Kleiner Ratgeber fürs Novembergedenken

0
114

Es ist gut, dass sich Jahr für Jahr am 9. November Menschen in Städten versammeln, um an die „Reichspogromnacht“ zu erinnern. Es ist gut und wichtig, wenn dabei an Personen erinnert wird, die ermordet und vertrieben wurden. Es ist gut zu wissen, dass zumindest tote Juden hier eine Lobby haben.

Von Ramona Ambs

Ich war schon bei vielen solcher Gedenk-Veranstaltungen dabei, sowohl als Gast als auch als Redner. Und ich habe viele berührende Geschichten über Menschen erfahren, die (und deren nie geborenen Nachfahren), ich gerne kennen gelernt hätte, wären sie nicht von den Nazis ermordet worden.

Was mich allerdings schon immer irritiert hat, ist das religiöse Beiwerk dieser Gedenkveranstaltungen. Fast immer ist auch ein Vertreter einer christlichen Kirche vor Ort und fast immer wird dann jovial für Frieden und Israel und Palästina gebetet. Immer für Israel und Palästina- man hat ja beide gleich lieb und Jesus liebt sowieso alle Menschen gleich. All lives matter… Well…

Nichts gegen Friedensgebete, aber alles hat seine Zeit und seinen Ort. Zumal der Ton und die Rhetorik bisweilen weniger an Beten als an Salbadern erinnerten. Und von der relativ belanglosen Beliebigkeit des Anliegens einmal abgesehen, hat es durchaus auch eine herablassende Komponente, wenn Leute glauben, dass sie für einen beten müssen.

Es entwürdigt beinah das Gedenken.

Deshalb mein Vorschlag für dieses Jahr: Betet doch mal für Erkenntnis und Mut in den eigenen Reihen! Ehrlich, das fänd ich viel passender. Erkenntnis wäre gut, um zu schauen, wieviel Antisemitismus und Israelhass noch in den eigenen Kreisen ist. Und Mut, sich dann auch dagegen durchzusetzen, wäre noch viel nötiger. Es darf also ruhig auch inbrünstig gebetet werden. Und wenn Ihr da aufgeräumt habt, dann können wir gemeinsam der ermordeten Juden gedenken. Denn, der 9. November hat mit dem 7. Oktober nämlich eine Neuauflage bekommen. Der 9. November findet derzeit tagtäglich in kleineren Dosen statt. Nicht nur in Nahost, sondern hier bei uns auf den Straßen.

1 Kommentar

  1. Sehr geehrte Frau Ambs,
    vielen Dank für den bedenkenswerten Artikel. Als katholischer Diakon macht man sich berufsbedingt keine Gedanken darüber, dass das Beten für jemanden tatsächlich etwas haranwürdigendes haben kann. Deshalb werde ich heute abend für mich beten. Um Kraft und Courage jeder Art von Antisemitismus zu begegnen. Um Mut, damit ich kein „Ja, aber..-Sager“ werde. Ich werde auch um Herzenswärme beten, um nicht abzustumpfen gegen das Leid, das Menschen am 7. Oktober angetan wurde. Vielen Dank und ein herzliches Shalom!