgart Gil Siegel zu Gast, der uns die Geschichte seiner Tante Aviva und seines Onkels Keith erzählte. Keith wurde zu diesem Zeitpunkt noch von palästinensischen Terroristen gefangen gehalten und sollte noch ein weiteres halbes Jahr in Geiselhaft verbringen müssen. Gil gab uns einen ergreifenden Einblick in die Bedeutung der Geiselnahme für die Familien und in ihren vielschichtigen Kampf für die Freilassung der Geiseln.

Keith berichtete CBS, dass er in Geiselhaft Zeuge sexueller Gewalt gegen weibliche Geiseln wurde. Zu Abschied aus Gaza bekam Keith zwei Entlassungsurkunden. Eine für ihn und eine für Aviva um sie ihr quasi nachzureichen. Als Keith freikam, verweigerte er auf dem Landeplatz auf dem Dach des Ichilov Krankenhaus in Tel Aviv einen angebotenen Rollstuhl und lief dorthin, wo er einen Blick auf den angrenzenden Platz der Geiseln werfen konnte, dieser Ort, von dem die meisten Geiseln während ihrer Gefangenschaft in Gaza hörten und der ihnen Kraft gab.

Ofer Kalderon wurden am 7. Oktober mit seinen Kindern, dem damals 11jährigen Erez und der damals 16jährigen Sahar aus dem Kibbutz Nir Oz entführt. Die Großmutter und ein Cousin der Kinder (12, Harry Potter Fan) wurden ermordet. Die Geschwister wurden von ihrem Vater getrennt gefangen gehalten. Erez und Sahar kamen im November 2023 frei. An seinem 53. Geburtstag sah Ofer seine Tochter. Es war kurz bevor sie aus der Geiselhaft entlassen wurde und er bat sie für seine Freilassung zu kämpfen, er wollte nicht in den Tunneln sterben.

Yarden Bibas wurde verletzt und getrennt von seiner Frau Shiri und ihren beiden kleinen Söhnen – Kfir (9 Monate) und Ariel (4 Jahre) – entführt. Die Hamas behauptet, Shiri und die Kinder seien bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Yarden quälten sie damit, ihm zu sagen, dass er eine neue Frau und neue Kinder haben werde.

Am Samstag, den 8. Februar, wurden drei israelische Geiseln – Ohad Ben Ami (57), Eli Sharabi (52) und Or Levy (34) – nach 491 Tagen aus palästinensischer Gefangenschaft freigelassen. Allein ihre Erscheinung, die jeden Israeli an die Muselmänner der Schoah erinnerte, war ein Schlag in die Magengrube. Das Versprechen „Nie Wieder“, so war jetzt klar, wurde nicht gehalten.

Ohad Ben Ami wurde aus dem Kibbuz Be’eri entführt. Seine Frau, Raz Ben Ami (57), wurde ebenfalls entführt, aber im November 2023 freigelassen. Eli Sharabi wurde während des brutalen Hamas-Angriffs am 7. Oktober aus dem Kibbuz Be’eri entführt. Palästinenser hatten in Be’eri am 7. Oktober 132 Menschen massakriert, darunter 101 Zivilist*innen. Eli wurde von diesen Terroristen gezwungen, eine Erklärung darüber abzugeben, wie sehr er sich darauf freue, endlich seine Frau Lianne (48) und seine Töchter Yahel (13) und Noiya (16) wiederzusehen, ohne zu wissen, dass sie am 7. Oktober von der Hamas ermordet wurden. Seine Peiniger wussten es – denn sie lachten hinter seinem Rücken. Elis Bruder Yossi (53) wurde ebenfalls am 7. Oktober entführt und in Geiselhaft ermordet.

