Ein schwarzer Tag für Israels Demokratie

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Monatelange intensive Proteste, Vermittlungsversuche des Staatspräsidenten, Appelle aus dem In- und Ausland, auch aus den eigenen Parteireihen. Nichts hat die gestrige Abstimmung beeinflussen können. Netanyahus Rechtsregierung hat den ersten Teil des Umbaus des Justizwesens beschlossen und die sog. Angemessenheitsklausel, ein wichtiger Kontrollfaktor im israelischen System, abgeschafft.

Der Gesetzentwurf wurde in seiner dritten und letzten Lesung mit 64 zu 0, die Opposition hatte die Abstimmung boykottiert, verabschiedet. Gerichte können damit in Zukunft Regierungsentscheidungen, aber auch personelle Ernennungen nicht mehr auf ihre „Angemessenheit“ überprüfen. Wie etwa eine mögliche Ernennung von Shas-Vorsitzendem Arie Deri als Minister. Deri hatte sich in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung verpflichtet, für eine gewisse Zeitspanne keine öffentlichen Ämter auszuüben. Trotzdem wurde er in Netanyahus Kabinett als Minister nominiert. Der Oberste Gerichtshof intervenierte, die Entscheidung zu Deris Ernennung wurde als „nicht angemessen“ zurückgewiesen. 

Die Abstimmung folgte nach einer 30-stündigen Plenumsdebatte. Währenddessen demonstrierten vor der Knesset, aber auch in Tel Aviv und vielen weiteren Orten Israels Hunderttausende. Zuvor waren Zehntausende zu einem dreitägigen Marsch von Tel Aviv nach Jerusalem aufgebrochen.

Bis zur letzten Minute scheint es auch in der Koalition Versuche gegeben zu haben, einen Kompromiss zu erwirken. Verteidigungsminister Yoav Gallant, der im März für Aufruhr gesorgt hatte, nachdem er dazu aufgerufen hatte, die Gesetzgebung zu unterbrechen und daraufhin zunächst von Netanyahu entlassen wurde, war mit Justizminister Yariv Levin in einem Streitgespräch zu sehen. „Gib mir irgendwas“, bat Gallant den Hardliner Levin. Offensichtlich vergeblich.

Gallant stimmt am Ende mit der Koalition, seine Sorge gilt vor allem den Folgen für die Armee. Nach dem Brief, in dem gut 1100 Reservisten der Luftwaffe ankündigten, ihren Reservedienst zu beenden, schlossen sich mittlerweile Tausende weitere Reservisten dieser Haltung an. Eine prekäre Situation für Israel.

Unmittelbar nach der Abstimmung feierte Levin das Gesetz als „den ersten Schritt in einem historischen Prozess zur Korrektur des Justizsystems“. Die Knesset geht nun in Sommerpause. Die Koalition wird im Herbst als nächstes den Gesetzentwurf einbringen, der eine Neugestaltung des Gremiums zur Richterwahl vorsieht.

Die Proteste gehen weiter. Im Gesundheitsapparat begann am Morgen ein 24stündiger Generalstreik. Beim Obersten Gerichtshof wurden bereits Eingaben gegen die gestrige Entscheidung eingereicht.

Dramatische Zeiten für Israel. Das Land ist tief gespalten wie nie zuvor.