Noch nie hat es in Israel eine solche breite Protestfront gegeben, wie derzeit gegen die sog. Justizreform. Mit der Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Galant, der am Samstagabend dazu aufgerufen hatte, die Gesetzgebung anzuhalten und Verhandlungen aufzunehmen, hat Ministerpräsident Netanyahu das Fass zum Überlaufen gebracht. Israels Gewerkschaft Histadrut hat soeben einen allgemeinen Generalstreik ausgerufen.
Dem war eine stürmische, eine historische Nacht voraus gegangen. Nach der Entlassung von Galant waren spontan Zehntausende Israelis auf die Straßen geströmt. In Tel Aviv versammelten sich Tausende auf der Stadtautobahn „Ayalon“ und entzündeten Lagerfeuer. Gegen drei Uhr früh wurden sogar Zelte dort aufgestellt. Die Polizei konnte den Ayalon erst am Morgen wieder für den Verkehr freigeben. Auch in anderen Städten und auf großen Überlandstraßen wurde protestiert und der Verkehr lahmgelegt.
Erstmals schloss sich gestern Abend auch der Vorsitzende der allgemeinen Gewerkschaft Histadrut, Arnon Bar David, den Demonstranten an und wurde gefilmt, wie er „Schande“ skandierte. Mehrere Bürgermeister wollen heute einen Hungerstreik in Jerusalem beginnen. Der nationale Schüler- und Jugendrat hat ebenfalls einen allgemeinen Streik ausgerufen. Auch die großen Forschungsuniversitäten streiken, ab heute findet keine Lehre mehr statt. Erstmal gaben auch die zwei führenden Krankenhäuser Sheeba und Ichilov bekannt, sich dem Streik anzuschließen.
Präsident Herzog rief nochmal eindringlich dazu auf, die Gesetzgebung jetzt anzuhalten. Weitere Likud-Abgeordnete sprachen sich ebenfalls für ein Einhalten aus.
Gewerkschafts-Vorsitzender Arnon Bar David rief Netanyahu in einer kämpferischen Rede am Morgen dazu auf, die Gesetzgebung anzuhalten. „Egal ob rechts oder links“, sagte er, „wie stehen hier als eine Front und halten den Wahnsinn an.“ Worum sei es im Wahlkampf gegangen, fragte er? Um steigende Preise und Wohnungsnot, die „Justizreform“ sei nicht Thema des Wahlkampfes gewesen. „Bis hier und nicht weiter“, donnerte er in der Pressekonferenz.
Während die spontanen Proteste gestern immer weiter wuchsen, kam um 23 Uhr eilig der Verfassungsausschuss zusammen. Und auch heute Morgen wird dort fleißig weiter gearbeitet, um die Gesetze der „Justizreform“ für die Abstimmung in der Knesset vorzubereiten. Unter „Schande“-Rufen der Abgeordneten der Opposition. Für 14 Uhr ist eine Großdemonstrationen in Jerusalem vor der Knesset angesagt. Netanyahu ist derzeit in Beratungen der Koalition.