Der von Elizaveta Firsova-Eckert und Kai E. Schubert herausgegebene Sammelband „Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung“ enthält zahlreiche Texte zum Thema. Sie reichen von allgemeinen Betrachtungen bis zu konkreten Fallstudien. Insbesondere Lehrkräfte werden dadurch zu Reflexionen angeregt.
Von Armin Pfahl-Traughber
Zu einem Anstieg antisemitischer Handlungen kam es in vielen Ländern bereits direkt nach den Massakern vom 7. Oktober 2023. Genauer formuliert müsste es heißen: Noch bevor die israelische Armee darauf reagieren konnte, eskalierte die Judenfeindschaft. Diese Entwicklung war insofern keine bloße Folge der Gaza-Politik der israelischen Regierung, denn die erwähnten Ereignisse ließen latente Mentalitäten lediglich in manifester Weise erscheinen. „Antizionistischer“, „israelbezogener“ oder „israelfeindlicher Antisemitismus“ sind die für derartige Auffassungen und Handlungen kursierenden Termini. Angesichts deren Ausmaß‘ stellt sich die Frage, ob diese Besonderheiten nicht auch stärker in der Schulbildung vermittelt werden sollten. Erneute Anregungen dazu gibt jetzt ein eigener Sammelband zum Thema: „Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung. Analysen und didaktische Impulse“, herausgegeben von Elizaveta Firsova-Eckert und Kai E Schubert. Darin enthalten sind elf Beiträge zu unterschiedlichen Gesichtspunkten des Themas.
Sie sollen nach Auskunft der Herausgeber die nur fragmentiert vorhandene Kenntnisse zum Thema zusammenführen. Dies ist als Anspruch ausformuliert nur schwer in einem schmalen Band umsetzbar. Eher liefern die einzelnen Beiträge jeweils weitere Fragmente, die auf das genannte Feld pädagogischen Wirkens konzentriert sind. Von einer Art konzeptionellen Handbuch zum Thema kann nicht gesprochen werden. Dazu ist man aber auch in der Forschung wie Praxis noch nicht weit genug. Gleichwohl liefert der Band viele Erfahrungsberichte und Ideen zu einschlägigen Projekten. Eröffnet wird er von Thomas Haury, der das einflussreiche Buch „Antisemitismus gegen Israel“ zusammen mit Klaus Holz (Hamburg 2021) veröffentlichte. Dessen Grundzüge werden in einem Interview präsentiert. Einschlägige Antisemitismus-Definitionen kritisiert Haury dabei in einem reflektierten Sinne. Er hebt auch mit historischem Blick hervor, dass der israelbezogene Antisemitismus nicht neu ist, sondern seine antizionistische Dimension schon lange bestand.
Die folgenden Aufsätze gehen dann nicht mehr auf diese allgemeinen Merkmale ein, steht doch die Bildungserfahrung insbesondere in Schulen im jeweiligen Zentrum. Hierzu mag der Hinweis auf thematische Schwerpunktsetzungen genügen: Da geht es um eine gewisse schulische Ignoranz bei Kai E. Schubert und Christoph Wolf. Konkrete Fallbeispiele etwa zu Filmen wie „Lemon Tree“ sind danach ein Thema, einmal bei Christina Brüning und Keren Cohen, einmal bei Sebastian Salzmann. Interessant sind danach die Ausführungen zu den Folgen des deutsch-israelischen Jugendaustauschs, die von Firsova-Eckert auf der Grundlage einer empirischen Studie präsentiert werden. Das „Israel-Palästina-Bildungsvideo“ steht danach bei Helen Sophia Müller, Amina Nolte und Johanna Voß im Zentrum. Demgegenüber geht Rosa Fava auf die offene Jugendarbeit nach dem Massaker von 2023 ein, während der israelbezogene Antisemitismus an Hauptschulen danach bei Max Munz ein Thema ist. Insbesondere Lehrkräfte werden durch all das zur Reflexion angeregt.
Zwei Beiträge am Ende passen thematisch nicht direkt zum Sammelbandthema, verdienen aber gleichwohl besonderes Interesse in diesem spezifischen Zusammenhang: So kann ein Identitätskonflikt hinter der Kommentierung des Nahostkonflikts stehen, wofür als Konzeptwechsel dann Michael Sauer plädiert. Und schließlich erinnert Enno Stünkel abschließend noch an die Verunsicherungen, die mit den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 einhergingen.
So anregend die Beiträge insbesondere für die Konzeption der Schulbildung sind, so erstaunt aber eine thematische Lücke ausgerechnet bei diesem Thema. Bekanntlich sind antisemitische und israelfeindliche Einstellungen bei Menschen mit (bestimmten) Migrationshintergründen besonders stark ausgeprägt. Wie soll aber gerade mit deren Auffassungen nicht nur pädagogisch in der Schule umgegangen werden? Häufig entstammen die Gemeinten sozialen Milieus, die von solchen Ressentiments und Vorurteilen geprägt sind. Ihnen gegenüber bedarf es besonderer didaktischer Konzepte.
Elizaveta Firsova-Eckert/Kai E. Schubert (Hrsg.), Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung. Analysen und didaktische Impulse, Opladen 2024 (Verlag Barbara Budrich), 174 S.
Das Buch steht als Paperback Ausgabe und auch zum kostenlosen Download als pdf zur Verfügung.