Hubert Seipel, Dead Man‘s Walker

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Mein Bericht von der erstmaligen Verleihung des „Wer-wird-Blamagen-Millionär“-Preises 2023 an einen von Moskau bezahlten Putinversteher

Von Christian Niemeyer

Ich weiß ja nicht, ob Sie’s mitbekommen habe, aber seit der hier[1] am 6. November eingestellten Story über die Entführung meines Mitarbeiters Gantenbein an Halloween im Learjet durch Putins Tochter Katerina nach Moskau in der erkennbaren Absicht, ihn und damit zur Not auch mich in den Zeugenstand rufen zu können, was Putins Tod (und Wiederkehr) angeht, gelte ich nicht gerade als seriöser Journalist. Was auch der Spiegel spitz bekommen zu haben scheint:

Die russischen Beteiligten wollen sich nicht äußern, auch Wladimir Putin nicht,

textete eine erlesene Crew von sieben Edelfedern des Hauses unter Leitung der unvermeidlichen Susanne Amann trotzig zwölf Tages später, in Nr. 47 vom 18. November (S. 69), zum Skandal um Hubert Seipel, als komme man gerade per Learjet aus Moskau von einem Plausch mit Putin, den dieser Dilettant Niemeyer am 6. November auf hagalil.com für tot erklärt hatte.

Deswegen noch mal, liebe lebenssüchtige Profis vom vormaligen Investigativjournal Nr. 1, zum Mitschreiben: Putin ist tot, mausetot, sein Nachfolger kündigt uns gerade Chemiewaffeneinsatz an, und, gesetzt, dies alles nicht: Das Letzte wohl, was Putin täte, wäre, euch, also, neben oder besser wohl unter Melanie Amann auch Sophie Baumann, Sven Becker, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Anton Rainer sowie Timo Schober Auskunft zu erteilen zur Causa Seipel. Übrigens, zum Mitschreiben, Ihr lieben Spiegel-Leuchten: Hubert Seipel. „der zu Beginn seiner Karriere in den Achtzigerjahren auch für den SPIEGEL gearbeitet hatte“ (Nr. 47, S. 68) – aber bitte nicht unter dem Namen Claas Relotius, oder? –, ist gleichfalls „tot“, allerdings nicht „mausetot“, wohl aber im Sinne von „erledigt“, und zwar am Ende dieser Geschichte und im Bewusstsein der meisten Leser*innen derselben, zu denen ihr vermutlich nicht gehört, weil der Learjet nach Moskau zum Tee mit Putin wartet, nicht wahr?

*

Vergleichbar groß wie diese soeben verspeiste recht fette Sonntags-Ente war meine Freude am Samstag, als ich eine Einladung zur konstituierenden Sitzung des „Wer-wird-Blamagen-Millionär“-Komitees des PEN-NER Berlin e.V. erhielt. Begründet wurde die Einladung, offenbar ausgesprochen, um mich vom PEN Berlin wegzulocken, damit, dass ich durch meine unbestechliche Kritik an allen nur denkbaren Printmedien, ob nun Boulevard (wie BamS[2]), oder Beletage (wie ZEIT[3] oder, wie eben gesehen, Der Spiegel[4]), geradezu ohne weitere Erläuterung als unverdächtig gelten könne, von irgendwem gesponsert zu werden. „Schade eigentlich, selbiges!“, scherzte ich mit mir selbst, arm wie eine Kirchenmaus, abgesehen natürlich vom neulich von Gantenbein unnötigerweise ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückten Haus am See. Und gedachte meiner ultranetten Lektorin. Die mir fraglos, wie Hubert Seipel durch Putin, 600.000 Euro zuschanzen würde, wenn sie nur wüsste, wie (und wofür!).

Was natürlich die Frage wachruft: Was wusste der Hoffmann & Campe-Geschäftsführer Tim Jung eigentlich vor Bekanntwerden des Skandals um selbigen über seine cash cow Hubert Seipel? Hätte er in dessen Buch Putin. Innenansichten der Macht (2015) hineingeschaut und nebenbei ein wenig in Amazon-Kundenrezensionen, hätte ihm schon am 10. Oktober 2015 klar sein müssen, dass er einem hemmungslosen Betrüger aufgesessen war:

Wieso eigentlich trägt Putin auf dem Coverfoto die Uhr nicht, wie sonst am rechten Handgelenk, sondern am linken?[5]

– so der cleverste aller Putin-Rezensenten, G. Faller, der schlicht erkannte, dass schon das Cover ein Fake war und nicht Putin zeigte, sondern seinen aktuell, nach Putins Tod, schwer geforderten Doppelgänger. Hätte Tim Jung doch 2015 doch nur dies gelesen – der Staatsanwalt heutzutage wäre viel Arbeit erspart geblieben, etwa die Gründe betreffend, warum wohl mein mobiler Buchhändler Patrick Schwarzkopf den 2015er Seibel nur ohne Cover lieferte: Er wusste um Fallers Rezension, Jung, der lesefaule Verleger, nicht.

