Die Fassade bröckelt

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In Israel protestieren in der 12. Woche in Folge Hunderttausende gegen die „Justizreform“, die Netanyahus Regierung im Renngalopp noch vor Pessach verabschieden will. Doch jetzt bekommt die bisher geschlossene Front der Regierung erste Risse. Verteidigungsminister Yoav Galant sagte gestern in einer Ansprache, dass die Gesetzgebung sofort gestoppt und später auf der Basis einer breiten Verständigung weitergeführt werden müsse. 

Galant, ein ehemaliger General, der nicht als Täubchen bekannt ist, hatte offensichtlich schon am Donnerstag vor, die Regierung zum Einhalt aufzurufen. Nach einem Gespräch mit Netanyahu cancelte er seine angekündigte Ansprache. Stattdessen trat Netanyahu vor die Kameras. Doch von Einhalten oder Suche nach einem Kompromiss war keine Rede. Den Gegnern der als „Reform“ betiteln Aushebelung des juristischen Kontrollmechanismus bot Netanyahu keine anderen Argumente, als man solle sich keine Sorgen machen und auf ihn vertrauen. Bisher hatte sich Netanyahu aus dem Thema herausgehalten, wohlgemerkt aus gutem Grund. Nach seiner Ankündigung am Donnerstag, er werde sich ab jetzt einmischen und die Sache in die Hand nehmen, erinnerte ihn Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara in einem scharf formulierten Brief daran. Jegliche Beschäftigung mit der „Justizreform“ von Netanyahu sei illegal, den er verstoße damit gegen die Interessenkonfliktvereinbarung, die es ihm erlaubt, während seines laufenden Korruptionsverfahrens als Ministerpräsident zu regieren. Die Vereinbarung von 2020 untersagt es Netanjahu, sich in Gesetzgebungsangelegenheiten einzumischen, die sich auf seinen laufenden Prozess auswirken könnten. Netanjahus Ankündigung am Donnerstagabend erfolgte Stunden, nachdem die Knesset ein Gesetz verabschiedet hatte, das ihn davor schützt, aus dem Amt entfernt zu werden. 

Offensichtlich brachte Netanyahu damit Galants Fass zum Überlaufen. Während Netanyahu in London weilte, wo ihn ebenfalls Demonstrationen und „Schande“-Rufe erwarteten, kündigte Galant erneut eine Ansprache an und forderte dazu auf, die Gesetzgebung einzustellen, um Gespräche und Verhandlungen zu ermöglichen. „Die Sicherheit des Staates Israel ist meine Lebensaufgabe“, so Galant. „In der Uniform der IDF habe ich dutzende Male mein Leben für den Staat Israel riskiert, und zu diesem Zeitpunkt bin ich für unser Land bereit, jedes Risiko einzugehen und jeden Preis zu zahlen.“ Die wachsende Kluft in der Gesellschaft durchdringe auch die Armee und die Sicherheitsbehörden. Dies stelle eine klare, unmittelbare und spürbare Bedrohung der Sicherheit des Staates dar. Der Gesetzgebungsprozess müsse jetzt gestoppt werden, so Galant, um es „dem Volk Israels zu erlauben, Pessach und den Unabhängigkeitstag gemeinsam zu feiern und am Gedenktag und am Holocaust-Tag gemeinsam zu trauern.“ Rückendeckung erhielt Galant von zwei weiteren Likud-Politikern, Yuli Edelstein und David Biton, während Itamar Ben Gvir, Minister für nationale Sicherheit, seine Entlassung forderte.

Von Netanyahu war bisher noch keine Reaktion zu vernehmen. Sein Sohn Yair, der für seine rechtsgerichteten Twitter-Beiträge bekannt ist, schrieb, Galant habe die Demokratie zerstört. Er habe festgelegt, dass „einige Hundert linke Reservisten die Wahlzettel von 2,6 Millionen Bürgern aufheben können“.

Die Organisatoren der Proteste haben unterdessen eine Woche des Widerstandes angekündigt. „Am Sonntag und Montag werden wir dort sein, wo die Abgeordneten und Minister sind, und ihre Agenda zum Schweigen zu bringen“, so die Ankündigung. Für Dienstag ist wiederum ein landesweiter Tag der „Lahmlegung“ angesagt, an dem es große Demonstrationen und Straßensperrungen geben wird. Für Mittwoch ist eine Großdemonstration vor der Knesset geplant, wo der „legislative Blitz“ weitergehen soll. Die geplante Protestveranstaltungen am Donnerstag könnten jetzt noch nicht verraten werden.

Israel steht in jedem Fall eine dramatische Woche bevor.