„Aus dem Abgrund etliche Gestalten herausziehen“

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Foto Mordechai Strigler: (c) Leah Strigler

Kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald im April 1945 begann Mordechai Strigler seine Erfahrungen in den Lagern des besetzten Polens literarisch zu verarbeiten. Nun ist nach „Majdanek„, „In den Fabriken des Todes“ und „Werk C“ der vierte Teil seiner Tetralogie „Verloschene Lichter“ erschienen.

„Schicksale“ ist der letzte Teil der Serie betitelt. Einzelschicksale waren es, die Strigler vorstellen wollte: „Wenn ein Volk untergegangen ist, und so untergegangen ist, muss man das Bild des Volkes sowohl innerlich als auch äußerlich sehen, damit man das Umkommen selbst begreifen kann. Deshalb ist es mir nicht möglich gewesen, anonyme Massen zu malen, sondern detaillierte Gesichter von Opfern, Mördern, Schändern und Geschändeten. Ich habe mich dabei bemüht, aus dem Abgrund etliche Gestalten herauszuziehen, welche jede für sich einen gewissen Kreis und eine Lebensweise symbolisiert hat. Sie alle mussten, durch ihren Gang in die Katastrophe, aufzeigen, wie diese ganze Welt ausgesehen hat.“

Auch „Schicksale“ spielt in „Werk C“, dem berüchtigten Arbeitslager Skarzysko-Kamienna, das vom Leipziger Rüstungsunternehmen HASAG AG betrieben wurde und das auch Strigler selbst durchlief.

In „Schicksale“ schildert Strigler die Zeit vom Winter 1943/44 bis zur Schließung der Munitionsfabrik und Vorbereitung der Evakuierung der Häftlinge im August 1944. Die unterschiedlichsten Menschen trafen im Werk aufeinander, die sozialen Unterschiede, die unnatürliche Hierarchie verschärfte die Spannungen und verschlechterten das Leben der Gefangenen teils dramatisch.

Mordechai Striglers Werk ist ein schonungsloser Bericht über das Grauen der Schoah. Sich darauf einzulassen, ist nicht immer einfach. Strigler nimmt seine Leser mit in den Alltag des Lagers, den er detailliert wiedergibt. 

Kurz bevor das Lager zerstört wurde, zwang die SS jüdische Häftlinge dazu, die Massengräber auszuheben und die Leichen zu verbrennen. Beweise sollten zerstört werden. Die verbliebenen 6000 Häftlinge wurden nach Buchenwald und andere deutsche Konzentrationslager gesandt.

Auch dieser Weg ist in „Schicksale“ beschrieben. In poetischer Weise. „Die Lokomotive schleppte den langen Zug mit unbändiger Eile. Sie knautschte sich durch Täler und kroch über Berge mit wilder Hast. Erst beim Eintauchen in die Dichte der Wälder wurde sie langsamer und wieherte fröhlich dabei in ihrer pfeifenden Sprache zu der ganzen Dunkelheit der Bäume die Nachricht von deutschem Eisen und Kohlen: Hier fahren Juden in die Nacht hinein.“

Frank Beer (Hrsg.), Sigrid Beisel (Übers.), Mordechai Strigler – Schicksale. Verloschene Lichter IV. Ein früher Zeitzeugenbericht über die Opfer der Schoah, zu Klampen Verlag, 694 S., Euro 48,00, Bestellen?