Or Levy wurde vom Nova-Musikfestival entführt. Auf der Flucht vor den Terroristen, die das Nova Festival überfielen und dort ein Massaker anrichteten, quetschen sich 27 junge Leute vor dem Kibbutz Re’im in einen Schutzraum. Es war eine Todesfalle. Terroristen fingen an Granaten in den Schutzraum zu werfen. Sieben(!) Granaten warf Aner Shapira (22) zurück. Dann erschossen die Palästinenser den Helden Aner (vermutlich mit einer RPG). Weitere Granaten konnten danach noch abgewehrt werden, bis eine explodierte. Es gab nur sieben Überlebende in diesem Schutzraum. Hersh Goldberg-Polin, Eliya Cohen, Alon Ohel und Or Levy wurden verletzt entführt. Einav (32), die Frau von Or Levy war unter den Todesopfern im Bunker. Ihr Sohn Almog, der im Juni 2024 drei Jahre alt wurde und seit dem Tod seiner Mutter Halbwaise ist, wartete sehnsüchtig auf seinen Vater. Or sagt, er habe an seinen Sohn denkend dank eines Zitats überlebt, dass er von Hersh gehört hat: „Wenn Du ein Warum hast, dann findest Du das Wie“.

Hersh Goldberg-Polin (23) wurde im August 2024 zusammen mit fünf anderen Geiseln – Eden Yerushalmi (24), Carmel Gat (40), Almog Sarusi (27), Alexander Lobanov (32)und Ori Danino (25) – in Gefangenschaft ermordet. Angesichts der Geiselfreilassungen Anfang 2025 muss sich die israelische Öffentlichkeit fragen, warum das Abkommen nicht schon umgesetzt zuvor wurde, die sechs und viele andere hätten gerettet werden können. 

V.r.n.l.: Hersh Goldberg-Polin, Eden Yerushalmi, Ori Danino, Almog Sarusi, Carmel Gat, Alex Lobanov

Ehemalige Geiseln berichten, dass sie angekettet und geknebelt wurden, an den Füßen aufgehängt, gebrandmarkt und ausgehungert wurden. Sie wurden qualvollen Verhören unterzogen und durften keine Schuhe tragen und sich nur einmal im Monat waschen. Or erzählte seiner Familie: „Ich war in einem dunklen Tunnel gefesselt, ohne Luft, ohne Licht. Ich konnte weder stehen noch gehen, und erst kurz vor der Freilassung entfernten die Terroristen die Ketten, und ich lernte wieder laufen.“

Eli Sharabi berichtete der UN von seiner Gefangenschaft: „Die ersten 52 Tage wurde ich in einer Wohnung festgehalten. Ich war mit Seilen gefesselt. Meine Arme und Beine waren so eng gefesselt, dass die Seile in mein Fleisch einrissen. Ich bekam fast nichts zu essen, kein Wasser und konnte nicht schlafen. Die Schmerzen waren unerträglich. Manchmal fiel ich vor Schmerzen in Ohnmacht, um dann wieder mit diesen Schmerzen aufzuwachen.
Dann, am 27. November 2023, brachte mich die Hamas in einen Tunnel, 50 Meter unter der Erde. Wieder waren die Ketten so eng, dass sie meine Haut aufrissen. Sie haben sie nie abgenommen. Nicht einen einzigen Moment lang. Diese Ketten zerrten an mir bis zu dem Tag, an dem ich freigelassen wurde. Jeder Schritt, den ich machte, war nicht mehr als 10 Zentimeter lang. Jeder Gang zur Toilette dauerte eine Ewigkeit. Ich kann die Qualen nicht beschreiben. Es war die Hölle. Ich bekam ein Stück Fladenbrot am Tag, vielleicht einen Schluck Tee. Der Hunger verschlang alles. Sie schlugen mich, sie brachen mir die Rippen. Es war mir egal. Ich wollte nur ein Stück Brot. Es gab nie genug zu essen.“

Eli Sharabi berichtete der UN auch, was mit den Hilfslieferungen passiert: „Ich habe gesehen, wie Hamas-Terroristen Kisten mit den Emblemen der UN und der UNRWA in den Tunnel trugen. Dutzende von Kisten, bezahlt von Ihren Regierungen. Sie fütterten Terroristen, die mich gefoltert und meine Familie ermordet haben. Sie aßen viele Mahlzeiten am Tag vor unseren Augen von den UN-Hilfsgütern, und wir haben nie etwas davon bekommen.“

Am 15. Februar kamen Alexander Troufanov (29), Yair Horn (46) und Sagui Dekel-Chen (36) nach 498 Tagen aus Gaza frei. Alle drei wurden während des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober 2023 aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt, bei dem ein Viertel der Bewohner getötet oder entführt wurde.

