Der Historiker Olaf Kistenmacher erinnert in seiner Studie „‘Gegen den Geist des Sozialismus‘. Anarchistische und kommunistische Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik“ an jene damaligen Linken, die sich gegen den Antisemitismus im eigenen politischen Lager stellten. Der Autor wertete dabei eine Fülle von historischen Quellen auf und thematisiert im gemeinten politischen Spektrum diverse Tabus.
Von Armin Pfahl-Traughber
Eigentlich richtet sich der Antisemitismus „gegen den Geist des Sozialismus“, so formulierte es der bekannte Anarchist Rudolf Rocker bereits 1923. Indessen gehörte er eher zu den wenigen öffentlichen Gegnern der Judenfeindschaft in der politischen Linke nicht nur der Weimarer Republik. Darauf macht der Historiker Olaf Kistenmacher in einer neuen Monographie aufmerksam, eben betitelt mit „‘Gegen den Geist des Sozialismus‘ Anarchistische und kommunistische Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik.“ Es handelt sich um eine Art Fortsetzung einer früheren Studie: „Arbeit und jüdisches Kapital‘. Antisemitische Aussagen in der KPD-Tageszeitung Die Rote Fahne während der Weimarer Republik“ von 2016. Darin hatte der Autor anhand einer Fülle von Quellen veranschaulicht, wie stark sich in der Agitation der damaligen KPD eben auch antisemitische Stereotype fanden. Nur wenige Akteure aus dem linken politischen Lager stellten sich dieser Orientierung entgegen. An sie will Kistenmacher in seiner neuen Studie erinnern.
Zu den Gemeinten zählt er Personen aus unterschiedlichen Zusammenhängen. Es waren für ihn zwar eher Anarchisten wie etwa Emma Goldman, Franz Pfemfert oder Rudolf Rocker. Es finden sich aber auch antisemitische Auffassungen in den Büchern anderer anarchistischer Klassiker, dafür standen etwa Michail Bakunin oder Pierre-Joseph Proudhon. Auch aus dem marxistisch geprägten Bereich der Linken gab es kritische Warner, wozu etwa Rosa Luxemburg oder Leo Trotzki oder Clara Zetkin zählten. Die Auffassungen der von ihnen Kritisierten werden demgegenüber heute in der Linken ignoriert, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dortigen antisemitischen Einstellungen bekannter Personen fand meist nicht statt. Kistenmacher kommt demnach das Verdienst zu, kritisch anhand zahlreicher Quellenbelege an derartige linke Traditionslinien erinnert zu haben. Seine eigentliche Aufmerksamkeit ist indessen auf die Ausnahmen konzentriert, also auf die Autoren der seinerzeitigen Einwände gegen eine instrumentelle Judenfeindschaft.
Der Autor hat aber für sein Buch eine mitunter verwunderliche Struktur gewählt: So beginnt er seine Ausführungen mit dem Kapitel „Antisemitismus und Nationalismus im Krisenjahr 1923“, worin auch seinerzeitigen Aussagen von Ruth Fischer gegen „Judenkapitalisten“ kommentiert werden. Deutlich zeigt sich an den von Kistenmacher aufgearbeiteten Quellen, dass es sich um keine Ausnahmen handelte und dass es auch um Bündnispolitik gegenüber dem völkischen Milieu ging. Die letzten beiden Abschnitte sind aber dem Antisemitismus in Russland nach 1917 gewidmet, was nun eigentlich gar nicht zum gewählten Kapitelthema passt. Das folgende Kapitel „Innerparteiliche Kritik ab 1924“ geht dann auf die gemeinten Kritiker ein und konzentriert sich dabei auf den Mitte der 1920er Jahre bestehenden historisch-politischen Zeitraum. Dem folgt noch ein Kapitel „Der Antizionismus der KPD“, worin aber mehr andere Fragen wie das „rote Gegenpalästina“ in der Sowjetunion oder das Massaker in Palästina 1929 im Zentrum stehen.
Und dann geht es im abschließenden Kapitel noch um „Momentaufnahmen aus der letzten Phase der Weimarer Republik“, wobei der Autor an Kooperationen von KPD und NSDAP erinnert. Er behandelt auch die nationalistische Ausrichtung im KPD-Programm „zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“, wobei wie durch das ganze Buch hindurch auf den Kontext von Judenfeindschaft und Nationalismus treffend verwiesen wird. Es folgen auch Aussagen von KPD-Funktionären, welche sich gegen einen „Bruderkampf“ gegen die Nationalsozialisten stellten. All diese Erkenntnisse berühren Tabus, insbesondere in der linken Geschichtsaufarbeitung zur KPD. Genau darin bestehen für das Buch jeweils Relevanz und Verdienst. Man hätte sich dazu noch einige Deutungsansätze gewünscht, welche die Ausgangspunkte für linke Einstellungen zur Judenfeindschaft zu ergründen versuchen. Auch stellt sich bei den kritisierten Akteuren die Frage, inwieweit sie eher selbst Antisemiten waren oder mehr den Antisemitismus zynisch nutzten.
Olaf Kistenmacher, „Gegen den Geist des Sozialismus“. Anarchistische und kommunistische Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik Freiburg 2023 (Ca Ira-Verlag), 156 Seiten, 23 Euro, Bestellen?
–> November 1923
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