Sieben Jahre waren sie musikalisch und privat ein Paar: die Pianistin und Komponistin Henriëtte Bosmans und die Cellistin und Dirigentin Frieda Belinfante. Zwei Musikerinnen aus Amsterdam, die Frauen lieben und sich mit Männern zusammentun, die als Jüdinnen verfolgt und während der Besatzung »unsichtbar« werden. Die eine gibt illegale Konzerte und rettet ihre Mutter vor der Deportation, die andere geht in den Widerstand, fälscht Pässe und verkleidet sich als Mann.
Von Judith Kessler
Erschienen auf: Yupedia, 27.03.2025
Henriëtte »Jettie« Bosmans, geboren 1895, stammte aus einer Musikerfamilie. Ihr katholischer Vater, Henri Bosmans, Erster Solocellist im Concertgebouws-Orchester in Amsterdam, starb, als sie noch ein Baby war. Ihre jüdische Mutter, Sara Benedicts, Klavierlehrerin am Konservatorium, unterrichtete ihre Tochter – deren beide Schwestern im Säuglingsalter gestorben waren –, so dass sie mit 17 Jahren ihre Klavierabschlussprüfung bei der »Gesellschaft zur Förderung der Musik« mit Auszeichnung bestand.

Mit 19 veröffentlichte Henriëtte mit einer Violinsonate ihre erste Komposition und debütierte mit dem Solo-Part von Mozarts 15. Klavierkonzert, KV 450 als Pianistin. Es folgten Engagements, unter anderem im Concertgebouw und in Rotterdam, doch da in den Niederlanden ausländische Musiker bevorzugt wurden, musste sie sich daneben als Klavierlehrerin verdingen.
Eine Sonate für Cello und Klavier, die sie 1919 für den Cellisten Marix Loevensohn und eine Ausstellung im Stedelijk Museum komponiert hat, wurde ihr Entreebillet in die offizielle niederländische Komponistenwelt. Und Jettie studierte weiter: Orchestermusik bei Cornelis Dopper, Musiktheorie bei Jan Willem Kersbergen und kurz bei Arnold Schönberg und später Komposition bei Willem Pijper, ihrem damaligen Nachbar. Komponieren konnte sie jedoch wegen ihrer Jobs als Pianistin und Klavierlehrerin nur nebenbei und sie brauchte dafür immer Menschen, die sie inspirierten – wie Frieda Belinfante.
Frieda Belinfante, geboren 1904, stammte wie Henriette aus einer alteingesessenen Amsterdamer Familie. Ihre Mutter, Georgine Antoinette Hesse, war Christin, ihr Vater Aron »Arij« Cohen ein renommierter Konzertpianist und säkularer sephardischer Jude, dessen Familie im 17. Jahrhundert aus Belgrad nach Holland gekommen war. Frieda war das dritte von vier Kindern, die alle Musik-Unterricht bekamen, und gab mit 17 ihr Debüt als Cellistin im Concertgebouw.
Zu dieser Zeit lernte sie auch Henriëtte kennen. Laut Frieda begann ihre Beziehung, nachdem sie entdeckt hatte, dass Bosmans’ Liebhaber sie betrog und deswegen zu einer Abtreibung drängte. Frieda Belinfante zog kurzerhand bei Henriëtte ein. Obwohl sie neun Jahre jünger war als Jetty, fühlte sie sich verantwortlich für ihre unorganisierte, chaotische Freundin, regelte alle praktischen Dinge und führte beider Haushalt, was ihr bei Bosmans den Spitznamen »Mama und Papa« einbrachte.
