Die Darstellung der israelischen Realität

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Foto: Judith Klubmann

Das linke, autonome Zentrum Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel hat der Veranstaltung „Israel seit dem 7. Oktober — ein Blick von innen“, die dort am 15. April stattfinden sollte, unerwartet und kurzfristig den Raum abgesagt.

Von Gaston Kirsche

In der Ankündigung der Veranstaltung hieß es: „Das Massaker vom 7. Oktober 2023 hat Israel als materiellen Schutzraum für Jüdinnen und Juden nachhaltig erschüttert. Die Bewohner*innen Israels sind mit den Auswirkungen des Angriffs alltäglich konfrontiert und die näheren Zukunftsaussichten angesichts der Bedrohung von allen Seiten düster. Die brutale Zäsur erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem sich die verschiedenen Lager des innerisraelischen Kulturkampfs so unversöhnlich gegenüberstanden wie selten zuvor, und verpflichtete die Bevölkerung in den darauffolgenden Monaten zum geschlossenen Zusammenhalt. Oliver Vrankovic wird in seinem Vortrag darlegen, wie sich der 7. Oktober und die ungewisse Zukunft auf die israelische Psyche niedergeschlagen hat und was dies für israelsolidarische Menschen konkret bedeutet, die schockiert sind von der nicht nur hierzulande festzustellenden allgemeinen Kälte in den Reaktionen auf die am 7. Oktober begangenen Gräueltaten. Anschließend an den Vortrag gibt es die Möglichkeit zur Diskussion sowie dazu, Fragen zur aktuellen politischen Situation in Israel zu stellen“.

Der eingeladene Referent wurde so angekündigt: „Oliver Vrankovic lebt und arbeitet seit 17 Jahren in Israel, betreibt den Kichererbsenblog und ist Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Stuttgart“.

Die Rote Flora begründete die Raumabsage mit Postings des Referenten Oliver Vrankovic, die „menschenverachtend“ seien, was allerdings inhaltlich nicht weiter ausgeführt wurde. Dazu zwei Interviews mit dem gedissten Referenten und der veranstaltenden Inititiative.

Interview mit dem Referenten Oliver Vrankovic:
„Die Darstellung der israelischen Realität“

Oliver Vrankovic war der Referent auf der Veranstaltung „Israel seit dem 7. Oktober — ein Blick von innen“. Das Interview wurde kurz nach der Raumabsage durch die Rote Flora geführt. Von Gaston Kirsche.

Du kommst öfter aus Israel nach Deutschland für Veranstaltungen zurück – wann bist du nach Israel migriert, wie und wovon lebst du in Israel?

Ich lebe seit 2007 in Israel und arbeite seit 2009 in einem Elternheim der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft als Rezeptionist. Außerdem organisiere ich Bildungsreisen.

Worum geht es dir in deinen Berichten aus Israel?

Um die Darstellung der israelischen Realität, vor dem siebten Oktober mit Schwerpunkt auf Integrations- und Desintegrationsprozesse in der multiethinschen und multikulturellen Gesellschaft und seit dem siebten Oktober mit Schwerpunkt auf dem kollektiven Trauma.

Du erklärst als Linker mit Israel solidarisch zu sein – warum ist dir dass wichtig?

Die Solidarität mit Israel stimmt mit allen meinen antifaschistischen Überzeugungen als Linker überein. Meine bewusste Betonung als Linker israelsolidarisch zu sein bezieht sich auf die vorgeblich pro-israelischen Rechtspopulisten, die Linke grundsätzlich mit Antizionisten gleichsetzen. Mit Argumenten, die sie sich aus innerlinker Antisemitismuskritik zusammenklauben.

Die Hamburger Initiative gegen Antisemitismus hat dich zu einer Informationsveranstaltung „Israel nach dem 7. Oktober – ein Blick von innen“ eingeladen. Warum wurde der Raum für diese Veranstaltung jetzt abgesagt?

Die Veranstaltung hätte in der Roten Flora stattfinden sollen und wurde soweit mir bekannt ist aufgrund des Vetos einer Gruppe im Floraplenum gecancelt. Von der Absage für den 15. April Veranstaltung habe ich am 11. April erfahren. Die Absage erreichte mich im Übrigen gleichzeitig mit einer Drohung von Rechtsradikalen, die sich daran stören, dass ich als Linker Vorträge halte.

Die Absage wurde mit zwei Postings bei Facebook begründet?

