„Von Männern umzingelt“

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Das erste Kabinett Ben Gurion. Neben Golda Meir sitzt Zalman Shazar, David Remez auf der Gegenseite (der 3. v. oben). Foto: Hugo Mendelson/Government Press Office, D667-118

Golda Meir ist in aller Munde – 46 Jahre nach ihrem Tod lebt ihr Mythos weiter. Nach der Verfilmung ihres Lebens mit Helen Mirren in der Hauptrolle und den Biografien von Francine Klagsbrun oder Deborah Lipstadt legte Pnina Lahav unter dem Titel „The only Woman in the Room“ ein weiteres vielbeachtetes Buch über die Vita der ehemaligen israelischen Premierministerin vor – erstmals aus feministischer Sicht.

Als die Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 in Tel Aviv unterschrieben wurde, waren von den 37 Unterzeichnern nur zwei Frauen – eine davon war Golda Meir. Dass sie später zur ersten Ministerpräsidentin des jüdischen Staates werden sollte, war daher schon ein kleines Wunder. Denn auch die zionistische Bewegung war strikt patriarchalisch ausgerichtet. 

Golda Mabovitz wurde 1898 in Kiew geboren. Aus Furcht vor Pogromen im zaristischen Russland emigrierte sie mit den Eltern und den beiden Schwestern 1906 in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo sie in Milwaukee aufwuchs. Schon früh engagierte sich die junge Frau politisch und verkehrte in linkszionistischen Kreisen. Dabei lernte sie auch Morris Myerson kennen, ihren späteren Ehemann. 1921 entschied sich das junge Paar nach Palästina auszuwandern, um im Kibbuz am Aufbau eines jüdischen Staates mitzuwirken. Ihrer Leidenschaft und ihrer Ausstrahlung verdankte Golda die Entsendung als Vertreterin des Kibbuz‘ in die Histadrut, die israelische Gewerkschaft. Schon bald gehörte sie dem inneren Kreis der Gründergeneration Israels an.

Ihre politische Arbeit veranlasste Golda Meir, den Kibbuz, ihren Ehemann und die beiden Kinder Menachem 1924 und Sarah 1926 geboren, zu verlassen. Die alleinige Rolle als Mutter und Ehefrau stellte sie nicht zufrieden; sie zog nach Tel Aviv. „Während ihrer gesamten Laufbahn war Golda Zielscheibe von Frauenfeindlichkeit und oft wurden ihre Fehler und Misserfolge auf die Tatsache zurückgeführt, dass sie eine Frau war“, schreibt Pnina Lahav. Dieses biologischen Handicaps war sich Golda Meir Zeit ihres Lebens bewusst: „Um erfolgreich zu sei, muss eine Frau viel mehr leisten als ein Mann“, war ihr Credo. Diese Erkenntnis hat sie in ihrer politischen Laufbahn umgesetzt, wie ein Zitat von David Ben Gurion eindeutig belegt: „Sie war der einzige Mann im Kabinett.“

Golda Meir widersetzte sich der traditionellen Frauenrolle, indem sie auch ihre sexuelle Unabhängigkeit lebte. Obwohl sie nicht von ihrem Mann Morris geschieden war, ging sie Beziehungen mit dem Gewerkschaftsführer David Remez und dem späteren Präsidenten Zalmann Shazar ein. Als Ben Gurion nach der ersten Knesset-Wahl Golda Meir zur Arbeitsministerin (1949–1956) ernannte, waren auch ihren beiden Liebhaber Kabinettsmitglieder. Zuvor war die Politikerin erste israelische Botschafterin in Moskau. Danach hatte sie den Posten der Außenministerin (1956–1965) inne, übernahm 1966 als Generalsekretärin die Führung der Mapai-Partei und wurde schließlich 1969 Ministerpräsidentin.

Golda Meir war eine selbstbewusste, starke Frau, doch keine Feministin im klassischen Sinn. „Ihre Überzeugung, dass Frauen den Männern gleichgestellt sind war tief verwurzelt“, führt Pnina Lahav aus und zitiert Golda Meir: „Die Frauen des Jischuw haben bewiesen, dass es möglich war, als Ehefrauen, Mütter und Mitstreiterinnen zu handeln, indem sie ständige Gefahren und Entbehrungen ertrugen, ohne sich zu beklagen, aber mit einem Gefühl enormer Erfüllung, und es schien mir, dass sie mehr für die Sache unseres Geschlechts taten als selbst die militantesten Suffragetten in den Vereinigten Staaten oder England.“ Golda Meir spielte das Spiel der Männerwelt nicht mit, sondern zwang die Männerwelt, sie so zu akzeptieren, wie sie war – eine Frau, die als Frau auf dem Männerparkett agierte.

Nach dem Jom Kippur Krieg, dem arabischen Überraschungsangriff, der das Land an den Rand einer Niederlage brachte, demissionierte sie vom Amt der Ministerpräsidentin – obwohl ein Untersuchungsausschuss Golda Meir später von einer direkten Verantwortung für die Beinah-Katastrophe freisprach. Dennoch zog sie sich bis zu ihrem Tod 1978 aus der israelischen Politik zurück.

Mittlerweile hat sich die Sichtweise auf die Persönlichkeit und das politische Wirken Golda Meirs in der israelischen Gesellschaft zum Positiven gewandelt: „Nachdem man sich über ihr Aussehen, ihre einfache Sprache und ihre Eigenschaft, gleichzeitig ein harter Mann und eine alte Frau zu sein, lustig gemacht hatte, ist das israelische Volk nun der Meinung, dass sie für etwas steht, das über das Leben hinausgeht – für die Kraft, sich Widrigkeiten zu stellen, unverwüstlich zu bleiben und sich selbst treu zu sein“, resümiert Pnina Lahav, die mit „The only Woman in the Room“ eine etwas andere, interessante und spannende Lebensgeschichte vorgelegt hat. Eine Biografie, die Probleme beleuchtet, mit denen alle Frauen konfrontiert sind, wenn sie versuchen, „umzingelt von Männern“, in die von ihnen dominierten Bereiche aufzusteigen. – (jgt)

Pnina Lahav, The only Woman in the Room. Golda Meir and her Path to Power, Princeton (NJ) 2023, 376 Seiten, 34 €, Bestellen?