Neuanfang nach der Shoa auf Hitlers Flugplatz

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Das Eingangstor zum DP-Camp Ainring, Foto: aus dem besprochenen Band

Eine Neuerscheinung widmet sich dem in Vergessenheit geratenen jüdischen DP-Camp im oberbayerischen Ainring

Nach Kriegsende lebten zeitweise etwa 200.000 jüdische sog. Displaced Persons in Deutschland. Die Geschichte dieser jüdischen Überlebenden, die ausgerechnet im Land der Mörder strandeten und dort auf die Ausreise in die USA oder nach Palästina warteten, wird seit Mitte der 1980er Jahre erforscht. In den letzten Jahren ist das Thema vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, sei es durch die Eröffnung neuer Gedenkorte, aber auch durch einige nicht-wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema, die sich allerdings den schon bekannten und gut erforschten Orten, wie etwa Föhrenwald widmeten. Dabei gibt es noch immer Vieles zu erforschen.

Unbekannt ist bisher beispielsweise die Geschichte des DP Camps Ainring in Oberbayern. Der DP-Experte Jim G. Tobias vom Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts hat dazu jetzt einen neuen sehr lesenswerten Band vorgelegt. Das Lager war auf dem Gelände des Fliegerhorsts Ainring, von den Nazis als „schönster Gebirgsflughafen“ bezeichnet, unweit vom Obersalzberg, angesiedelt und bestand sowohl aus einem Durchgangslager wie auch einem konstanten Lager.

Tobias stellt zunächst die Situation der jüdischen DPs im Allgemeinen dar, Befreiung und Flucht aus Osteuropa, den Harrison Report, der ihre Situation verbessern sollte und ihnen wegen ihres besonders schweren Verfolgungsschicksals ein großes Maß an Selbstverwaltung zusprach, und die Bricha Organisation, die jüdische Flüchtlinge aus Österreich nach Deutschland brachte, da es in den Camps der US-Zone in Deutschland bessere Bedingungen und Versorgung gab. Allein im August 1946, nach dem Pogrom im polnischen Kielce, strömten 40.000 Juden in die US Zone. Die jüdischen DPs wurden letztlich nicht in Camps, die der Zeit der Verfolgung ähnlich waren, untergebracht, sondern in Gebäuden oder auch ganzen Siedlungen der deutschen Zivilbevölkerung, was sicherlich mit ein Grund ist, warum die Geschichte der DPs so lange verdrängt wurde.

In Ainring, direkt an der Grenze zu Österreich gelegen, gab es schon ab Oktober 1945 ein Sammellager, das aber bald nicht mehr alle Flüchtlinge unterbringen konnte. Im Grenzgebiet entstanden die jüdischen DP-Camps Bad Reichenhall, Traunstein, Wasserburg, Bayerisch Gmain und die Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete Kinder in Rosenheim. Der Autor hat übrigens auch zu diesen Einrichtungen Forschungsarbeiten vorgelegt.

Die ersten etwa 400 Juden wurden in Ainring in den ehemaligen Flughafengebäuden untergebracht, Ende März 1946 zählte das Lager dann schon über 1300 registrierte Bewohner. Teilweise lebten 3000 DPs in Ainring. Jim G. Tobias erzählt vom Lagerleben, der Selbstverwaltung, über die lagereigene Schutztruppe, über Schule und Kindergarten, die ORT Berufsschulen, die auch auf das Leben in Palästina vorbereiteten. Ausführlich kommen auch Kulturleben und Sport im Lager zur Sprache.

Viele Zitate aus Erinnerungen ehemaliger Bewohner und Mitarbeiter lassen ein lebendiges Bild entstehen. Dazu sind im Band Dutzende bislang unveröffentlichte Fotografien abgebildet, die diesen Ort des Neuanfangs, voller Hoffnung der Überlebenden, aber auch Trauma des Erlebten, zeigen.

Das Lager wurde ab Sommer 1947 aufgelöst. 3000 Juden wurden zunächst nach Lechfeld bei Augsburg verlegt. Die verbliebenen 300 Bewohner, die dort seit über 2 Jahren lebten, verließen Ainring im Dezember. Das Gelände ging zunächst im Frühjahr 1951 in den Besitz des Freistaates Bayern über, der es dann an die Gemeinde Ainring verkaufte, die dort den Ortteil Mitterfelden errichtete.

Die Geschichte der Schoa-Überlebenden in Ainring, schreibt Jim Tobias abschließend, wurde nicht nur ignoriert: „Dass noch in den 1990er Jahren in einer heimatkundlichen Schrift mit antisemitischem Zungenschlag beklagt wird, dass deutsche ‚Frauen, Kinder und Greise oftmals dem Hass der im Dritten Reich Unterdrückten ausgesetzt‘ waren“, sei irritierend und Zeichen dafür, dass die Erinnerung nicht erwünscht war. Das hat sich mittlerweile geändert, und das ist gut so. Mit dem Band liegt jetzt auch eine umfassende sehr gut lesbare Forschungsarbeit zum jüdischen DP-Camp Ainring vor. (al)

Jim G. Tobias, Neuanfang nach der Shoa auf Hitlers Flugplatz. Das jüdische DP-Camp Ainring (Obb.) 1945–47, Antogo Verlag 2024, 175 S., 44 Abb., 16,00 €, Bestellen?