Hamas entmachten

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Die Nachricht von dem Überfall der Hamas auf Israel, die ich am Morgen des 7. Oktober 2023 in den Rundfunk-Nachrichten hörte, versetzte mich, wie vermutlich die Juden weltweit, in eine Schockstarre. Kaum jemand hat es für möglich gehalten, dass Israel, umgeben von Mauern und Zäunen, geschützt von einer der stärksten und modernsten Armeen der Welt, jemals so hilflos antisemitischen Mördern ausgeliefert sein würde. Und dann steigerten die immer schlimmeren Nachrichten aus Israel das Entsetzen.

Von Gabriel Berger

Die Berichte über das Massaker der Hamas-Terroristen an ausgelassen feiernden Jugendlichen, über die Vergewaltigungen junger Frauen, über die Überfälle auf die an Gaza angrenzenden Kibbuzim und die kaltblütige Ermordung von Kindern, Frauen, alten Menschen, ganzer Familien, zum Teil in archaischen, blutrünstigen Ritualen, über die Verschleppung von wehrlosen Geiseln nach Gaza waren und sind unerträglich. Es war mehr als ein Terroranschlag, den die islamistische Organisation Hamas verübte, es war, nach 80 Jahren, die zweite Schoah, verübt von „menschlichen Tieren“, wie sie der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bezeichnet hat.

Doch in das Entsetzen und die Trauer über den Massenmord mit über tausend, von Tag zu Tag mehr, zivilen Opfern, deren einzige Schuld, wie in der Nazizeit, darin bestand, Juden oder in Israel verweilende Sympathisanten Israels zu sein, mischten sich verstörende Nachrichten über weltweite ausgelassene Feiern von Muslimen, auch in westlichen Staaten, die den Massenmord an Juden als einen Sieg bejubelten. Die Judenfeinde sind auch unter uns, erfuhren wir aus den Medien, in Berlin, Hamburg und in vielen anderen Städten Deutschlands, wo sie lachend, Palästina-Flaggen-schwenkend, Bonbons verteilend erschreckend zahlreich den „Sieg über die Zionisten“ feierten. Sie sind lautstark, selbstsicher, haben keine Angst vor der Polizei und vor dem Staat, der selbst kriminelle Ausländer nicht aus dem Land ausweist und Antisemiten, wenn überhaupt, nur mit einer Geldbuße bestraft. Sie haben keine Angst, aber viele Nichtmuslime haben Angst vor ihnen, besonders die Juden. Gibt es noch einen Platz auf der Erde, wo die Juden sicher leben können?

Israel muss wieder, wie es die Zionisten der ersten Stunde einst geplant hatten, der sicherste Platz für die Juden der Welt werden. Es mag sein, dass, wie die Kritiker Israels sagen, die prekäre Lage und Wut der Palästinenser, die sich um ihre Heimat betrogen fühlen, zum Teil durch die egoistische und nicht gerade vorausschauende Politik Israels verursacht ist. Wer das sagt muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es seit dem Abkommen von Oslo im Jahr 1995 mehrere vielversprechende Absprachen zwischen Israel und den Führern der Palästinenser über die Schaffung eines Palästina-Staates gegeben hat. Jedoch wurde jede hoffungsvolle Entwicklung in der Palästina-Frage durch eine von den Palästinensern in Gang gesetzte Intifada oder andere Gewaltaktionen im Keim erstickt. Nach dem Oslo Abkommen 1997 durch die erste Intifada, im Jahr 2000 nach erfolgreichen Verhandlungen in Camp David durch die zweite Intifada. Immer wenn im israelisch-arabischen Konflikt „der Frieden drohte“, wurde er durch eine Gewaltaktion der Palästinenser verhindert, so auch derzeit, anlässlich der Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien. Dahinter verbirgt sich ein eindeutiges Schema: Die palästinensischen Führer, die seit Jahrzehnten behaupten, eine Zweistaatenlösung anzustreben, sind in Wirklichkeit an ihr nicht interessiert. Ihr Ziel ist vielmehr die Zerstörung des jüdischen Staates Israel und die Vertreibung aller Juden aus der Region. Deshalb haben sie jeden realistischen Ansatz zur Lösung des Konfliktes sabotiert, um keine vollendeten, international anerkannten Tatsachen zu schaffen, die ihrem Ziel der Beseitigung Israels zuwiderlaufen würden.