Während er sich in Geiselhaft befand, wurde Sagui zum dritten Mal Vater. Sasha Trupanov aus Tel Aviv besuchte seine Mutter Yelena und seine Großmutter Irena Tati in Nir Oz. Sein Vater Vitaliy wurde ermordet und Sasha zusammen mit seiner Mutter, Großmutter und Freundin Sapir Cohen entführt. Die Frauen wurden im November 2023 freigelassen. Yair Horn wurde zusammen mit seinem jüngeren Bruder Eitan (38), der aus Kfar Saba zu Besuch gekommen war, aus dem Kibbuz entführt. Eitan befindet sich noch immer in palästinensischer Geiselhaft.

Am 20. Februar wurden vier Leichen an Israel übergeben. Die Übergabe der sterblichen Überreste der am 7. Oktober aus ihrem Haus entführten Shiri Bibas und ihrer beiden Kleinkindern Kfir (9 Monate) und Ariel (4) nebst der Leiche von Oded Lifshitz, einem Friedensaktivisten aus dem gleichen Kibbutz, war den Palästinensern in Gaza ein Fest, für das es dem zivilisierten Menschen an Worten fehlt. Die israelische Gerichtsmedizin stellte fest, dass Shiri und ihre Kinder in Gaza mit bloßen Händen brutal ermordet wurden.

Meine Tochter Ma’ayan und ich haben wie gefühlt ganz Israel am 26. Februar den letzten Weg der Familie Bibas von der Gerichtsmedizin in Rishon LeZion in den westlichen Negev gesäumt. Überall auf dem Weg hielten Israelis Schilder hoch auf denen „Entschuldigung” stand. Eine Entschuldigung, nicht mehr getan zu haben, dass sie lebend zurückkehren.

Foto: O. Vrankovic

Die inoffizielle Botschafterin des Negev, Adele Raemer, aus Nirim, die sich selbst als Friedensaktivistin noch bis zum 7. Oktober für die Palästinenser einsetzte, fasste zusammen: „38 Kinder unter 18 Jahren wurden am 7. Oktober von als Menschen getarnten Monstern aus Gaza brutal abgeschlachtet.“ Mit Kfir und Ariel kamen zwei weitere Kinder zu der unfassbaren Liste hinzu, „und ihre liebe Mutter Shiri, die alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um sie zu beschützen.“

„Diese Familie mit den rothaarigen Babys liegt der Nation am Herzen. Ihr Schicksal hätte buchstäblich das Schicksal meiner Tochter und meiner Enkelinnen sein können. Es hätte das Schicksal eines jeden von uns in meinem Kibbutz sein können. In meiner Region. Es hätte das Schicksal jeder unserer Familien in diesem Land sein können, umgeben von so vielen Feinden, die – egal, wie oft wir unsere Hände zum Frieden ausgestreckt haben, egal, wie viele Menschen versucht haben, persönliche Brücken zu bauen, um unseren Nachbarn zu helfen – schwören, uns zu töten, uns aus unserem Land zu vertreiben, ermutigt von den „nützlichen Idioten“ im Ausland, die die Legitimität eines jüdischen Staates ablehnen.“

Im deutschen Außenministerium, wo es alle Gründe gab, sich dafür zu entschuldigen, sich zu wenig für Shiri und ihre Kinder (die auch die deutsche Staatsbürgerschaft hatten), die übrigens von Zivilisten entführt wurden, eingesetzt zu haben, als für ihre Entführer, herrschte Schweigen.

Am 22. Februar wurden Omer Wenkert (22), Omer Shem Tov (22), Eliya Cohen (27), Tal Shoham, Avera Mengistu und Hisham al-Sayed aus palästinensischer Gefangenschaft freigelassen. Avera und Hisham, die beide an einer psychischen Erkrankung leiden, waren seit 2014 bzw. 2015 in Gaza festgehalten worden.

Mit der Befreiung von Omer Shem Tov wurde Ori Daninos Mission komplett. Am 7. Oktober war Danino kurz davor, vom Nova-Musikfestival zu fliehen, als er eine schicksalhafte Entscheidung traf: Er kehrte um und versuchte, Omer Shem Tov, Maya und Itay Regev zu retten. Itay (18) und Maya (21) wurden im November 2024 freigelassen. Am 1. September 2024 konnte die israelische Armee die Leiche von Ori Danino aus Gaza bergen.

