Wie Netanyahu sein eigenes Lebenswerk in Gefahr bringt

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US-Präsident Donald J. Trump, der Außenminister von Bahrain, Dr. Abdullatif bin Rashid Al-Zayani, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed Al Nahyan, unterzeichnen am 15. September 2020 das Abraham-Abkommen

Die Normalisierung der Kontakte mit arabischen und islamischen Staaten stand immer ganz oben auf der Agenda von Benjamin Netanyahu. Mit den Abraham Abkommen schien er diesem Traum sehr nahe gekommen zu sein. Doch die Politik seiner Koalition bedroht auch dieses Projekt.

Von Ralf Balke

Vor wenigen Tagen wurde Benjamin Netanyahu mit der Realität konfrontiert. Da weilte der israelische Ministerpräsident gerade auf Staatsbesuch in Italien, als er eine Nachricht zugesteckt bekam, die ihm gewiss nicht gefallen haben dürfte. So informierte man ihn darin, dass in wenigen Stunden Saudi Arabien bekannt geben werde, seine 2016 abgebrochenen Beziehungen mit dem Iran wieder aufzunehmen und zu normalisieren. Mit der guten Laune war es in diesem Moment definitiv vorbei. Wie israelische Medien mit Verweis auf eine „namentlich nicht genannte politische Quelle in Rom“ berichteten, polterte er unmittelbar danach gegen seine politischen Kontrahenten los, machte Naftali Bennett und Yair Lapid dafür verantwortlich, dass dies geschehen konnte. Zwar ist das ziemlich an den Haaren herbeigezogen, aber längst typisch für seine Rhetorik. Denn zwei wichtige Ereignisse, die auf eine weitere Annäherung zwischen Israel und Saudi Arabien schließen lassen, und zwar die Öffnung des saudischen Luftraums für israelische Flugzeuge, als auch die Einbeziehung Israels in Sicherheitsabsprachen im Rahmen eines Deals zwischen Riad und Kairo, bei dem es um die Nutzung einiger Inseln im Roten Meer ging, fielen genau in die Phase, als der Ministerpräsident mal nicht Netanyahu hieß.

Eigentlich hatte Netanyahu fest damit gerechnet, dass Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud bald sein neuer bester Männerfreund sein wird und beide Länder gemeinsam eine Allianz gegen die nach Atomwaffen strebenden Mullahs schmieden werden. Dummerweise entschied sich Riad anders und versöhnt sich nun – dank der Vermittlung Chinas – mit Teheran, weshalb die Eröffnung einer israelischen Botschaft in der saudischen Hauptstadt erst einmal in weite Ferne gerückt ist. Dabei wäre die Aufnahme offizieller diplomatischer Kontakte mit Riad für Netanyahu so etwas wie das Sahnehäubchen einer Entwicklung gewesen, die mit den Abraham Abkommen, also jenem Prozess einer Normalisierung der Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko, Bahrain und dem Sudan im Jahr 2020 ihren Anfang nahm.

Noch Ende Februar hatte Netanyahu in Jerusalem in einer Rede vor den Präsidenten aller wichtigen jüdischen Organisationen aus Vereinigten Staaten von dem „warmen Frieden“ mit diesen vier Staaten geschwärmt und davon gesprochen, dass er aktiv darum werbe, dass Saudi Arabien den Abraham Abkommen beitreten werden, was ein „Quantensprung“ in Richtung Frieden in der Region bedeuten könnte. „Dieser würde zu einem Ende des israelisch-arabischen Konflikts führen.“ Doch selbst die Beziehungen mit den bis dato vier neuen Partnern scheinen nun ins Stocken geraten zu sein. Und auch in Washington scheint Netanyahu gerade nicht unbedingt willkommen. Die Gründe dafür sind bei seinen Koalitionspartnern zu suchen. Denn nun geben Radikale wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir den Ton an, wenn es um die israelische Politik im Westjordanland geht. Deshalb sind alle Pläne in den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten, den israelischen Ministerpräsidenten zu empfangen, erst einmal auf Eis gelegt worden. Die Times of Israel zitiert eine anonym gebliebene Quelle aus diplomatischen Kreisen, die betont, dass beide Regierungen erst einmal abwarten würden, wie sich der muslimische Fastenmonat Ramadan, der am 23. März beginnt, entwickelt. Danach würde man entscheiden, ob Netanyahu der rote Teppich ausgerollt werden soll oder nicht. Die Situation vor Ort in Ostjerusalem und dem Westjordanland sei derzeit zu angespannt, weshalb es in arabischen Staaten wenig vermittelbar ist, warum man den israelischen Ministerpräsidenten empfangen soll.

