Die Hautfarbe soll bei antirassistischen Identitätsdebatten in den USA wieder relevant sein, wogegen die bewusste „Farbenblindheit“ von Coleman Hughes als besseres Prinzip beschworen wird. Sein Buch „Farbenblind“ steht dabei für ein kluges Plädoyer. Leider blendet er den Antisemitismus ebenso aus wie die von ihm Kritisierten, wird doch deren Doppelmoral und fehlende Glaubwürdigkeit an dieser Leerstelle besonders augenfällig.
Von Armin Pfahl-Traughber
In der berühmten „I have a dream“-Ansprache von Martin Luther King gibt es eine ganz zentrale Stelle: „Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden. Ich habe heute einen Traum!“ Diese Aussage bekundet in aller Deutlichkeit, dass die Farbe der Haut nicht mehr wichtig sein soll. Diese Annahme galt lange als Grundkonsens, auch bei der Bekämpfung des Rassismus. Doch dem ist mit Blick auf die Entwicklungen in den USA mittlerweile nicht mehr so. Eine neue Bewegung auch unter Intellektuellen stellt darauf ab, dass die Hautfarbe doch für Rollenzuschreibung relevant sein soll. Demnach wären die Opfer die Schwarzen und die Täter die Weißen. Letztere seien auch unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung und Handlungsweise letztlich rassistisch, da sie aufgrund ihrer Hautfarbe eben strukturell zu den Privilegierten gegenüber den Schwarzen gehörten. Die Auffassung von einer „Farbenblindheit“ wird abgelehnt.
Dafür plädiert indessen Coleman Hughes, der bei CNN als Politikanalyst arbeitet, aber auch als Kommentator für die New York Times schreibt. Sein Buch „The End of Race Politcs. Arguments for a Colorblind America“ liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor: „Farbenblind. Plädoyer für eine Gesellschaft ohne Race-Politik“. Der Autor, der sich darin als „einfach nur ‚schwarz‘“ (S. 8) vorstellt, formuliert als zentrale Botschaft, „dass Farbenblindheit das klügste Leitprinzip für unser fragiles Experiment einer multiethnischen Demokratie ist“ (S. 16). Damit wendet er sich gegen die Akteure eines „Neorassismus“, womit Autoren eines neuen Antirassismus gemeint sind. Robin DiAngelo und Ibram X. Kendi dürften deren bekannteste Repräsentanten sein. Nach Hughes nutzen sie diesen Terminus: „… sie rechtfertigen Diskriminierungen zugunsten Nicht-Weißer mit den von Weißen zu verantwortenden Nachteilen unter denen Nicht-Weiße gegenwärtig litten und schon deren Vorfahren gelitten hätten“ (S. 37).
Ganz offen sei etwa eine Diskriminierung von Kendi gefordert worden, welche sich unabhängig von dem individuellen Agieren gegen Weiße richten solle. Dabei beanspruche man eine Art historische Entschädigung für vergangene Unterdrückung. Demgegenüber vertritt Hughes eine andere Position: „Das Prinzip der Farbenblindheit: Wir sollten Menschen im öffentlichen wie im privaten Leben ohne Berücksichtigung ihrer Race behandeln“ (S. 38). Die strikte Einteilung nach Race passe nicht zu einer gerechten Sozialordnung, was auch die frühere Bürgerrechtsbewegung um King grundlegend abgelehnt hätte. Der Autor veranschaulicht dies anhand von einschlägigen Bekundungen des Friedensnobelpreisträgers, um damit auch gegenteiligen Geschichtslegenden aus dem anvisierten politischen Umfeld entgegen zu treten. Er kritisiert auch immer wieder die Fehlschlüsse und Implikationen der gemeinten Neorassisten. Diese verrieten so die Auffassung von einem gemeinsamen Menschsein, welche eben auch dem Ideal von King entsprochen habe.
Das kritisierte Denken habe indessen in vielen Institutionen schon Verbreitung gefunden, was anhand von Beispielen von der Gesetzgebung über die Medien bis zu den Universitäten aufgezeigt wird. Es gibt auch Erklärungsversuche für die Verbreitung, wobei der Bedeutungsverlust des Christentums, die Erosion traditioneller Feinbilder und die Medienwahrnehmung über Smartphone nicht wirklich alles erklären können. Ausführlich geht der Autor auch auf das neorassistische Narrativ ein, wobei es auch um „Disparitäts-Fehlschlüsse“ (S. 134) geht, werden doch im genannten Diskurs viele Unterschiede auf angebliche rassistische Wirkungen zurückgeführt. Der Autor kritisiert ebenso die Behauptungen vom fehlenden Fortschritt, hätten sich doch bei allen bestehenden Defiziten für Schwarze viele Verbesserungen ergeben. Abschließend macht Hughes mit mit polemischer Zuspitzung darauf aufmerksam, dass schwarze Menschen im Neorassismus selbst stereotypisiert würden, seien die ebendort doch von emotionaler Labilität geprägt.
Bei alldem schreibt der Autor mit leichter Hand, immer an der idealisierten „Farbenblindheit“ als Lösungsmodell orientiert. Dabei scheut er vor eindeutigen Aussagen und klaren Verurteilungen nicht zurück. Gleichwohl werden gute empirische wie moralische Argumente von ihm vorgebracht, um die rückständige Ausrichtung der gemeinten „Neorassisten“ zu kritisieren. Gegenüber den Idealen von Martin Luther King betreiben die Letztgenannten letztlich einen politischen Verrat. Es gibt bei Hughes aber auch eine Leerstelle, ebenso wie bei den von ihm gemeinten Neorassisten. Dies ist der Antisemitismus und dies sind die Juden. Denn dabei könnte man die Doppelmoral der Kritisierten umso besser veranschaulichen: Judenfeindschaft gilt nicht als Rassismus bei Schwarzen, da ja nun die meisten Juden zu den Weißen gehören, welche wiederum eben grundsätzlich über den Status von Überlegenheit verfügen würden. Die Gruppenfixierung der Kritisierten kennt eben keine universellen Prinzipien, so ist der Antisemitismus dann auch für sie ein Nicht-Thema.
Coleman Hughes, Farbenblind. Plädoyer für eine Gesellschaft ohne Race-Politik, Berlin 2025 (Edtion Tiamat), 262 S., 26 Euro, Bestellen?