Ich poste jeden Tag und meistens mehr als einen Post. Wer auf meiner Wall bis ins letzte Jahr runtergescrollt, um ein vermeintliches Indiz für meinen angeblichen Rassismus und die mir unterstellte Menschenverachtung zu finden, gibt beim vermeintlichen Recherchieren wirklich Alles. Das grenzt schon an Obsession. Ein Post – die israelische Fahne auf dem Palästina-Platz in Gaza Stadt – habe ich in ironischer Anspielung auf eine so lautende Seite Beauty Of Palestine genannt. Die Seite fiel mir mehrfach mit Bildern israelischer Städte auf, die als palästinensische Städte gelabelt werden. Ich möchte dazu auch erklären, dass der Post in eine Phase des Krieges fiel, in der jede Eroberung der israelischen Armee in Gaza ein klein wenig von der existentiellen Bedrohung genommen hat. Der zweite Post, der angeprangert wird, muss schon absichtlich missverstanden werden. Ich schreibe darin unter ein Bild festgesetzter Terrorverdächtiger, dass es nicht gut aussieht für diese angeblichen Freiheitskämpfer und dass ich hoffe dass Khan Yunis fällt, bevor ich auf der anderen Seite des Zauns pflücke. Pflücken war dabei wörtlich gemeint. Ich habe mit Freunden oft im Umland von Gaza in der Landwirtschaft geholfen. Meist unweit von Khan Yunis. Unterstellt wurde mir, ich hätte plündern in Khan Yunis gemeint oder sowas. Ich check es selbst nicht ganz.

Findet die Veranstaltung an einem anderen Veranstaltungsort trotzdem statt?

Es ist zu hoffen, dass es möglich sein wird eine linke Stimme in Hamburg zu vernehmen, die nicht im Chor linker Israel-feindlicher Lautsprecher mitsingt und die doch gefragt zu sein scheint, wenn ich mir die Kontroverse anschaue, die durch die Absage losgetreten wurde.

Hat jemand aus der Roten Flora mit dir über die Vorwürfe gesprochen, nachgefragt?

Nein. Die haben mich ohne mich zu fragen in Hamburg bekannt gemacht.

Passiert das öfter, dass propalästinensische Gruppierungen gegen Veranstaltungen von dir auftreten?

Es passiert mir, es passiert Jeder und Jedem mit pro-israelischer Einstellung. Es passiert bei Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen bin und bei Veranstaltungen meiner Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Es passiert auf sehr vielen israelsolidarischen Kundgebungen, Mahnwachen, Vorträgen.

Interview mit Sergio Leonfeld:
„Die Veranstaltung hätte in der Roten Flora stattfinden müssen!“

Die Fragen an Sergio Leonfeld von der veranstaltenden „Hamburger Initiative gegen Antisemitismus“ stellte Gaston Kirsche.

Ihr habt im Dezember schon eine Veranstaltung durchgeführt in der Roten Flora?

Die Wandtapete „Killing Jews ist not Fighting for Freedom“ kurz nach dem 7. Oktober haben wir als ein Statement der Roten Flora wahrgenommen, sich deutlich und klar gegen den antisemitischen Terror der Hamas zu positionieren. Wir als „Hamburger Initiative gegen Antisemitismus“ fanden es wichtig, die Räume auch für eine inhaltliche Auseinsetzung zu nutzen. Als neugegründete Gruppe wird man dabei natürlich immer auch kritisch beäugt, aber insgesamt war der Umgang freundlich und die Durchführung unproblematisch. Die von 160 Leuten aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen gut besuchte Veranstaltung mit Tom Khaled Würdemann hat sich mit der politischen Herrschaftspraxis von Hamas und Fatah in Gaza und in Westjordanland auseinandergesetzt.

Jetzt habt ihr den mit Berichten aus Israel auf Facebook aktiven Oliver Vrankovic eingeladen – wie seid ihr auf ihn gekommen?

Oliver Vrankovic ist nicht nur auf Facebook mit Berichten aus Israel aktiv, sondern schreibt auch unregelmäßig Texte für die Jungle World, HaGalil und die Jüdische Allgemeine. Für eine Veranstaltung sind wir auf ihn allerdings durch seinen im Dezember 2023 bei der Gruppe ‚Emanzipation und Frieden‘ gehaltenen und kurz darauf digital veröffentlichten Vortrag „Israel – eine Innenansicht“ aufmerksam geworden. Vrankovic schilderte dort sehr ergreifend und persönlich eine Chronologie der Ereignisse seit dem 7. Oktober. Einen solchen Vortrag wollten wir auch in Hamburg haben.

