Gebeugter leerer Stuhl

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Seit 2013 erinnert in den Münchner Stadtteilen Pasing und seit 2016 in Obermenzing die Skulptur „Gebeugter leerer Stuhl“ der Künstlerinnen Marlies Poss und Blanka Wilchfort an alle Bürgerinnen und Bürger, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, entrechtet und ermordet wurden, ganz besonders jene, die qua Geburt zur Ausrottung bestimmt waren, wie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, gleichgeschlechtlich liebende sowie geistig und körperlich behinderte Menschen.

Die Skulptur soll aber auch an jene erinnern, die sich aus Menschlichkeit gegen das Unrecht stemmten und dafür starben: die mutigen Menschen, die sich schützend vor die Opfer stellten und dadurch selbst zu Opfern wurden. Der leere Stuhl symbolisiert das Fehlen dieser Menschen, die keinen Platz in der Gesellschaft mehr hatten.

Die Idee zu der Skulptur „Leerer Stuhl“ entstand nach einer Führung der Geschichtswerkstatt „Jüdisches Leben im Münchner Westen“ zu ehemaligen Wohnungen jüdischer Einwohner von Pasing und Obermenzing. Wilchfort und Poss arbeiteten gerade an Beiträgen zur Kunstmeile „Verweile doch …“ im Rahmen des 1200-jährigen Jubiläums von Pasing.

Seit 2022 gibt es auch einen Freundeskreis dieser Kunstwerke, den gemeinnützigen „Freundeskreis Gebeugter leerer Stuhl“ in dem sich unterschiedlichste Vertreterinnen und Vertreter der Münchner Stadtgesellschaft zusammengefunden, darunter, neben Organisationen wie der Stiftung VFS – Vielfalt.Fördern.Stiften, der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth-Shalom oder der Europäischen Janusz Korczak Akademie, auch Historiker, ehemalige Bundestagsabgeordnete, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler im Bayerischen Landtag, Florian Streibl und Münchens 3. Bürgermeisterin Verena Dietl.

Die Vorsitzende des Freundeskreises, die emeritierte Professorin für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule München, Juliane Sagebiel, erklärt im Gespräch mit haGalil die Zielsetzung des Vereins folgendermaßen: „Die letzten Zeitzeugen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden bald nicht mehr unter uns sein. Daher ist es wichtig, auf neue Art zu erinnern und so eine freiheitliche und friedliche Zukunft zu gestalten. Dazu dienen neben den schon vorhandenen Formen der individuellen und der kollektiven Erinnerung auch Formen der stadtteilnahen Erinnerung, wie die Gedenkskulptur „Gebeugter leerer Stuhl“, deren bisherige Installationen auf weitere Münchner Stadtbezirke und Kommunen ausgedehnt werden soll.“

Unterstützt wird sie dabei von Ralph Deja, dem Mitorganisator der „Nymphenburger Gespräche“, einem 2007 in München gegründeten ideellen Zusammenschluss verschiedener Gruppen und Personen für interkulturellen und interreligiösen Dialog, sowie dem Münchner SPD-Kommunalpolitiker Raoul Koether, der sich seit Jahren für Erinnerungskultur und im Kampf gegen Rechts engagiert. Raoul Koether erklärt das folgendermassen: „Denkmäler müssen mehr sein, als nur die Wohnzimmerdeko des öffentlichen Raums. Gerade in der heutigen Zeit ist ein Monument wie der Gebeugte leere Stuhl eine Ergänzung zu individuellen Stolpersteinen und Erinnerungszeichen. Das Konzept ermöglicht die Inklusion von Opfern, die kein Grab und keine Nachkommen haben, die ihnen ein Gedenkzeichen setzen könnten.“

Ralph Deja, Juliane Sagebiel und Raoul Koether

Sein Kollege Ralph Deja ergänzt: „Darüber hinaus ist jeder Gebeugte leere Stuhl über einen QR-Code mit der Datenbank eines Geschichtsarchivs verbunden, die ständig aktualisierbar ist, und wo Sie Informationen über die einzelnen Opfer nachlesen können.“ Und verweist in diesem Zusammenhang auch auf eine geplante Veranstaltung des Freundeskreises am 10. April 2024 um 18.30 Uhr in der Europäischen Janusz Korczak Akademie in München unter dem Titel „Erinnern gegen Rechts“, bei der unter anderem der Vorsitzende des Historischen Vereins Oberbayern und ehemalige Chef des Münchner Stadtarchivs, Michael Stephan, über verschiedene Aspekte und die Entwicklung von Erinnerungskultur in München und Bayern seit dem 2. Weltkrieg berichten wird.

„Der Freundeskreis freut sich natürlich auch weiterhin über ideele und materielle Förderer, die dieses Denkmal weiter verbreiten möchten“, wie Juliane Sagebiel mitteilt. Weitere Infos und Kontaktdaten sind auf der Webseite https://freudeskreis-gls.de zu finden.