1994, ein Jahr vor ihrem Tod, hat Frieda Belinfante dem United States Holocaust Memorial Museum ein mehrstündiges Interview gegeben; zu ihrer Beziehung mit Henriëtte sagte sie damals: »Ich fühle mich sehr einsam, wenn niemand da ist, dem ich helfen, den ich lieben und den ich beschützen kann. Ich verstehe Menschen nicht, die nur für sich selbst leben.« Und: »Ich war eine große Bewunderin dieser wundervollen, gut aussehenden Komponistin … Und ich liebte sie lange – viele, viele Jahre … Die erste, der ich in meinem Leben wirklich sagte: ›Ich bin hier, weil ich dich liebe.‹ Aber sie war keine gebende Person. Sie nahm mehr, als sie gab, was mir recht war, weil ich so viel Hingabe zu geben hatte. … Jettie hatte ihre Affären mit Künstlerfreunden, mit Männern, während wir zusammenlebten. Für mich war das in Ordnung. Ich meine, es war keine besonders sexuelle Bindung. Es war eher mein Schutz für diese Person, die ich sehr liebe.«
Die »Person« wiederum ließ sich von ihr zu einigen ihrer schönsten Cello-Werke inspirieren und widmete »des Bootsmanns schönem Kind« ihr 2. Cellokonzert, das 1923 mit Frieda als Solistin uraufgeführt wurde. Die wiederum war ab 1924 zwei Jahre lang Solistin bei der Haarlemsche Orkester (dirigiert von Eduard van Beinum, zugleich eine der Affären ihrer Lebensgefährtin), bis sie wegen des schlechten Verdienstes kündigte und dann in Kino-Orchestern spielte und Cellounterricht gab. Mit Henriëtte und dem Flötisten Johan Feltkamp bildete Frieda ab 1928 das »Amsterdamsch Trio« und ab 1930 mit Ferdinand Helmann und Henk van Wezel »Het Hollandsch Trio«.
Dazwischen, 1929, war ihre Freundin Henriëtte eine der zwei ersten Frauen gewesen, deren Werke (hier ihr Concertino für Klavier und Orchester) an den Weltmusiktagen der International Society for Contemporary Music in Genf aufgeführt wurden. Im gleichen Jahr trennten sich Henriëtte und Frieda nach sieben Jahren, weil die beschlossen hatte, Johan Feltkamp zur heiraten, der ihr im fast wahrsten Sinne die Pistole auf die Brust gesetzt hatte: »Er war ein wunderbarer Flötenspieler, der beste, den ich je gehört habe. Und er war derjenige, der mir wieder ein bisschen auf die Beine half. Er fing an, mein Ego in Bezug auf meine Musik etwas zu stärken … Einmal kam er mit einem Revolver herein und sagte: ›Ich will nicht ohne dich leben. ‹ Und ich sagte: ›… Ich glaube nicht, dass ich einen Mann jemals so lieben kann wie eine Frau … Ich weiß nicht warum, aber das liegt in meiner Natur.‹ Aber: ›Wenn du dich sonst erschießt, dann solltest du lieber leben‹. Wir heirateten und hatten eine sehr gute Beziehung, vor allem musikalisch, aber ich war nie so hinreißend und romantisch, wie ich es sonst sein kann.«
Die Ehe hielt trotzdem fünf Jahre. Inzwischen hatte Frieda ihre große Leidenschaft für das Dirigieren entdeckt. Erst dirigierte sie ein Kinderorchester, dann das Sweelinck-Orchester der Amsterdamer Universität und schließlich gründete sie als erste weibliche Dirigentin in Europa, ihr eigenes Orchester, das Kammerorchester »Kleine Orkest« und trat mit ihm 1938 im Concertgebouw auf. Und sie nahm Unterricht bei dem deutschen Komponisten und Dirigenten Hermann Scherchen, der in die Schweiz emigriert war und belegte bei einem Dirigierwettbewerb als einzige teilnehmende Frau den ersten Platz. Der Preis war ein Debütengagement beim berühmten Orchestre de la Suisse Romande. Doch bevor sie ihn einlösen konnte, war der Krieg ausgebrochen.