Fünf Tage vor der Veranstaltung hat euch das Plenum der Roten Flora trotz Zusage wieder ausgeladen?

Das ist korrekt. Allerdings ist die Kurzfristigkeit der Absage nicht der Kern des Skandals. Dass Veranstaltungen gestört oder per Veto verhindert werden ist Bestandteil des autonomen Selbstverständnisses des Projekts und seine konsequente Umsetzung kann daher auch als Stärke der Roten Flora gedeutet werden. Wenn in der Flora allerdings israelsolidarische Veranstaltungen abgesagt werden, hat dies über das Haus hinaus Stahlkraft auf die Szene. Und Inhaltsleere Absagen laufen einer emanzipativen Praxis entgegen. Eine solidarische Positionierung für Israel ist für uns eine Basisbanalität und gehört zum festen Kanon einer emanzipativen Linken.

Wie kam es zu der Entscheidung?

Im Vorwege waren eigentlich alle organisatorischen Fragen bereits geklärt, auf dem letztmöglichen Termin für Absprachen vor der Veranstaltung wurde uns der Raum wieder entzogen und die Flora ließ einen inhaltsleeren Post auf sozialen Medien wie X folgen. Wir wurden wie ein Fremdkörper dargestellt und es wurde so getan, als ob wir in der Vergangenheit nicht bereits eine erfolgreiche Veranstaltung in der Flora durchgeführt hätten.

Dem Referenten wurde vorgeworfen, zwei seiner Postings seien „menschenverachtend“?

Vrankovic ist in seinem Vortrag im Uebel & Gefährlich auch auf die zwei vom Flora-Plenum skandalisierten Postings eingegangen. Der 7. Oktober hat bei ihm und allen Israelis ein Gefühl völliger Schutzlosigkeit und Ausgeliefertseins ausgelöst. In dieser Situation hat er die kritisierten Bilder gepostet. Er hat das als Wunsch nach der Wiedererlangung von Kontrolle und Sicherheit erklärt und nicht als Verhöhnung der Bevölkerung von Gaza. Wir haben ihn eingeladen, um eine authentische Stimme aus Israel zu hören.

Hat jemand aus der Roten Flora mit euch über die Vorwürfe gesprochen oder nachgefragt?

Eine offizielle Aussprache hat dazu nicht stattgefunden. Dadurch dass einige von uns persönliche Beziehungen zu Personen aus dem Umfeld der Roten Flora haben, haben wir im Groben von der Brisanz und Stimmung im Vorfeld der Veranstaltung erfahren.

Hat es in der jüngeren Vergangenheit Absagen von Veranstaltungen zum Themenkomplex Israel gegeben?

Die Rote Flora sah sich seit den frühen 2000er Jahren immer wieder aufgefordert, in den in Hamburg vehement geführten Auseinandersetzungen um linken Antisemitismus eine Position entwickeln zu müssen. Dies war von zwei unterschiedlichen Bedürfnissen getragen: Einerseits davon, sich von den „Zumutungen“ antideutscher Kritik abzugrenzen und zum anderen, Antisemitismus als weiteren zu bekämpfenden -Ismus in ihrem linken Milieu zu etablieren. Dass dies nicht ganz ohne Verrenkungen vor sich ging, lässt sich in ihrem bis heute gültigen Positionspapier „The good and The Evil. Diskussionspapier der Roten Flora zu Antisemitismus“ von 2004 nachlesen. Absagen zu Veranstaltungen aus diesem Themenkomplex gab es nicht, vielmehr schien man in der Roten Flora in erster Linie um Konfliktvermeidung bemüht.

Die Veranstaltung fand dann ja stattdessen im „Uebel & Gefährlich“ statt – also doch eine erfolgreiche Veranstaltung?

Mit 150 Leuten war der Saal komplett gefüllt. Wir sind dem Uebel & Gefährlich sehr dankbar, dass die Veranstaltung stattfinden konnte und die dort arbeiten Leute die Durchführung möglich gemacht haben. Wir freuen uns auf weitere Veranstaltungen in dem Klub. Was aber nichts an unserer Kritik ändert: Die Veranstaltung hätte in der Roten Flora stattfinden müssen! Dort braucht es immer wieder Argumente im Kampf gegen Antisemitismus. Und das heißt in der derzeitigen weltweit bedrohlichen Lage für Jüdinnen und Juden auch ein solidarisches Verhältnis zu Israel als Schutzraum zu entwickeln und vermeintliche Widersprüche auszuhalten.

Dieses Interview erschien zuvor in der Jungle World v. 25.4.2024.