Dem im Übrigen, hätte er doch nur meine Putin-kritischen Arbeiten bei hagalil.com in ihrer ganzen Breite zur Kenntnis genommen, vermutlich letztmals am 3. Oktober 2023 etwa flau geworden wäre, nach den hier[6] gegebenen Hinweisen auf Elon Musks inzwischen recht abgedroschene Verschwörungsmär vom Typ Victoria Nuland – die Seipel als Effekt offenbar von Putins 600.000-Euro-Gehirnwäschen schon 2015 so brav zu Gehör brachte[7], als käme er direkt von seiner Unreife-Prüfung in Moskau. Hierzu passend: MH 17, also der schreckliche Tod von 298 mehrheitlich niederländischen Passagieren als Ergebnis des Abschusses einer Ziviljets über der Ukraine; Seipel schreibt nicht pro oder contra Putin als Hauptverantwortlichen, sondern er zündet nach Mafiaart eine wohlkalkulierte Nebelkerze, indem er, ganz zum Schluss seines dürftigen Kapitels, Gabor Steingart zitiert: Was die FAZ beispielsweise zu diesem Thema geschrieben habe, läse sich „wie geistige Einberufungsbefehle“[8], will sagen, in Putin-Sprech übersetzt: Der Westen brauchte zwecks Rechtfertigung seiner Aufrüstung Putins Schuld am Abschuss von MH 17. Wie, Kollege Jung? Nie hineingeblickt in ihren Bestseller von 2015? Und wohl auch nicht in Seipels Bestseller Putins Macht (2022)? Hier wie da nichts als Dollarzeichen, nich à la Donald Trump, sondern à la Dagobert Duck vor Augen, nicht wahr? Schlimm, schlimmer: Dass dies offenbar niemand vom Lektorat anders hielt als der Chef, was den Schluss auf Karrieregeilheit weit weniger erlaubt als den auf mangelnde (Zivil-) Courage.

Ganz ähnlich – der Fisch stinkt vom Kopf her – lief es offenbar ab bei „TTT – Titel, Thesen, Temperamente“, von denen ja das Okay gekommen sein muss für der deutschen Journalistin Evelyn Fischers Okay zu Seipel 2015 sowie den blurb auf U 4 von Seipel 2022:

Hubert Seipel, der deutsche Putin-Kenner schlechthin.

Hat es also mit der TTT-Rubrik „Schluss mit Moor“ vielleicht doch mehr auf sich als gedacht? Gab es da zwischenzeitlich eine TTT-interne Revolte gegen „Max“ Moor, angeführt von der Sender-internen Putin-Gegnerin Siham El-Maimouni? Auweia, durchzuckte es mich da in vager Vorahnung, was werden die Seipel-Festredner*innen der Funk- und Fernsehsender weltweit jetzt zittern, wenn sie diese Zeilen lesen. Was ist mit dem (an sich) renommierten Historiker Gregor Schöllgen, der in der Zeit sein Wort einlegte pro Seipel 2016? Was wird aus Bettina Lehnert (pro im RBB) oder aus Ulf Kalkreuth vom MDR oder Ulf Klußmann, 1999 bis 2009 Moskau-Korrespondent des Spiegel und alle beide Positiv-Rezensenten von Seipel 2022? Hinzugerechnet die Angehörigen der Gattung „Amazon-Kundenrezensionen“, zumeist, was windige Bücher wie Seipels angeht und die 5-Sterne-Fraktion betreffend, aus dem Lager neu-rechter Spinner kommend und ganz anders tickend, als wie ich es mal aus Spaß nennen will, jene aus dem Lager der Merzgefallenen, also der O- bis 1-Sterne-Literaturgeneräle, aus den einer herausragt: „IGO“, der, im Übrigen schon am 2. Juli 2022, den entscheidenden Satz zur Begründung des nur einen Sternes schrieb:

Obwohl es in einem sonst sehr seriösen und sorgfältigem (sic!) Verlag ershienen (sic!) ist – bei dem ist dieses Buch ein Schandfleck ist.

„107 Personen fanden diese Person hilfreich“, heißt es dazu[9] – und bei Ihnen in der Villa in Hamburg, werter Herr Jung, hat alles geschlafen!? Extrem riskant, wie ich meine, für einen Verlag, der, wie Jung zu betonen nicht unterlässt, mit dem Namen Heinrich Heine für sich zu werben sucht. Meint zugleich: Wird Jung, oder sagen wir mal im Blick auf Kommendes: dieser Jung den aktuell sich ereignenden Sturz Seipels, einfacher geredet: diesen Text überleben?

Apropos, auch keine kleine Gefahr für, wie ich’s mal im Insider-Sprech nennen will – HoCa: Das Bewerberfeld in Sachen des in Rede stehenden Preises lichtet sich eingedenk der soeben gegebenen Erläuterung des Festkomitee-Sprechers, Doris König vom Verfassungsgericht stünde selbstredend nicht zur Wahl, etwa wg. des von ihr begründeten Verbots der Einstellung von 60 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Klimakatastrophe, die sie und ihre Kolleg*innen nicht, anders als die Corona-Pandemie, als „außergewöhnliche Notsituation“ anzuerkennen vermochten. Dies sei, so sehr der Ober-PEN-NER, zwar dummdreist, aber außerhalb der Zone des zu Beanstandenden, stünde doch spätestens seit Netanjahus Justizreform und der jedem aktuell vor Augen stehenden Folgen dieser Debatte die Gewaltenteilung als heilige Kuh in jedem Raum. Und müsse auch uns Deutschen aufgrund unserer Geschichte verpflichtend sein, jenseits aller Blamagen, die das Agieren dieser immerhin ja auf SPD-Ticket ins Amt gesurften Königin im Pensionsalter (Jg. 1957) einträgt.

Ruhe im Saal, trotz hier und da deutlich hervortretender Anzeichen für kontrollierte Schnappatmung weiblicher Herkunft, wohl wegen der wenig königlichen Vokabel „dummdreist“; dann aber wieder die sonore Stimme des Sprecher, zu welchem sich seiner Größe halber („Was Mann nicht sieht, kann er nicht benamsen!“) auf meiner Seite kein Name einfinden wollte: Ebenso wenig preisverdächtig sei „Der SPIEGEL“, der nach anonymer Anzeige, zurückgehend auf die Meinung von Joachim Reuter auf Junge Freiheit am 15. November 2023 um 9:54, dieses Nachrichtenmagazin werde zwar nicht von Putin, wohl aber vom US-Milliardär Soros finanziert, angeblich viel schlimmer sei als Seipels Putin.[10] „Um hier mal ausnahmsweise ein deutliches Wort zu riskieren“, hob der kleinwüchsige Sprecher auf einmal machtvoll an: „Ich weiß inzwischen, dass Deutschland, ungeistig gesponsert von der AfD, sich von einer offenen Gesellschaft in eine offene Psychiatrie verwandelt hat – dazu braucht es, zu anderen Zwecken auch nicht, keines Dieter Stein aus Hamburg!“ „Auch nicht eines Götz Kubitschek aus Schnellroda!“, ergänzte ich scharf, unter Verweis auf die Freude des Letzteren[11] ob des Erscheinens der, wie ich sie mit schnittiger Betonung nannte, „Nullnummer“ eines Crisis benannten neu-rechten Periodikums christlicher Observanz, in welchem sich Putin-nahe Berufsverbotsfälle vom Typ Ulrike Guérot (Bonn)[12] zu verlustieren anschickten.