Die 1968 angenommene Nationalcharta der PLO formuliert den Anspruch der arabischen Palästinenser auf das ganze einstmals von Großbritannien besetzte Territorium des Mandats Palästina einschließlich Jordaniens und spricht den Juden und dem Staat Israel jeglichen politischen und historischen Anspruch auf das Territorium ab. Im Oslo-Friedensprozess (1988–1998) erkannte die PLO verbal das Existenzrecht Israels an, versprach mehrfach die Streichung der israel- und judenfeindlichen Passagen aus ihrer Charta und beschloss diese Änderung 1998 mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit des Nationalrats. Es sind allerdings Zweifel an der Ehrlichkeit dieser Beteuerungen der Vertreter der PLO angebracht.

So hat Faruq al-Qadumi, Außenminister der PLO und Generalsekretär der Fatah nach dem Tod Arafats, 2004 in einem Interview mit einer jordanischen Zeitung gesagt: „Die Palästinensische Nationalcharta wurde nicht berichtigt. […] Es wurde gesagt, dass einige Artikel nicht länger wirksam seien, aber sie wurden nicht geändert.“ Mit anderen Worten: Das Ziel der in der Westbank regierenden Fatah, Israel zu beseitigen, bleibt nach wie vor bestehen. Man kann zahlreiche Äußerungen von Vertretern der Fatah finden, die diese Haltung bestätigen. Konstruktive Gespräche der Palästinenser mit Israel über eine Zweistaatenlösung waren und sind folglich nicht zu erwarten, weil sie den wahren Zielen der Palästinenser-Vertreter widersprechen. Damit unterscheidet sich das Ziel der in Ramallah regierenden Fatah, Israel betreffend, nicht von dem der radikalislamischen Hamas. Für beide steht fest, dass Israel aus der Region verschwinden muss. Deshalb war auch von Seiten der Fatah keine Verurteilung des barbarischen Angriffs der Hamas auf Israel zu vernehmen. Der einzige Unterschied zwischen der Fatah und der Hamas besteht darin, dass die Hamas, im Gegensatz zu der als gemäßigt geltenden Fatah, eine radikalislamische Terrororganisation ist, mit dem Ziel in ganz Palästina und darüber hinaus, ähnlich dem IS, ein islamisches Kalifat zu errichten.

Man kann auch den israelischen Regierungen, besonders der von Netanjahu, vorwerfen, eine konstruktive Lösung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern hintertrieben zu haben, besonders durch die expandierenden Siedlungen im Westjordanland. Dabei sollte man allerdings folgendes bedenken: Als Sharon, israelischer Premierminister 2001 bis 2005, im Jahr 2005 Gaza vollständig und sogar mit militärischer Gewalt von jüdischen Siedlungen räumen ließ und das Gebiet der lokalen palästinensischen Selbstverwaltung überließ, war das gegenüber den Palästinensern ein einseitiger israelischer Akt des Entgegenkommens, der von israelischer Seite als ein Schritt in Richtung Frieden gesehen wurde. Dieser Schritt wurde international zum Teil mit Euphorie aufgenommen. Man erwartete, dass sich Gaza zum Experimentierort und Modell für einen unabhängigen palästinensischen Staat entwickeln würde. Manche Journalisten prognostizierten sogar, dass das unabhängige Gaza aufgrund der sehr günstigen Lage zum Singapur des Nahen Ostens werden würde. Doch nach sehr kurzer Zeit kam die Ernüchterung. Schon zwei Jahre später wurde in Gaza von der Bevölkerungsmehrheit die Hamas gewählt und so wurde Gaza zum islamistischen, militärischen Bollwerk gegen Israel ausgebaut. Kinder und Jugendliche von Gaza werden im Stil der Hitlerjugend zum Hass auf Israel und die Juden erzogen und für den Kampf gegen Israel trainiert.