Zwischenzeitlich hatte auch Jettie eine tragisch endende Liebesgeschichte erlebt. Mitte 1933 hatte sie sich in den Geiger Francis Koene (bis zum Machtantritt der Nazis Konzertmeister der Dresdener Staatsoper) verliebt, sich 1934 mit ihm verlobt und ihm ihr Konzertstück für Violine und Orchester gewidmet. Die Uraufführung erlebte Koene jedoch nicht mehr, er starb im Januar 1934 unerwartet an einem Gehirntumor. Und Bosmans hörte für Jahre auf zu komponieren. Sie blieb jedoch eine der wenigen niederländischen MusikerInnen, die mit dem Concertgebouw-Orchester spielen durfte, immer wieder auch internationale Auftritte in Prag, Paris oder Brüssel hatte, und deren Werke unter anderem von Willem Noske und Ruth Posselt im Ausland gespielt wurden. Doch auch ihre Karriere machte der Krieg zunichte, wenngleich die zunächst paradoxerweise florierte, da nach Kriegsbeginn viele ausländische Solisten wegblieben und sie Konzerte des französischen Pianisten Jacques Février und der Britin Myra Hess übernahm.
Nur wenige Tage nach der deutschen Invasion im Mai 1940 hatten die Niederlande kapituliert. Ab dem 1. April 1941 waren Musiker, die weiterarbeiten wollten, gezwungen, sich in der »Kultuurkamer« einzuschreiben, einer analog der deutschen »Reichskulturkammer« eingerichteten Aufsichtsbehörde. Henriëtte Bosmans bekam als »Halbjüdin« eine Sondergenehmigung, konnte zunächst weiter konzertieren, doch schon im Juni durfte das Concertgebouw sie nicht mehr als Solistin beschäftigen. Nun blieb ihr nur noch das »Joodsche Symfonie Orkest«, das vor ausschließlich jüdischem Publikum ausschließlich jüdische Komponisten spielen durfte.
1942 war auch das vorbei. Henriette beschloss, sich an Untergrund-Hauskonzerten zu beteiligen, den »Zwarten avonden«, den »Schwarzen Abenden«. Die fanden beispielsweise in einer Landvilla in Wassenaar, im Haus eines Chirurgen in Gouda und dem eines Lederfabrikanten in Waalwijk statt. Einmal musste Henriette mitten während eines Konzerts bei der Sopranistin Jo Vincent in Overveen über einen Hinterhof fliehen, und die Gäste mussten Bußgelder zahlen, weil die Deutschen von der Veranstaltung mitbekommen hatte, wie Vincent später berichtete.
Inzwischen hatten auch die Deportationen aus den Niederlanden begonnen. Die illegale Zeitschrift »Vrij Nederland« im Oktober 1942: »Nachdem die Uhr acht geschlagen hat und es draußen dunkel geworden ist, beginnt für unsere jüdischen Mitbürger das unerträgliche, qualvolle Warten. Jeder Schritt jagt ihnen Angst ein […]. Deutsche Autos streifen durch die Straßen, die Grüne Polizei und ihre niederländischen Komplizen beginnen ihr satanisches, nächtliches Geschäft. Jede Nacht werden Türen geöffnet, Jagd auf Frauen, Kinder, Alte, Kranke usw. usf., gefangen wie Fische im Reusennetz, wehrlos, ohne Rechte, ohne Hoffnung, ohne jede Hilfe. Jede Nacht aufs Neue! […] Alle werden deportiert und immer zum gleichen Ziel: dem Tod!«
Frieda Belinfante, dessen Bruder Bob und seine Frau nach der deutschen Besetzung Selbstmord begangen hatten, hatte sich – anders als Henriëtte – geweigert, einen Antrag bei der Kulturkammer zu stellen: »Wenn man den ersten Schritt akzeptiert, weil man glaubt, er könne nichts Schlimmes sein, werden der zweite und dritte folgen, und ehe man sich versieht, ist man mitschuldig.« Frieda wollte sich das Musizieren nicht verbieten lassen. Sie löste ihr Orchester auf, um die jüdischen Mitglieder nicht zu gefährden, sagte: »Jungs, wir haben nie existiert« und zog sich auch selbst komplett aus dem Musikleben zurück.