Applaus auf den billigen Plätzen, auch zu meinem Genuschelten übrigens. Und damit ungesäumt zu meinem persönlichen Protokoll der Konstituierenden Sitzung des „Wer-wird-Blamagen-Millionär“-Preiskomitees. Da ich nicht ausschließen kann, dass ich zwischendurch eingenickt bin – altersbedingt, immerhin bin ich fünf Jahre älter als die eben angesprochene Dame in der roten Robe – musste zur Not die Fantasie ersetzen, was das Gedächtnis nicht gespeichert hatte (eine gute Vorübung auf die Dementen-Welt, der wir qua Trump und/oder Biden entgegen zu steuern scheinen.) Unter dieser Einschränkung also mein Bericht.

*

Eröffnet wurde der von jeder Aufsicht befreite eigentliche Stehempfang mit dem Standard einer neben mir Stehenden, in etwa Gleichaltrigen, wie aus dem Skript eines Jungfilmers:  

„Übrigens, mein Lieber: Haben Sie eigentlich vom Skandal bei den Hoffmann & Campes in Hamburg gehört?“

„Nun, er, Hoffmann, wie ich mutmaße, musste jetzt sein schwarzes Beetle Cabrio verkaufen, weil…“

„Quatsch mit Soße, der Chef heißt Jung“, kam es jetzt von einem, der mir nicht mehr ganz frisch zu sein schien. „Lassen Sie mich mal ran: Ja, ich habe davon gehört, aber mit einem gewissen Neid: Wenn Sie mir einen Sponsor verschafften mit 600.000 Euro, würde ich nicht nein sagen; wenn der Sponsor aber auf den Namen Putin lauten sollte, würde ich nein sagen, denn Putin ist ja, wie ich mich Halloween in Moskau überzeugen durfte, tot!“

„Ihr Name ist also Gantenbein, nicht wahr?“

„Kein Kommentar!“

„Dann will ich Ihnen mal folgendes verklickern“, kam es, überraschend burschikos, von einer mir bisher noch gar nicht aufgefallenen hübschen Person, „die seriösen Medien sagen in ihrer Mehrheit ‚Nein!‘ zu derlei Verschwörungsmythen: Putin ist tot wird doch nur erzählt, um zu sehen, wie viele Russen ihm eine Träne nachweinen würden!“

„Hallo, Frau Dr. M., auch Sie bei diesem Komitee!“, kam es jetzt jubelnd aus der Mitte, von einem Gast, der offenbar dachte, er wohne der Feier zu Loriots 100. Geburtstag bei.

Gantenbein: „Die seriösen Medien sagten in ihrer großen Mehrheit auch ja zu dem Putin-Biographen Seipel, überhäuften ihn gar mit Preisen aller Art. Wie weiland Relotius, nicht wahr? Günther Jauch, Namensgeber unseres Preises und friendly einem jeden gegenüber, den er mag, jonglierte ihn in seiner Millionen-Show gar ganz nach oben. Von, wenn man so will, RTL hin zur ARD!“

„AfD? Was Sie nicht sagen! Wie, noch was?“

„Ja, denn immerhin gab es auch tolle Rezensionen…

„Ja, auf Amazon von neu-rechten Putinizern!“ Das letzte Zitat kam übrigens von einer dazu getretenen Dame aus der Hoffmann & Campe-Pressestelle.

Gantenbein, entsetzt: „Hat denn bei Ihnen im Verlag keiner dieses Buch lektoriert? Um das Melken der cash cow nicht zu stören, nicht wahr?“

Stillschweigen von – wie ich jetzt mal aufs Blaue hinein vermuten will, aber natürlich nicht garantieren kann – Lisa Bruhn über Laura Fritz bis herunter zu Ricarda Rowold. Ich beschloss, sie sowie die Adresse email@hoca.de bei nächstbester Gelegenheit mit sechs meiner hagali-„Spott-Lights“ sowie ca. 2.000 Seiten AfD-bezüglicher Texte zu versorgen, verbunden mit der Empfehlung, „meine Anfrage und meine Person in Ihrem eigenen Interesse ernster zu nehmen“; außerdem bot ich Ihnen „einen ersten Einblick in mein für Montag auf hagalil.com zu erwartendes Endprodukt“[13] an.

Statt einer Antwort wähnte ich, leises verzweifeltes Stöhnen wie aus einem von Indianern umzingelten Planwagen vernehmen zu können – wofür ich mich allerdings nicht verbürgen will angesichts meines PC, der ein Eigenleben nach Art eines Alt-68er zu führen scheint, meine Texte also gelegentlich mit recht ungehörigen Geräuschen überlagernd.

In diesem Moment betrat der Sekretär des PEN-NER e. V., eine Gegengründung Exkludierter zum PEN Berlin e.V., die Bühne und erklärte, es sei Zeit für den Festvortrag von Professor Pacific aus den Staaten. Den Referenten brauche er ja wohl nicht vorzustellen – das besorge dieser im Übrigen gleich selbst. In diesem Moment ging das Licht aus und gleich wieder an – ein Zeichen für die Gäste, so rasch als möglich, ob mit oder ohne Sekt, die Plätze aufzusuchen. Schließlich ging das Licht wieder aus und der zuletzt wie ein Bienenkorb summende Saal verstummte wie auf einen Schlag. Richtig, es ging los. Hier also mein Bericht, Teil 2, für den ich die eben schon genannte Einschränkung gelten machen muss: Was das Gedächtnis nich hergab, musste die Fantasie ersetzen.