Eliya und seine Lebensgefährtin Ziv Aboud (27) suchten wie Or und Einav Levy Schutz in was als Todesbunker bekannt wurde. Aboud überlebte bewusstlos unter einem Berg von Leichen. Auch Abouds Neffe Amit Ben Avida und dessen Partnerin Karin Schwartzman, wurden im Bunker ermordet.

Tal Shoham (39) aus Be’eri wurde zusammen mit seiner Frau Adi Shoham (39), seiner Tochter Yahel (3) und seinem Sohn Naveh (8) sowie seiner Schwiegermutter Dr. Shoshan Haran, der Vorsitzenden der NGO Fair Planet, und der Tante seiner Frau, Sharon Avigdori (52) und dessen Tochter Noam (12) entführt. Viele andere Familienmitglieder wurden am 7. Oktober ermordet. Die entführen Frauen und Kinder kamen im November 2023 frei.

Nach der Freilassung veröffentlichte Hamas ein Video auf dem zu sehen ist, wie die Geiseln Evyatar David und Guy Gilboa-Dalal der Freilassung aus nächster Nähe zusehen mussten.

Am 26. Februar wurden die Leichen der getöteten Geiseln Itzik Elgart, Tsahi Idan, Ohad Yahalomi und Shlomo Mansour nach Israel überstellt.

Tsachi Idans Tochter Ma’ayan wurde am 7. Oktober. vor seinen Augen und den Augen seiner Frau Gali und seiner beiden jüngeren Kinder Yael (12) und Shahar (10) von Palästinensern erschossen. Die Kinder in Todesangst fragen nach ihrer Schwester und ob sie erschossen werden. Wir wissen das genau, weil die Palästinenser es live über Galis Handy auf ihrem Facebook gestreamt haben. Tsachi wurde brutal nach Gaza entführt.

Izik Elgarat wurde am 7. Oktober aus Nir Oz entführt, nachdem ihm Palästinenser durch die Tür seines Schutzraum in die Hand geschossen haben, bevor er diese schließen konnte. Als er bereits verwundert war, hat Itzik sein letztes Telefonat mit seinem Bruder Dany geführt. Sein Telefon wurde dann wenige Stunden später in Gaza geortet. Dany hat heldenhaft für die Rückkehr seines Bruders gekämpft und sich in seinem Kampf von keinen Konventionen einschränken lassen. Er trug überall einen gelben Stern, auf dem 7. Oktober stand und wurde dafür dumm angemacht auch hier in Israel. Erst mit den jüngsten Geiselfreilassungen und dem Bekanntwerden der Bedingungen unter denen die Geiseln gehalten wurden, wurde zumindest den Leuten hier klar, wie angebracht sein Auftreten war.

Das Haus von Itzik in Nir Oz, Foto: A. Livnat

Ende Februar war die Reality Show vorüber. 59 Geiseln befinden sich noch in Gaza und 24 davon sind vermutlich noch am Leben. Drei Wochen nach Ende der sogenannten ersten Phase des Abkommens passierte nichts. Israel verhandelte nicht über die zweite Phase, Hamas weigerte sich einer Verlängerung der ersten Phase zuzustimmen. Dann nahm die israelisch Armee auf Beschluss der israelischen Regierung die Kampfhandlungen wieder auf mit dem Versprechen, dass militärischer Druck zu weiteren Geiselfreilassungen führen werde. 70% der Israelis aber sprechen sich für eine Rückkehr aller Geiseln auch für ein Ende des Krieges aus. Die Regierung, die so einen Deal ablehnt, steht vielen Israelis im Verdacht, politische Erwägungen über die Befreiung der Geiseln zu stellen.

Yarden Bibas schrieb in einem Brief an Premier Netanyahu: „Jetzt ist es unsere Pflicht, unsere Brüder und Schwestern sofort zurückzubringen, darunter meinen engsten Freund David Cunio und seinen Bruder Ariel […] Als Einwohner von Nir Oz verstehe ich voll und ganz, dass die Hamas zerschlagen werden muss. Sonst werden wir nie sicher sein. Aber wir dürfen niemals die Unantastbarkeit des Lebens, die Würde der Toten und unsere grundlegende Pflicht, niemanden zurückzulassen, aus den Augen verlieren – sonst haben wir unsere Identität verloren.“