Stattdessen betätigte sie sich zunächst bei dem Hilfsfonds, der für Künstler, die als »Nichtarier« keine Arbeit mehr bekamen, eingerichtet worden war und der auch ihre Ex-Geliebte Jetty und deren Mutter Sara finanziell unterstützte. Als die Jagd auf Juden in den Niederlanden weiter Fahrt aufnahm, begann die couragierte Frieda im Alleingang Ausweise zu fälschen, um gefährdete Freunde und Kollegen vor dem Zugriff der Gestapo zu schützen. Sie bat gute Bekannte, ihre Ausweise zu »verlieren« und neue zu beantragen und fertigte aus den »verlorenen« Ausweisen Fälschungen ohne das »J« für »Jude« an: »Ich war sehr gut im Fälschen. Ich hatte eine ruhige Hand …«
Auf diese Weise lernte die Musikerin andere Mitglieder des Widerstands kennen, die dann als Profi-Team bis 1945 insgesamt über 65.000 gefälschte Pässe für Menschen hergestellt haben, die andernfalls nach Polen deportiert worden wären. Es gab jedoch ein Problem. Die Pässe hatten falsche Identifikationsnummern, während die echten durchnummeriert waren und ein Duplikat von jedem Dokument im zentralen Einwohnermeldeamt hinterlegt war. Wenn also jemand mit einem Ausweis angehalten wurde, für den es keine entsprechende Kopie im Meldeamt gab, hätte die gesamte Operation auffliegen können…
Frieda Belinfante war es, die auf die Idee kam, dass das Meldeamt bombardiert werden müsse, um die Kopien zu vernichten. Die Gruppe machte sich an die Vorbereitung des Anschlages, die, wie sie erzählte, Monate gedauert habe. Sie mussten erst undichte Stellen im Polizeiapparat und den Lagerort der Ausweisduplikate finden, dann falsche Polizeiuniformen herstellen, Sprengstoff besorgen usw. Am Ende wurden neun junge Männer ausgewählt, um den Anschlag durchzuführen. Auch Frieda wäre gern selbst mit dabei gewesen, doch man wollte keine Frauen mitmachen lassen, so dass sie die Aktion von einem Dach aus beobachtete.
Der Bombenanschlag glückte, das Haus brannte aus und die Jungs hatten sogar ein Schild vor dem Gebäude aufgestellt, das die Passanten vor der Explosionsgefahr warnte. Doch die Zelle war verraten worden und die meisten der Beteiligten gingen ihren Häschern ins Netz. Die Deutschen veranstalteten einen Schauprozess und ließen anschließend zwölf Männer erschießen, so den schwulen Schneider Sjoerd Bakker, der die Uniformen genäht hatte, und dessen letzter Wunsch es war, in einem rosa Hemd zu sterben, und den Maler und Bildhauer Willem Arondéus, genannt »Ticky«, der seinen Anwalt bei dessen letztem Besuch vor der Hinrichtung noch gebeten hatte: »Sag den Leuten, dass Homosexuelle keine Feiglinge sind.«
Auch Frieda wurde von der Gestapo gesucht. Sie tarnte sich als Mann und nannte sich »Hans Kroon«, um der Verhaftung zu entgehen: »Ich ging zum ersten Mal verkleidet aus … Ich ging in den Friseurladen, nahm meinen Hut ab und hängte ihn an den Haken. Der Friseur fragte: ›Was möchten Sie, Sir, rasieren oder schneiden? ‹ Und ich sagte: ›Nur schneiden.‹ Er tat es, ohne mit der Wimper zu zucken. … Drei Monate lang war ich als Mann verkleidet … Ich bin in dieser Zeit mehrmals an meiner Mutter vorbeigekommen, und sie hat mich nie erkannt. Niemand hat mich erkannt … Jedenfalls habe ich an verschiedenen Orten übernachtet und hatte immer mehr das Gefühl, ich muss weg, bevor ich andere gefährde, die mir Schutz bieten. … Die Razzien wurden immer schlimmer – die Nächte, in denen sie einen Häuserblock absuchten, um Leute zu finden und die ungemachten Betten zu zählen. Ich wusste, ich würde bald erwischt werden … Ich musste weg.«