*

Magnifizenz, Mediziner von Haus aus und im vollen Wichs mit goldener Amtskette der Universität N.N., von jeder bekannt für seine Nietzscheforscher, so dass selbst Nietzsche dereinst in Basel erwog, einem Ruf von dort sich nicht zu verweigern, erhob sich, schritt ans blumengeschmückte Podium, begrüßte umständlich den Gast, den Herrn Staatssekretär sowie einige von ihm ausgewählte Dekane und trug dann ein kurzes Grußwort vor. Nichts Aufregendes. Mit dem inzwischen deutschlandweit üblichen „Ich wünsche Ihrer Veranstaltung einen guten Erfolg“ machte er sich aus dem Staub, mit selbigem seinen Abschlusshinweis umnebelnd, das berufene Gastland für ‚jüdischstämmige“ Ukraineflüchtlige sei Israel.

Immerhin hatte die gleich nachfolgende Selbst-Vorstellung des Gastes Stil und Niveau, Kunststück: Professor Pacific war groß, muskulös, braungebrannt, einen Hauch Freiheit und Abenteuer um sich verbreitend wie in den schlechten alten Zeiten der Marlboro-Man, so dass einige Ladys aus dem Doktorandinnenblock  beinahe vom Stuhl fielen vor Hingabe, wie sonst nur bei Christian Benne (DK) vorstellbar. So meinte Ekaterina X., wie mir später zugesteckt wurde, zu ihrer Freundin Natascha Y. leise flüsternd und sicherheitshalber auf Russisch, endlich wisse sie, was Nietzsche mit dem Übermenschen gemeint habe. Mein Erstaunen war weit größer, als sich Professor Pacific als weltweit führender Repräsentant des biographieorientierten Ansatzes in der Nietzscheforschung auswies, seit 2023 in Deutschland unter dem Titel New School bekannt. In Deutschland werde dieser Ansatz, wie bekannt, allenfalls noch von Außenseitern verfolgt, die auf diese Weise offenbar den Schwierigkeiten der Texte ausweichen wollten.

Im Saal erhob sich ein zustimmendes Murmeln insbesondere im Doktorandinnenblock. Umso überraschter gab man sich hier über des Tagungsleiters mutige Pointe:

„Dear Professor Pacific, bitte zeigen Sie uns, dass wir im Irrtum sind!“

Ich schaute den Tagungsleiter neugierig an, entdeckte mich – und nickte erneut weg, bekam also nicht mit, wie der Professor noch verkabelt werden musste, was etwas aufwändig geriet, da der frei gehaltene Vortrag synchron übersetzt werden sollte – an sich keine Sache heutzutage, gab es doch Übersetzungs- und Verschriftlichungs-KI. Per Head-set konnte, wer wollte oder musste, dem übersetzten Vortrag in allen Sprachen der Welt folgen. Außerdem wurde der übersetzte deutsche Text synchron auf einen der beiden hinter dem Redner an der Wand hängenden überdimensionierten Bildschirme gestochen scharf angezeigt. Der rechte, gleich große Bildschirm war für eine Art Diashow gedacht, mal des Professors Heimatuni zeigend, mal eine der im Vortrag angesprochenen Personen. Außerdem wurden auf ihm besonders wichtige Zitate Nietzsches eingeblendet und gegebenenfalls auch synchron übersetzte Fragen aus dem Publikum.

Imposant, zweifellos. Ebenso wie der nun beginnende Vortrag: „Sehr verehrte Publikümmer, welcome to the show!“ – so begann Professor Pacific mit wohlklingender, leicht sonorer Stimme in broken German, dabei offenbar angetrieben vom bei internationalen Kongressen so beliebten ice breaking. Und genau so ging es weiter mit diesem merkwürdigen Professor aus den Staaten. Der seiner Abkunft wegen das Deutsche quasi mit der Opamilch aufgesogen hatte. Also sich schlicht amerikanischer stellte als er war. Und der entsprechend, mit großer, lässiger Geste, komplett ignorieren konnte, dass Magnifizenz längst gegangen war. Mehr als dies: Dessen durchaus beleidigende Begrüßungsworte quittierte Professor Pacific mit dem fast ironiefrei vorgetragenen Satz, sie hätte ihm ein Bildungserlebnis neuer Art verschafft in Sachen der Frage, was denn nun als „deutsch“ und was als „undeutsch“ zu gelten habe.

Ehe noch jemand über das Beleidigende dieses Zusatzes nachdenken konnte, kam übergangslos, mit einem legendären Nietzsche-Zitat:

Verwechselt mich vor Allem nicht!

Kaum jemand lachte.

„Ich bin Nils Pacific aus Chicago (USA). Sorry folks, ihr müsst tapfer bleiben: Nietzsche ist tot – aber Nils lebt!“

Diesmal war die Reaktion positiv, zumal folgte:

 „Liebe viele Publikümmer, toll, dass ihr so schnell euch auf die Matte gemacht habt! Ich liebe euch doch alle! So sind wir Amerikaner, jedenfalls jene neben und nach Trump, diesem – how do you call someone like him? – Trampel!“

Nun tobte der beinahe der ganze Saal, der Russinnenblock war hin und weg, und selbst von den Burschenschaftlern stand einer auf und zog verschämt eine ganz kleine Fahne mit ‚Stars and Stripes‘ aus seinem Wams. Professor Pacific regierte sofort:

„Hey Russia, ihr PEN-NER aus Greifswald, stimmt’s? Schon vergessen? Wir sind hier, um über euer 600.000-Euro-Baby Hubert Seipel zu richten!“

Das Licht ging kurz aus und gleich wieder an, und dann folgte Schlag auf Schlag, unter der Headline Causa Seipel: Vorgeschichte, im exzellenten Deutsch ohne jedes Mätzchen:  „Mittenmang dabei: Die AfD, etwa in Gestalt von Markus Frohnmaier, Sprecher von Alice Weidel mit pro-russischem Zuschnitt und Zustimmung zur Annexion der Krim. 2014 gründete er, inzwischen MdB, die Jugendorganisation der AfD („Junge Alternative“) und trug dort den Spitznamen „Frontmaier“, wohl wegen Sätzen wie (aus einer Rede vom 28. Oktober 2015 in Erfurt):

Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk […] gemacht.

