Umgang mit dem Nahostkonflikt an Schulen

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„Der 7. Oktober soll der Trauer um die Opfer und dem Mitgefühl für ihre Angehörigen gehören. Es ist wichtig, dass wir ihre Schicksale und ihre Anstrengungen für die Befreiung der Geiseln, neben dem Krieg in Gaza und den gesellschaftspolitischen Folgen, Debatten und Diskursen hier bei uns in Deutschland nicht aus den Augen verlieren“, sagt Dr. Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank. Das schwerste antisemitische Massaker nach der Shoa habe schwerwiegende und (re-)traumatisierende Folgen für Jüdinnen_Juden in Israel und auf der ganzen Welt – bis zum heutigen Tage.

„Die Erfahrung, dass dieser Schmerz im öffentlichen Raum so oft unbeantwortet blieb, dass gleichgültig bis relativierend auf den 7. Oktober reagiert wurde, wirkt bis heute vielfältig nach und erschwert die Verarbeitung des Erlebten“, so Schnabel weiter. Zugleich sei es unabdingbar, sich mit den Folgen hierzulande auseinanderzusetzen: „Der Jahrestag ist für uns auch ein Anlass der kritischen Auseinandersetzung und Reflexion: über die Debatte über den Nahostkonflikt, seine Auswirkungen auf das Zusammenleben in der deutschen Gesellschaft, und über den gemeinsamen Kampf sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen Rassismus. Gerade Schulklassen sind in unseren Augen ein essenzieller Ort, um auch zu schwierigen Themen mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen , um ihre Perspektiven zu hören und die Relevanz von Weltgeschehnissen zu vermitteln“, erläutert Dr. Deborah Schnabel. In der unmittelbaren Folge des 7. Oktobers hatten sich hunderte Lehrkräfte mit der Bitte um Unterstützung an die Bildungsstätte Anne Frank gewandt.

Mit einer quantitativen Umfrage unter Lehrkräften hat die Bildungsstätte Anne Frank deshalb nun ergründet, inwiefern der 7. Oktober, der Krieg in Gaza und die Folgen an Schulen (noch) ein Thema sind, wie Lehrkräfte den ersten Jahrestag des 7. Oktober mit den Schüler*innen begehen, welche Themen hierbei aufkommen und welche Bedarfe Lehrkräfte sehen, um jungen Menschen mit ihren unterschiedlichsten Hintergründen und Perspektiven bei diesem Thema gerecht zu werden. Zwischen dem 09.09.24 und 23.09.24 haben sich 159 Lehrkräfte aller Schulformen, v.a. aus Gymnasien, Berufs- und Gesamtschulen und mit 98 Prozent überwiegend aus Hessen, an der Umfrage beteiligt.

Die Erhebung zeigt: „Ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas scheint es an deutschen Schulen keine intuitive Form des Erinnerns an die Geschehnisse und Opfer des 7. Oktobers zu geben. Unser Eindruck, dass der laufende Krieg in Gaza das Gedenken an den 7. Oktober überlagert, wird durch die Antworten eher gestärkt“, resümiert Schnabel. So hätten mehr als die Hälfte der befragten Lehrkräfte (56 %) den Jahrestag im Unterricht nicht thematisiert und planten auch nicht, dies noch zu tun. Als Gründe werden hauptsächlich ein Mangel an Kapazitäten, Materialien oder eigenem Wissen zum Thema genannt, aber auch die Angst vor diskriminierenden Äußerungen. Ein weiterer Aspekt der Umfrage: Die befragten Lehrkräfte benennen – wenig überraschend – die sozialen Medien als mit Abstand wichtigste Informationsquelle ihrer Schüler*innen zum sogenannten Nahostkonflikt, gefolgt von persönlichen Gesprächen mit Freund*innen und Familie. Klassische Medien werden mit 5 Prozent Nennung als nahezu irrelevant für die Wissensgenerierung der Schüler*innen angesehen, aber auch der Schule wird mit nur 9 Prozent nur eine geringe Rolle bei der Informationsvermittlung zum Thema Naher Osten zugemessen. Trotz dieser Einschätzung gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, eher oder überhaupt nicht mit Schüler*innen darüber zu sprechen, was sie in den sozialen Medien über die Geschehnisse im Nahen Osten erfahren: Das ist umso frappierender, als dass 70 Prozent der Befragten angeben, dass es regelmäßig vorkomme, dass ihre Schüler*innen problematische Inhalte aus den sozialen Medien reproduzierten.

„Die Umfrageergebnisse bestärken uns in der Ansicht, dass Schulen für den Umgang mit globalen Krisen und Konflikten und anderen komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht ausreichend gerüstet sind. Die Politik muss strukturelle Anpassungen im Bildungssystem dringend priorisieren und Schulen materiell und zeitlich deutlich besser ausstatten. Hier braucht es insbesondere auch eine digitale Bildungsoffensive, die alle an Schulen tätigen Personen dazu befähigt, Schüler*innen beim Umgang mit digitalen Medien kompetent zu begleiten“, analysiert Dr. Deborah Schnabel. „Klar ist aber auch: Schulen allein können nicht alles richten – Lehrkräfte und andere an Schulen tätige Fachkräfte benötigen Unterstützung von außen, um ihre Schüler*innen fachlich, wie sozial für den Umgang mit drängenden gesellschaftspolitischen Fragestellungen stärken und begleiten zu können. Es ist an der Politik, außerschulische Lernorte und vorhandene Angebote der politischen Bildung durch verlässliche finanzielle Förderung zu stärken und weiter auszubauen“, so Schnabel abschließend.

Die detaillierten Ergebnisse der Lehrkräfte-Umfrage lassen sich abrufen unter folgendem Link: https://bsaf.info/7OktoberUmfrage