Friedas Untergrundkontakte organisierten ihre Flucht, die sie über Belgien und Frankreich führte und im Februar 1944 nach einem langen Marsch durch meterhohen Schnee in der Schweiz endete. Sie kam zusammen mit 160 anderen Niederländern in ein Flüchtlingslager. Dort, erzählt sie, besorgte sie sich nach einer Zeit ein Cello und »begann wieder lebendig zu werden… Ich kam wieder zu mir selbst, gründete einen Chor und brachte die Leute zum Singen«. Ihr ehemaliger Lehrer Hermann Scherchen, der der KPD nahestand, rettete sie schließlich vor der Rückführung…
Henriëtte Bosmans war indes weiterhin in Amsterdam. Sie hatte ihre Mutter immer wieder bekniet, nicht auf die Straße zu gehen, doch im April 1944 wurde auch Sara verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork verschleppt. Verzweifelt setzte ihre Tochter alle Hebel in Bewegung, wagte sich sogar, im berüchtigten Gestapo-Hauptquartier in der Euterpestraat vorzusprechen und bat zuletzt den Stardirigenten Willem Mengelberg um Fürsprache, was schließlich tatsächlich dazu führte, dass die 83-jährige Mutter und weitere Juden aus »Mischehen« freigelassen wurden.
Im Herbst 1944 wurde der Zugverkehr in den Niederlanden eingestellt. Illegale Auftritte außerhalb Amsterdams wurden unmöglich. Henriëtte konnte keinerlei Geld mehr verdienen und hungerte sich mit ihrer Mutter durch den folgenden Winter, in dem 20.000 Niederländer an Unterernährung starben. In dieser schlimmen Zeit begann sie seit dem Tod von Francis Koene 1935 erstmals wieder zu komponieren. Im April 1944 war Clara Egginks Gedicht Doodenmarsch (Todesmarsch) veröffentlicht worden, zu dem sie nun ein leidenschaftliches Werk für Erzählstimme und Klavier oder Orchester schrieb:
»Ich traue mich nicht mehr, diese Straße entlangzugehen / wo glühende Trümmer im Dunkeln stehen. […] Ich wende mich den Hafen zu. / Die Schiffe liegen ausgebrannt da. / Der uralte Wasserweg trägt Blut und Ruß zum Meer / Dort steht noch der Tod auf der Brücke, / ein schwarzer Schatten, direkt von hinten. / Oh Brüder, er blieb unverletzt / während dein Schatten hier vorbeimarschiert. / Links rechts …«
Am 5. Mai 1945 war der Krieg für die Niederlande vorbei. Sara Bosmans schrieb in einem Brief: »Jettie sieht schlimm aus, abgemagert, aber sie arbeitet wieder, das heißt, wenn alles klappt…«. Das erste, was ihre Tochter 1945 komponiert hat, waren zwei Befreiungslieder: »Gebed« (Gebet) und »Daar komen de Canadezen« (Da kommen die Kanadier), die sie der Sopranistin Jo Vincent widmete und mit denen sie am 9. und 10. Juni 1945 im ausverkauften Concertgebouw die Befreiung der Niederlande feierten. Außerdem trat sie bei den »Vrije klanken«-Konzerten auf, die jenen gewidmet waren, die die Zusammenarbeit mit den Besatzern verweigert hatten.
Henriëtte Bosmans hatte schon während des Krieges mit dem Künstler-Paar Benjamin Britten und Peter Pears korrespondiert und setzte diese Freundschaft nun intensiver fort, doch ein Großteil ihres Freundeskreises war durch die Besatzung und mit der Schoa verloren gegangen. Sie fühlte sich fremd, unverstanden und betätigte sich nun vor allem als Musikjournalistin. Bis sie die französische Mezzosopranistin Noémie Perugia kennenlernte, ihre letzte Liebe, die sie wieder zum Komponieren inspirierte. Von den 25 Liedern, die Bosmans noch geschrieben hat, waren elf ihr gewidmet und beiden traten nun auch regelmäßig als Gesangs- und Klavierduo auf.