Russlandfreunden wie diesem stramm zur Seite stehend: Michael Klonovsky. Der am 30. Juni 2018, also pünktlich zu Beginn seines neuen Jobs bei Alexander Gauland und als käme er direkt aus Moskau, sein „Pionierehrenwort“ dafür einlegte, dass die Russen andere Gebiete „nicht mehr annektieren wollen“, aber sich die Krim ‚aus geostrategischen Gründen nicht wegnehmen lassen [konnten], schon gar nicht von einem Land, das mit der NATO liebäugelt.‘ (Klonovsky 2019: 312) Ein Präventivkrieg also, wenn man so will – was weitergedacht und den Denkfehler Klonovskys sichtbar gemacht, eigentlich auf einen veritablen und in Moskau gar nicht gern gehörten Putin/Hitler-Vergleich hinausläuft. Und, aus gegenteiliger Perspektive bedacht, den Kampf gegen rechts weltweit beinahe schon aufwertet zu einem von überlebenssichernden Rang. Was uns wiederum eine gewisse Unduldsamkeit abverlangt gegenüber ebenso gebildeten wie sprachbegabten Demagogen wie Klonovsky, den auf die Couch zu legen sich einiges in mir sträubt, selbst wenn uns die Vokabel ‚polnischer Selbsthass‘ hier, wie noch zu zeigen sein wird (s. Essay Nr. 11), eine gewisse Orientierung verleiht.“

Das Publikum lauschte jetzt gebannt, ich hingegen irritiert: Das war doch – der Einschub mit dem Essay Nr. 11 verriet es, – mein Text[14], den der Ami da vorlas! Wie zur Antwort senkte sich sein stahlblauer Blick direkt in meine Augen:

Mein lieber Kollege, jetzt sind Sie platt, machen Ihre Eigentumsrechte auf den vor mir eben vorgetragenen Satz geltend, verlangen nach so etwas Ähnlichem wie 600.000 Euro Sponsoring, nicht wahr? Lautet Ihr wahrer Namen also auf Hubert Seipel, nicht, wie Sie es wohl lieber hätten, auf Christian Niemeyer? Ich soll Sie übrigens schön grüßen von Professor Sander Gilman!

Erleichterung, Jubel wie bei „Verstehen Sie Spaß?“ – was immer Sie wollen –, senkte sich wie Balsam auf mein leicht gereiztes Gemüt, und auch das Publikum erkannte allmählich, was hier gespielt wurde und das Hubert Seipel der Preis als „Wer-wird-Blamagen-Millionär 2023“ nicht mehr zu nehmen und ich vollständig rehabilitiert war.

Den Rest der Show ließ ich, beglückt vor mich hin grinsend, wie in Trance an mir vorüberziehen: eine Art Verfilmung der von Professor Pacific geleiteten studentischen Theatergruppe seiner Universität, die den Höhepunkts meiner am 9. November auf hagalil.com eingestellten Gantenbein-Story einstudiert hatte ab: „Die Show begann pünktlich mit allerlei Lärm und kreischenden Kindern, wie bei den ‚Ehrlich Brothers‘ gängig. Nur dass hier, im von Gerüchten ob Putins Tod durchzogenen Moskau, eben dieses Thema auch die Show prägte. Ein Indiz war, dass auf einmal Prigoschin auftauchte – markiert mit einem auf ihn hinweisenden grünen Namenspfeil –, seine blutunterlaufenen Kopf unter dem Arm tragend, sich ihn problemlos aufsetzend, um lachend hinter dem Vorhang zu verschwinden. Tausendmal gesehen auf RTL, hier aber, in Moskau, ungläubig bestaunt und nicht ohne Wirkung, auf die Einsicht abstellend: ‚Alles nicht so schlimm unter und wegen Putin, wie von den westlichen Fake Medien behauptet!‘

Das Leitmotiv war damit gesetzt: Nacheinander traten nun, jeweils mit grünen Leuchtpfeilen und darauf abgesetzten Informationen markiert, die von Putin oder seinen Agenten Hingemetzelten auf inklusive ihrer Killer, unter Letzteren allererst Konstantin Kudrjawzew (Kopf unterm Arm!), der Nawalny auf den Leim ging und sich wg. seiner Mitwirkung am Giftanschlag auf diesen am Telefon verplappert hatte. Danach Vadim Krasikov (Kopf unterm Arm!), den „Tiergarten-Mörder“ – an Zelimkhan Khangoshvili (Kopf unterm Arm!), der so blöd gewesen war, sich mit verräterischem Tattoo fotografieren zu lassen, das auch Vadim Sokolov eignet (der er eigentlich sein will). Nicht vergessen wurden auch die weiteren Opfer Putins, etwa, alle mit Kopf unterm Arm, Khangoshvilis Kollegen Paul Klebnikow, Alexander Litwinenko, Sergej Magnitski oder Anna Politkowskaja. Hinzugerechnet Timur Kuashev sowie Ruslan Magomedragimow, um nur die zu nennen, die der mutmaßliche Nawalny-Attentäter Kudrjawzew gleichfalls auf dem Gewissen zu haben scheint.[15] Alle setzen dann ihre Köpfe auf und tanzten nach Zarenart einen Kasatschok zur Musik von Wonderland („Moskau“; längst vergessen), erneut dem nun eingeblendeten, wohl dem deutschen Gast zuliebe auf Deutsch dargebotenen Motto folgend: ‚Alles nicht so schlimm unter und wegen Putin, wie von den westlichen Fake Medien behauptet!‘

