Wohngemeinschaften

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Seit etwas über einem Jahr lebt sie bei mir. Sie ist einfach so bei mir eingezogen mit jeder Menge Gepäck und mit Manieren, die man eigentlich niemandem zumuten kann. 

Von Ramona Ambs

Nun ist sie aber meine Mitbewohnerin und ich habe mich beinah an sie gewöhnt.

Sie macht mir das Leben allerdings sehr schwer.

Zum einen weil sie überhaupt kein Gefühl für timing hat. Sie taucht zu den denkbar ungünstigsten Zeiten einfach auf und fordert Aufmerksamkeit und nimmt mich emotional voll in Beschlag. Manchmal hält sie mich die halbe Nacht lang wach und wir reden miteinander. Verhandeln geradezu. Es macht bei ihr keinen Sinn, sie fortzuschicken. Tut man das, trommelt sie nur um so lauter gegen die Tür. Grenzen akzeptieren ist nicht so ihre Stärke…. Zum anderen weil sie ihr Gepäck immer mit sich rumschleppt und dann Dinge aus ihren Taschen hervorkramt, die sie mir ungeschönt präsentiert und die unendlich schwer sind und die man, meines Erachtens, besser weiter verborgen hätte. Ich finde ja eh, man muss nicht immer alles gleich auspacken, wenn man irgendwo zu Besuch ist. Auch dann nicht, wenn man sich seinerseits bereits häuslich eingerichtet hat…

Am schlimmsten jedoch ist, dass sie sich dauernd umstylt. Mal sieht sie aus wie ein Großvater, mal wie ein junger Mann mit schwarzem Haar, dann wieder wie eine Frau mit blutiger Jogginghose. Manchmal sieht sie aus wie zwei kleine rothaarige Jungs im Batmankostüm.

Meine Mitbewohnerin.
Die Traurigkeit.

Ich schlage ihr immer mal wieder vor auszuziehen, – aber sie weigert sich.
Sie weiß nicht, wohin mit sich.

In den Tunneln ist für ihrerlei absolut nichts mehr frei – und auch sonst sind alle Wohnungen belegt. Und diese Traurigkeit bevorzugt nunmal jüdische Häuser. Also jene Traurigkeit, mit den roten Haaren, dem schweren Gepäck und dem Kaddisch in den Augen.
Wo soll sie denn auch sonst hin?

Deshalb versuch ich seit einiger Zeit meinen Frieden mit ihr zu machen.
Ihre Anwesenheit ist ja prinzipiell auch berechtigt.
Nur die Intensität Ihrer Präsenz müssen wir noch in den Griff kriegen.

Am einfachsten wär natürlich, die Welt würde aufhören verrückt zu sein. Dann könnte sie gefahrlos nach draußen spazieren und nur bei bestimmten Anlässen zu Besuch kommen.
Danach sieht es bisher allerdings kein bisschen nicht aus.

Nichtsdestodrops mach ich Pläne für die Zeit nach ihrem Auszug.

Was würde ich wieder Muße und Energie haben, um schöne Gedichte zu schreiben. Leckeres Essen zu kochen. Mit Freunden zu tanzen. Und allerlei anderen Unfug zu tun…
Wie schön wäre es, ohne eine Mitbewohnerin wie sie…

Vielleicht schreib ich mir ein Inserat.
Zimmer zu vermieten.
Bevorzugt an Hoffnung oder Zuversicht.
Kautionsfrei, in guter Lage, ab sofort.

Und vielleicht ziehen die dann direkt zu zweit ein und dann wirds der Traurigkeit zu eng hier. Könnte eine gute Zwischenlösung sein, bis die Welt da draußen wieder normal wird. Irgendwann. Vielleicht.

1 Kommentar

  1. jahuda amichai

    Ein Jahav

    Eine Nachtfahrt nach Ein Jahav in der Arava-Wüste
    Eine Fahrt im Regen. Ja, im Regen.
    Dort traf ich Menschen, die Datteln anbauen
    Dort sah ich Tamariskenbäume und Illusionen von Bäumen*
    Dort sah ich Hoffnung, so stachelig wie Stacheldraht.
    Und ich sagte zu mir: Natürlich, Hoffnung muss so sein
    wie Stacheldraht, um Verzweiflung fern zu halten.
    Die Hoffnung muss ein Minenfeld sein.