„Mehr als Solidaritätsadressen ohne Konsequenzen“

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Ein Offener Brief des Netzwerks jüdischer Hochschullehrender (e.V. i.G) bezüglich der Resolution zum Schutz des jüdischen Lebens

Sehr geehrte Mitglieder der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP,

vor wenigen Tagen wurde der Entwurf eines Beschlussantrags Ihrer Fraktionen zum Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland bekannt. Dieser Entwurf hatte zuvor schon eine lebhafte öffentliche Debatte ausgelöst und auch Kritik auf sich gezogen.

Der Verein „Netzwerk jüdischer Hochschullehrender in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ e. V. begrüßt den bekannt gewordenen Beschlussantrag ausdrücklich und grundsätzlich.

Es braucht mehr als Solidaritätsadressen ohne Konsequenzen: Deshalb befürworten wir das Festhalten der Antragsteller an den Festlegungen des BDS-Beschlusses des Bundestages und der IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus. Für wichtig halten wir im Resolutionsentwurf besonders die Unterstützung der ‘Gemeinsamen Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände’ vom 13.3.2024 und ihrer ersten Forderung “Förderbedingungen präzisieren: Länder, Bund und Kommunen werden – soweit noch nicht erfolgt – rechtssichere Regelungen erarbeiten, die darauf abzielen, dass keine Projekte und Vorhaben gefördert werden, die antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Ziele verfolgen.”

Unser Netzwerk wurde als Reaktion auf den seit dem 7. Oktober 2023 insbesondere im akademischen Umfeld massiv angestiegenen Antisemitismus gegründet. Es vereint rund 150 Professorinnen und Professoren sowie Hochschullehrende in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Unsere eigenen Beobachtungen, die Erfahrungsberichte von Studierenden und eine unter den Mitgliedern des Netzwerks durchgeführte Umfrage unterstreichen die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Maßnahmen zum Schutz des jüdischen Lebens auf dem Campus. Hierzu gehören insbesondere klare politische Zeichen sowie klare Richtlinien,
die das Erkennen und den Umgang mit Antisemitismus erleichtern. Die IHRA-Definition, die von der Hochschulrektorenkonferenz bereits als Grundlage zum Erkennen von Judenhass und damit als wichtiges Werkzeug bei seiner Bekämpfung anerkannt wurde, bietet eine verlässliche Orientierung für die Bewertung antisemitischer Vorfälle. Die vielfältigen, teils amorphen und in aller Regel camouflierten Erscheinungsformen des Antisemitismus machen eine Arbeitsgrundlage, die es ermöglicht, das hochgradig demokratie- und gesellschaftsschädigende Phänomen des Antisemitismus in seiner Gesamtheit zu erfassen, unerlässlich. Die Differenziertheit des Antisemitismusbegriffs in der IHRA-Arbeitsdefinition ermöglicht erst – insbesondere in Bezug auf die Frage des Umgangs mit Israel und Antisemitismus – einen adäquaten Umgang im Sinn einer effektiven Antisemitismusbekämpfung. Die IHRA-Arbeitsdefinition ist eine besondere Hilfe, gerade weil sie zwischen Diskurs und Kritik an der israelischen Politik und Antisemitismus unterscheidet.

Letztendlich sollte bei Betroffenen von Antisemitismus – auch und angesichts der gegenwärtigen Situation insbesondere von seiner israelbezogenen Erscheinungsform – genauso gehandelt werden wie bei Angriffen und Diskriminierungen von Frauen, LGBTQ+ und anderen Gruppen: Die Fälle ernst nehmen, untersuchen und Konsequenzen für die Täter ziehen. Wie bei Gleichstellungsbeauftragten sollten Betroffene durch ein klares Verfahren geschützt werden.

Boykottaufrufe gegen jüdische und israelische Wissenschaftler sowie gegen Wissenschaftler, die sich mit ihnen solidarisch zeigen, zur Aussetzung von Kooperationsprojekten, zu akademischen Schikanen, Veranstaltungsabsagen, Störungen und Straftaten gegen Personen und Hochschuleigentum sind Ausdruck von israelbezogenem Antisemitismus. Diese spezifische Form von Antisemitismus muss als solche benannt und problematisiert werden, zumal sie gerade im akademischen Raum die nunmehr für den einzelnen Hochschullehrenden gravierendste und häufigste Form von Antisemitismus darstellt. Dieses zeigen Forschungsbefunde ebenso wie jüngste Erfahrungen jüdischer und israelischer Wissenschaftler, die in ihrem akademischen Alltag und ihren Berufsvereinigungen zunehmend Druck geraten und marginalisiert werden.

Wir positionieren uns entschieden gegen verharmlosende Behauptungen, wie wir sie als festen Bestandteil der öffentlichen Debatte beobachtet haben. Hochschulen bieten wichtige Räume zum demokratischen und akademischen Austausch, und auch für Protest. Umso entschiedener gilt es diese Räume auch dort zu verteidigen, wo sie unter dem Deckmantel der freien Lehre und freien Meinungsäußerung zur Verbreitung antisemitischer Hetze missbraucht und damit aktivistisch aufgelöst werden.

Gerade zur Sicherung eines pluralen und respektvollen Diskurses bedarf es einer klaren Regulierung antisemitischer und demokratiefeindlicher Positionen. Eine wehrhafte Demokratie muss Antisemitismus und jeder anderen Form von Demokratiefeindlichkeit entschlossen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln – von Prävention und Bildung bis hin zu repressiven Maßnahmen wie dem Ordnungs- und Strafrecht – entgegentreten.

Für weitere Fragen steht Ihnen der gesamte Vorstand des NJH sehr gerne und jederzeit zur Verfügung!

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Julia Bernstein (Vorsitzende)
Prof. Roglit Ishay (Zweite Vorsitzende)
Dr. Orna Freifrau von Fürstenberg
Prof. Dr. Guy Katz
Dr. Ilja Kogan
Prof. Dr. Dani Kranz
Prof. Dr. Haya Schulmann

Netzwerk jüdischer Hochschullehrender (e.V. i G.)