Daraufhin explodierte ein überdimensionierter Luftballon und gebar die wiederum auf Deutsch gehaltene Überschrift ‚Das war’s – das kommt!‘ Dazu wurde eine Tiefkühltruhe hereingerollt, der ein deutlich verjüngter Putin entstieg, an der Hand eines Arztes tänzelnd, der die Zarathustra-Worte ‚Wir haben das Glück erfunden!‘ zitierte. Mir schwante, das Geheimnis von Putins Verjüngungskur sei meinem komplementär, er wie ich trügen also analog funktionierende Masken, nur dass die meine mich älter machte, so alt wie diesen Professor Niemeyer, wohin Putins ihn jünger machte – ihn oder seinen Doppelgänger, wie mir schwante, denn das Putin noch lebte, war nun unwahrscheinlicher denn je. Nun, wo auf der Bühne einer neueröffneten Zauberschule in Moskau die schlimmsten seiner politisch motivierten Morde zur Aufführung gebracht und also als solche anerkannt wurden.

Suchend blickt ich mich nach Katerina um und erkannte an ihrem dämonischen Grinsen, das ich die Rechnung wohl ohne diese Wirtin gemacht hatte. Ich schaute genau hin – und entdeckte, dass sie keinerlei Maske trug und gleichwohl deutlich verjüngt wirkte, wie eine Endzwanzigerin. Da stieg in mir eine bange Frage auf: War russischen Wissenschaftlern etwa in der Zeit ihrer internationalen Isolation seit Februar 2022 der von Nietzsches Lieblingsschriftsteller und allerletzter Maske, Eugène Fromentin in seinem ersten und einzigen Roman Dominique (1863)[16] beschriebene Dreh an der Uhr gelungen, in diesem Fall zwölf Jahre zurück, so dass Putin eine zweite Chance erhielt und noch einmal ganz neu ansetzen konnte, 2011? In düsterer Ahnung strebte ich dem Fenster zu und entdeckte auf den Straßen Moskaus erstaunlich viele Oldtimer.“[17]

Wenn ich jetzt noch hinzusetze, der Clou von Nils Pacifics Theaterszenen-Verfilmung bestünde darin, dass der tänzelnde Arzt, der die Zarathustra-Worte ‚Wir haben das Glück erfunden!‘ zitierte, eine Hubert-Seipel-Maske trug, wird wohl, zur Erleichterung von Lisa Bluhm, Laura Fritz sowie Ricarda Rowold vom Verlag Hoffmann & Campe,  kein Durchgang durch Seipels von Putin subventionierte Putin-Werke erforderlich sein, um für plausibel zu halten, dass ihm der „Wer-wird-Blamagen-Millionär-Preis 2023“ nicht mehr zu nehmen war.

Okay, wer noch zweifelt, kann sich gerne abarbeiten an den zahllosen von Seipel hinterlassenen Videospuren in Sachen seiner Lesart von Putins Biographie. Wem dabei nicht die Scham überkommt, die ihm die Lektüre des Nawalny-Kapitels Der russische Patient in Seipels Putins Macht (2022) noch ersparte – das Tim Jung, wenn ich sein Anwalt wäre, unbedingt abstreiten müsste gelesen zu haben –, dem ist nicht mehr zu helfen.

Analoges gilt wegen der Dummheit und Gläubigkeit deutscher Journalisten – allen voran Tims Namensvetter Tilo Jung (*1985), vormals Nordkurier, nachmals und wohl letztmals Eigner der Interviewagentur Jung & Naiv, – ob der Geschwätzigkeit dieses gänzlich skrupellosen, hochbezahlten willigen Helfer Putins vom Typ Dead Man’s Walker. Allen anderen erzähle ich gerne, dass die Jury sich auf etwas ganz Besonderes einigte in Sachen des Geschenks an den ersten Preisträger, bestens geeignet zur Lektüre im Gefängnis zwecks Abbüßung der Strafe wg. Steuerhinterziehung, aber auch zwecks Qualifizierung der bisher genannten HoCa-Mitarbeiterinnen: Die Gesammelten Werke von Professor Pacific alias Niemeyer!

„Halt, Herr Professor, so leicht kommen Sie nicht davon: Sie haben bisher nicht ein substantielles Wort gesagt zum zweiten Buch des Delinquenten; einfach nur den Titel eines Ihnen offenbar nicht passenden Kapitels zu erwähnen, reicht nicht!“

Im abziehenden Schwefel meinte ich die beim Sektempfang  dazu getretene Dame aus der Hoffmann & Campe-Pressestelle erkennen zu können, war mir aber nicht sicher und blieb also höflich:

„Oh, da muss dann wohl Ihrerseits ein leicht aufzuklärendes Missverständnis vorliegen: Beinahe alles im Vorhergehenden zu Putin und seinen dunklen Seiten Gesagte sowie im Geschenk des ersten Preisträgers Verzeichnete hätte auch in Seipels Buch Putins Macht (2022) nachlesbar sein müssen – tut es aber nicht. Deswegen…“

„… hat er die 600.000 Euro bekommen, Sie aber nicht?!“

„Nein, ich wollte sagen: Deswegen kommt seinem Buch, wissenschaftlich betrachtet, keinerlei Rang zu!“

„Wie, Moment, nur, damit ich das richtig verstehe: Hätte Seipel Ihre Arbeiten gewissenhaft gelesen und ausgewertet, wäre ihm dieses Desaster nicht widerfahren? Finden Sie dies nicht ziemlich vermessen für einen, den so gut wie niemand kennt geschweige denn rezensiert und dessen Bücher ohne jede Resonanz bleiben? Und im Übrigen: Finden Sie das Ganze nicht ganz untypisch für einen Ossi – Sie kommen, besser wohl: kamen doch von der TU Dresden, nicht wahr? –, denen man doch immer so viel Bescheidenheit und Selbstverleugnung nachsagt?“