Im September 1950 spielte Henriette Chopins »Marche Funébre« bei einem Konzert zum Gedenken an die Widerstandskämpfer, die während der Besatzung im berüchtigten Oranjehotel in Scheveningen inhaftiert gewesen waren. Im selben Jahr war sie bereits zweimal wegen eines Magengeschwürs operiert worden, das sich jedoch als Krebs herausstellte. 1952 brach sie nach einem Konzert mit Noémie zusammen und starb zwei Monate später mit 56 Jahren.
Und Frieda Belinfante? Sie war mit einem der ersten Transporte aus der Schweiz im Sommer 1945 nach Amsterdam zurückgekommen. Für die Frau mit dem unfehlbaren moralischen Kompass wurde es eine einzige große Enttäuschung. Sie wanderte zwei Jahre später in die USA aus. In ihrer Heimat waren drei Viertel aller Juden, mehr als einhunderttausend Menschen, darunter viele ihrer Freunde und Verwandten – wie die von Henriëtte – ermordet worden. Und die Künstler, die mit den Besatzern kollaboriert hatten, waren weiter am Ruder: »Ich hatte keine ehemaligen Schüler mehr… und von meiner jüdischen Gruppe war nur noch ein Mann übrig … Die Leute, … die keine klare Haltung eingenommen hatten, standen nun sozusagen an der Spitze… Und über die Leute, die ihr Leben gegeben hatten, sprach niemand, es bedeutete niemandem etwas…«
In den USA war sie von all dem weit entfernt, fand aber keine Arbeit als Cellistin. Sie unterrichtete erst an der University of California und arbeitete an Hollywood-Filmmusiken mit. 1954 endlich wurde sie Gründungsdirektorin des Orange County Philharmonic Orchestra und dirigierte als erste Frau weltweit ein Philharmonisches Orchester. Als das Orchester nach acht Jahren wieder aufgelöst wurde, zog sie mit ihrer Freundin Bobby Chambers nach Santa Fe und gab trotz ihres schlechten Gesundheitszustands weiter Musikunterricht. Frieda Belinfante dirigierte in den 80er-Jahren ihre letzten Konzerte, ist 1995 mit 90 Jahren gestorben und in den Niederlanden, zumindest außerhalb der LGBTQ-Community, wie Henriëtte Bosmans fast vergessen.
Einige Werke von Henriëtte Bosmans
Sonate für Cello und Piano, 1919: https://youtu.be/9DIC7KXa3jk?si=v7yqthizeX-9GpU5
Poem für Cello und Orchester, 1923: https://youtu.be/T8qoB1vpCmo?si=NCxi1tI6REaHline
Concertino für Klavier und Orchester, 1928: https://youtu.be/qUmZTxxZ-5Q?si=ssxjr09AKkT6DRjI
Konzert für Flöte und Kammerorchester, 1929 (für Johan Feltkamp): https://youtu.be/gmNIWhXf4DA
Konzert für Violine und Orchester, 1934 (für Francis Koene): https://youtu.be/oI0tnWFhtT4?si=JoCJDuO-tazCy_oQ
Gebed, 1945: https://youtu.be/FiBX0uZBMtg?si=syYvFLU9HwQv87_y
Daar komen de Canadezen, 1945: https://youtu.be/aomY11oEwko?si=u3tAfk8rzrCHbe7Z
Das macht den Menschen glücklich (Heine), 1951: https://youtu.be/TjZ21XwF_Po?si=uHrqjcMGOzBOcJgH
Perugia singt Bosmans (»La chanson des marins hâlés«), 1983: https://youtu.be/sulZR0okkcM?si=on1-pf-qs2_6wQtr