Immer wieder wurde aus Gaza Israel mit zunächst selbst erstellten, später auch iranischen Raketen angegriffen. Israel sah sich gezwungen, auf die Attacken mit Bombenangriffen zu reagieren. Die von der Hamas provoziert Spirale der Gewalt wurde in Gang gesetzt, ohne Perspektive für ein Ende. Und da die Hamas Gaza, den kleinen Flecken Erde, mit beispiellosem Aufwand gegen Israel aufrüstete, blieben nur wenige Mittel für die Bevölkerung von Gaza übrig. Während die Hamas-Elite für sich prunkvolle Villen errichtete und im Luxus schwelgte, versank die Masse der Bevölkerung im Elend, das durch den aus Sicherheitsgründen verhängten israelischen Boykott, zumindest aus der Sicht der westlichen Öffentlichkeit, verschärft wurde. In Wirklichkeit sorgte Israel mit umfangreichen humanitären Lieferungen nach Gaza für ein Mindestniveau der Versorgung der Bevölkerung. Das von der Hamas organisierte Elend der Bevölkerung wurde aber international Israel angelastet, anstatt dessen wahren Verursacher zu nennen und zu ächten. Diese antiisraelische Haltung des erheblichen Teils westlicher Öffentlichkeit stärkte die Hamas, die sich trotz der Einstufung als Terror-Organisation umfangreicher Unterstützung seitens der westlichen „Friedensliebhaber“ erfreute und über erhebliche finanzielle Mittel, gespendet neben Iran von internationalen Organisationen und westlichen Staaten, verfügte, die sie in Waffen und Tunnel investierte.

Die Entwicklung in Gaza wurde für Israel zu einem Dauerproblem. Zugleich warf sie die Frage auf, ob sich Israel leisten kann, ähnlich wie Gaza auch die Westbank der Selbstverwaltung durch die Palästinenser zu überlassen. Denn die korrupte und ineffiziente Selbstverwaltung der Westbank durch die Fatah entfernte die palästinensische Bevölkerung immer mehr von ihrer Führung. Es war und ist zu befürchten, dass in Wahlen, die in der Westbank seit Jahren verhindert wurden, die Hamas den Sieg erringen würde. Über Israel schwebt folglich das Damokles-Schwert eines zweiten Gaza in der Westbank und damit eines Zweifrontenkrieges. In dieser Lage war von Israel kein Entgegenkommen den Palästinenser gegenüber zu erwarten. Mit der Expansion jüdischer Siedlungen in der Westbank ist gewissermaßen die Idee der Zweistaatenlösung sabotiert worden, was aber aus der Angst Israels vor einem radikalislamischen Palästina in Händen der Hamas durchaus verständlich ist. Eine verfahrene Situation, aus der die Annäherung Israels an die arabischen Staaten einen Ausweg zu bieten schien. Wenn Israel von arabischen Staaten anerkannt und damit als Teil des Nahen Ostens angesehen und respektiert wird, könnte es ein Schritt zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts sein. Das klang gut, wurde aber von den Führern der Palästinenser, sowohl der Hamas als auch der Fatah, keineswegs positiv gesehen. Denn sie befürchteten, durch diesen Prozess ins Abseits zu geraten und auch von den arabischen Staaten als ein Randproblem betrachtet zu werden. Und so mussten sie, wie immer wenn die Weltöffentlichkeit die Palästinenser zu vergessen drohte, derzeit bedingt durch den Ukraine-Krieg, in den Schlagzeiten nach vorn rücken. Und das gelang der Hamas mit Bravour, weshalb ihre Aktion von der Fatah nicht verurteilt werden kann.

Es wäre, auch für Israel, viel gewonnen, wenn die westlichen Politiker und Journalisten dieses Spiel durchschauen würden, vorausgesetzt, sie sind nicht heimlich antisemitisch eingestellt. Aktuell kann man nur hoffen, dass es der israelischen Armee möglichst bald gelingt, in Gaza die Hamas zu entmachten.

Bild oben: Isis Fahne, die die Hamas Kämpfer in einem Kibbutz hinterließen, Quelle: MFA