„Sowie, Werteste: Ossis, denen man mitunter zu Unrecht nachsagt, Ossi zu sein? Aber verlassen wir dieses von Ihnen aufgebaute sowie betretene schmale Brett und halten wir nur eines fest: So wie Sie, wie ich jetzt vermute, bei Hoffmann & Campe für ein Buch stritten, das Sie gar nicht richtig gelesen hatten, aber der über den Autor verbreiteten Mär wegen als triftig meinten einordnen zu können, streiten Sie nun gegen Bücher von mit, die Sie gar nicht gelesen haben. Denken Sie nicht, es machte weit mehr Sinn, einen neuen Termin zu vereinbaren, zu welchem Sie wissen, was es zu lesen lohnt sowie, zur Not eben auch dies, was es in die Tonne zu treten gilt?“

In diesem Moment – ich schwöre bei meinem mir heiligen PC – hörte ich ein Geräusch, wie es nur ein abziehender Planwagen zu Wege bringt. Und flugs hatten wir uns für abends verabredet zwecks Verfassen einer Resolution, die allen Feuilletonchefs weltweit auferlegt, Rezensionen nur auf dem Weg der wissenschaftlich kontrollierten Ausschreibung zu vergeben, von mir Lex-Iljoma-Mangold genannt, in Anspielung auf eine Rezensionspointe dieses Zeit-Redakteurs („Dieses Buch sprüht förmlich vor Geist und Witz“) zu einem Buch von Klett-Cotta, welches…; nun, so erklärte ich meiner neu gewonnenen Mit-Streiterin am Abend (so dass hier jetzt eigentlich stehen müsste: werde ich ihr heute Abend erklären): „Lesen Sie doch selbst.“[18]

*

Liebe Freunde, lesen Sie doch selbst, geben Sie dem von Wikipedia hochgehaltenen Prinzip Avanti Dilettanti! ein leises „Servus!“ mit auf dem Weg, denn Buchrezension ist ein zu ernsthaftes Gewerbe, um damit andere zu betrauen als den oder die Expert*in. Und Buchherstellung ist ein zu wichtiges Geschäft, als dass es sich, beispielsweise, ein Verlag aus Hamburg leisten könnte, seine Autoren im gegebenen Fall auf die Lektüre themennaher Bücher, etwa eines Verlages aus Weinheim, nicht zu verweisen. Wäre dies der Fall gewesen, ein funktionierendes Lektorat vorausgesetzt, hätte man Seipel früh zusetzen können mit Fragen wie: Warum erwähnen Sie eigentlich nicht in Ihrem Buch von 2022, wie ihr Kollege Niemeyer 2021, die Namen Kudrjawzew, Krasikov, Khangoshvili, Sokolov, Litwinenko, Magnitski, Politkowskaja, Kuashev und Magomedragimow? Oder: Wie können Sie es wagen, im Kapitel Lichtgestalt mit Schattenseiten ihres Buches Putins Macht Sätze zu deponieren wie:

Alexej Nawalny erreicht im Koma, was er bislang als aktiver Oppositionspolitiker nicht erreicht hat.

Nun aber, werter Herr Seipel, zum Abschluss dieser, wie ich gerne einzuräumen bereit bin, Hinrichtung ihre Buches, muss ich Ihnen und Ihrem merkwürdigen Verlag doch einmal etwas auf die Pelle rücken mittels meiner Abschlussfrage: Woher nahmen Sie und sie den Mut anzunehmen, niemand würde Ihnen einen Strick drehen – jetzt, im Moment, ist es soweit – aus Ihrem Schweigen zur folgenden Darstellung des Nawalny-Problems aus dem Jahr 2021, ich zitiere:  

Trösten wir uns also damit, dass es Nawalny in KW 3/2021 seiner Moskaureise wegen zum mutigsten Mann aller Zeiten brachte. Leider aber auch, am 3. Februar 2021 zum eingesperrtesten aller Zeiten. Der in jener Woche, in der Biden über Putins fehlende Seele klagte, verlauten ließ, es gehe ihm gut in Strafkolonie Nr. 2 in der Kleinstadt Pokrow in der Region Wladimir nordöstlich von Moskau – gut jedenfalls nach den Maßstäben des Dystopischen, denn, so Nawalny per Instagram-Post: ‚Ich glaube, jemand hat (George) Orwells ‚1984‘ gelesen und gesagt: ‚Ja, cool. Lasst uns das machen. Erziehung durch Entmenschlichung.‘[19] ‚Uns‘ meint hier: Putin. Dessen Agenten zu dumm gewesen waren, Nawalny umzubringen; und er selbst so dumm, dass er seinem Gegenspieler die Chance gab, Putins Leute öffentlich und voller Hohn zu fragen, ob noch nicht einmal sie ihren Chef zuhörten, insofern er ja laut Kunde davon gegeben habe, wo sein Gegenspieler war, als er der Bewährungsauflagen wegen in Moskau vermisst wurde: in Berlin natürlich, als ‚Berliner Patient, deutlicher: als Patient von Putins Ungnaden. Zusammenfassend gesprochen: Nie wohl bisher in diesem Jahrtausend ist ein derartiges Schmierenstück auf der Bühne der Weltöffentlichkeit aufgeführt worden, mit dem Höhepunkt der Watschen für einen EU-Bittsteller durch den russischen Außenminister Sergej Lawrow, dem merklich am A…. vorbeiging, dass der Europäische Gerichtshof Nawalny schon 2017 Haftentschädigung zugesprochen hatte wg. eines Unrechtsurteils, dessen Exekution man nun in aller Seelenruhe vollzog, ungestört von der Kanzlerin.[20]