Die neue Koalition hat mit ihrer Politik und ihrem Auftreten ebenfalls die auf der Grundlage der Abraham-Abkommen entstandenen Negev-Forum quasi eingeschläfert, und das obwohl eine ganze Reihe regionaler Kooperationsprojekte auf der Agenda stehen. Eigentlich sollte die nächste Gesprächsrunde mit Ministern aus allen beteiligten Ländern in Marokko stattfinden, nur will sich in Rabat niemand auf einen Termin festlegen. „Netanyahu behauptet, er sei derjenige, der in Jerusalem das Sagen hat“, so die anonyme Quelle weiter. „Aber im Ausland herrscht der Eindruck vor, dass er nicht wirklich die volle Kontrolle hat, und genau das macht es derzeit schwieriger, mit Israel zusammenzuarbeiten.“

Ähnliches ist ebenfalls von Amos Yadlin, früher Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, zu hören. Er schrieb auf Twitter: „Die Fokussierung der Regierung auf die Justizreform, die die Nation gerade spaltet, was Israel in jeder Hinsicht schwächt, spiegelt eine tiefe Kluft zwischen Netanyahu und den internationalen geopolitischen Entwicklungen wider.“ Die Probleme des Ministerpräsidenten begannen bereits wenige Tage nach seiner Rückkehr ins Amt, als Itamar Ben Gvir in Jerusalem demonstrativ den Tempelberg besuchte und dort in einer dreizehn Minuten dauernden Rede davon sprach, dass sich die „Zeiten nun geändert“ hätten. Als Reaktion darauf hagelte es Kritik am Auftritt des frisch gebackenen Ministers für nationale Sicherheit aus den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Abu Dhabi prangerte Ben Gvirs „Erstürmung des Platzes vor der Al-Aqsa-Moschee“ an und forderte ein Ende der „schweren und provokativen Verstöße“. Ferner unterstützte man eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates, wodurch die Angelegenheit auf der internationalen Bühne weiter eskalierte. Netanyahu, der in der darauffolgenden Woche die Vereinigten Arabischen Emirate besuchen wollte, versuchte zwar, die Wogen zu glätten und betonte, dass Israel den Status quo auf dem Tempelberg beibehalten wolle. Dennoch wurde seine Reise an den Golf verschoben.

Das Unbehagen über die neue Regierung in Jerusalem geht weit über Washington und Abu Dhabi hinaus. So haben die Kabinettsbeschlüsse der vergangenen Wochen, beispielsweise die Legalisierung von neuen Siedlungsaußenposten im Westjordanland sowie die Rücknahme der Entscheidung aus dem Jahr 2005 zur Evakuierung von vier jüdischen Siedlungen nahe Nablus und Jenin, Israels Verbündete in der Region zutiefst irritiert. Aber während Jordanien, Ägypten und die Türkei ihre Kritik öffentlich geäußert hatten, agierten die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko eher zurückhaltend, was nicht heißt, dass ihnen das Ganze egal ist. Auch haben die drei letztgenannten Länder keinesfalls die Absicht, ihre kürzlich unterzeichneten Normalisierungsabkommen deswegen wieder aufzukündigen. Aber es dürfte nun schwieriger sein, Kooperationsprojekte voranzutreiben. Das Negev-Forum ein Beispiel ist dafür – nur interessiert das Netanyahu im Moment vielleicht wenig. Denn dieses Gremium war auf Initiative seines Vorgängers Yair Lapid zustande gekommen, weshalb er es ohnehin nicht besonders mochte. Der Ministerpräsidenten sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, dass das endgültige Aus des Negev-Forums ebenfalls für die Zukunft der Abraham-Abkommen nichts Gutes verheißen würde.

Saudi-Arabien war übrigens das einzige Land in der Golfregion, das sich öffentlich zu dem Kabinettsbeschluss die Siedlungsaußenposten betreffend geäußert hatte. Der saudi-arabische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan bezeichnete diesen Schritt als „eklatant illegalen Akt, der die Spannungen nur weiter anheizen und die Situation verkomplizieren wird“. Ob beabsichtigt oder nicht, er sprach dabei von einer „Annexion“ und verwendete damit einen Begriff, der die Vereinigten Arabischen Emirate verärgert haben dürfte, weil sie ihre Normalisierung mit Israel stets damit begründet hatten, dass man dadurch Netanyahus geplante Annexion von Gebieten im Westjordanland gestoppt hätte. All zeigt, wie die aktuelle Politik der neuen israelischen Regierung alte und neue Verbündete gleichermaßen verprellt und andere davon abhält, ihr Verhältnis zu Israel demnächst zu normalisieren.

Bild oben: US-Präsident Donald J. Trump, der Außenminister von Bahrain, Dr. Abdullatif bin Rashid Al-Zayani, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed Al Nahyan, unterzeichnen am 15. September 2020 das Abraham-Abkommen

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