Okay, werter Herr Seipel und um die Sache jetzt, kurz bevor alle in Tränen ausbrechen, zum Abschluss zu bringen: 600.000 Euro sind fraglos ein gutes Ruhekissen, so Sie und Ihr Verlag nicht wegen (Beihilfe) zum Betrug vom Staatsanwalt hören sollten, wie mir soeben ein KI-Mitarbeiter als Option signalisierte.[21] Aber ob so oder ohne: Ich kann – dies ist mein Schlusswort –, wenn ich Ihre von Putin gesponserte Darstellung zum Fall Nawalny von 2022 mit jener von 2021 vergleiche, gar nicht genug K…, um meiner Verachtung für Sie und unweigerlich auch für Ihren Verlag Ausdruck zu geben, sorry, ich wollte sagen: gleiche in meinem Agieren einem Pferd, das ich neulich vor der Apotheke sah, ähnlich wohl jenem Nietzsches in Turin, noch mal sorry: Sie merken, liebe Leserin, lieber Leser, dass ich mit meinen Nerven komplett runter bin und mir nur eines noch aufhülfe: die Nachricht aus dem Hause Hoffmann & Campe, man fordere, aus Respekt vor Heinrich Heine, die an Seipel gezahlten Honorare zurück und spende sie, zusammen mit den durch Seipel erzielten Gewinnen, der Ukrainehilfe.

Vielleicht wirkt dieses Beispiel sich ja auch strafmildernd aus sowie erzieherisch ansteckend, etwa bei den eingangs erwähnten sieben Hanseln vom Spiegel dahingehend, sich in Zukunft als des 100. Geburtstags von Rudolf Augsteins würdig zu erweisen; ganz abgesehen von unserem Delinquenten aus dem unterfränkischen Wasserlos, seine Putin-Millionen gerecht zu verteilen unter seinen sonstigen Kollegen von der 5. Kolonne Moskaus, darunter den anderen Hubert aus dem niederbayerischen Ergoldsbach[22] sowie weitere Wahlhelfer der AfD, darunter den reichsten, aber leider auch verrücktesten Mann der Welt (nach Trump), nämlich den militant antisemitischen Raketenwissenschaftler Elon Musk[23], mithilfe von dessen im Rahmen eines Entmündigungsverfahrens requirierten Milliarden man zusätzlich auch die Israel- sowie selbst die nach dem Israelkrieg neu zu gründende Contra-Hamas-Gaza-Hilfe bedenken könnte. Und was die aus dem „Sondervermögen Seipel“ finanzierten AfD-Mittel angeht, könnte man diese, zentral deponiert, etwa beim Putin- sowie Carl-Schmitt-Freund und damit USA-Gegner Björn Höcke im thüringischen Bornhagen[24], bei nächstbester Gelegenheit, einem Verbotsverfahren etwa, durch Thomas Haldenzwang einem sinnvollen Zweck zuführen lassen – etwa der Ukrainehilfe.

Vielleicht fände Friedhelm Merz ja dann für diese Knete sogar, und sei es aus Imagegründen, einen versöhnlichen Verwendungszweck zum Weihnachtsfest, etwa: „Neue Zähne für alle aus Kiew und Umgebung!“, zur Not mit dem ihn entlastenden Vermerk: „Gebrüder-Klitschko-Opferhilfe“…

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin/TU Dresden

[1] www. hagalil.com/2023/11/putin-no-2-kommt-aus-der-tiefkuehltruhe/
[2] www.hagalil.com/2022/10/spott-light/
[3] www. hagalil.com/2022/12/spott-light-oh-zeit/
[4] www.hagalil.com/2022/10/spott-light-hoecke/
[5] Amazon.de:Kundenrezensionen: Putin: Innenansichten der Macht
[6] https://www.hagalil.com/2023/10/wahlempfehlung/
[7] Vgl. Hubert Seipel: Putin: Innenansichten der Macht, Hamburg 2015, S. 103 f.
[8] Wie Anm. 7, S. 32.
[9] www.amazon.de/product-reviews/3455013147/ref (abgerufen am 18.11.2023, 08:05)
[10] Skandal um preisgekrönten ARD-Journalisten (jungefreiheit.de)
[11] https://sezession.de/68309/hinter-den-linien-tagebuch-14-november
[12] https://www.hagalil.com/2023/05/spott-light-bjoern-hoecke/
[13] Mail vom 17.11.2023 08:54.
[14] Schwarzbuch Neue/ Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz), Mit Online-Materialien, Beltz/Juventa: Weinheim Basel 2021, S 128 f. Nachweise weiterer Zitate dort.
[15] Die Angaben zu diesen Personen entnahm ich meinem unter Anm. 13 genannten Schwarzbuch von 2021 (S. 90 f.), das wiederum im hier in Rede stehenden Abschnitt Bezug nimmt auf Craig Unger (2018) sowie eine Reihe kritischer Journalisten (Einzelheiten und Literaturnachweise dort).
[16] Vgl. mein Buch Nietzsches Also sprach Zarathustra – ein Werkkommentar der New School. Alles, was man von dieser genialen Dichtung wissen muss, um ob ihrer Komplexität nicht zu verzweifeln. Verlag Karl Alber: Baden-Baden (i.E.).
[17] Wie Anm. 1.
[18] Wie Anm. 3.
[19] https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_8966202/kreml-kritiker-nawalny-meldet-sich-aus-raussischem-straflager.de, 17.03.2021, 00:35.
[20] Wie Anm. 10; Prolog 10: Ist Irrsinn eigentlich ungerecht und befällt, im Sog der Dummheit, bevorzugt Rechte?, S. 91.
[21] Als Folge kündigte ich Patrick Schwarzkopf wg. seiner Lieferung (für 79,99 Euro) des in Anm. 7 genannten Titels von Hubert Seipel eine Anzeige wg. (Beihilfe zum) Betrug an.
[22] www.hagalil.com/2023/08/die-afd-und-ihr-think-tank-10/
[23] www.hagalil.com/2023/10/wahlempfehlung/
[24] www.hagalil.com/2023/05/spott-light-bjoern-hoecke/