„Agenten des Zionismus“

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Vor 70 Jahren begann in Prag der letzte und größte der stalinistischen Schauprozesse. Angeklagt waren neben Rudolf Slánský, ehemals Generalsekretär der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei, dreizehn weitere, mehrheitlich jüdische Repräsentanten der Staats- und Parteiführung des Landes. Bemerkenswert ist dabei die gegen Juden in Stellung gebrachte Rhetorik.

Von Ralf Balke

Nichts fällt einfach so vom Himmel, sondern alles hat auch eine Vorgeschichte. Als Ende des Jahres 1952 in Prag vierzehn Kommunisten, darunter Rudolf Slánský, der Hauptangeklagte des nach ihm benannten Prozesses, vor Gericht gezerrt wurden, markierte dies den Höhepunkt einer ganzen Serie von Gerichtsverfahren und „Liquidierungen“, die bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn des Ost-West-Konflikts ihren Anfang genommen hatten, und zwar an gleich mehreren Orten des sowjetischen Machtbereich. Zu den ersten Opfern dieser antisemitischen Gewaltwelle zählte der prominente Schauspieler Solomon Michoels, Vorsitzender des „Jüdischen Antifaschistischen Komitees“, der am 13. Januar 1943 auf Befehl des Josef Stalins ermordet wurde. Was folgte waren Massenentlassungen von jüdischen Lehrern, Wissenschaftlern oder Militärangehörigen. Und immer wieder gab es Schau- oder Geheimprozesse. Bereits im Frühjahr 1952 hatte ein Gericht in der Sowjetunion über 100 Aktivisten des zwangsaufgelösten „Jüdischen Antifaschistischen Komitees“ verurteilt, zehn davon zum Tode. Die immer gleichen Vorwürfe lauteten: Spionage für den Westen, Sabotage oder eben Kosmopoliten zu sein.

Es folgten die „Säuberungswellen“ in den Satellitenstaaten, allen voran in der Tschechoslowakei. So standen am 20. November 1952 mit Rudolf Slánský, Bedřich Geminder oder Artur London insgesamt vierzehn hochrangige Funktionäre oder ehemalige Minister vor Gericht, von denen elf einen jüdischen Familienhintergrund vorweisen konnten. Eine weitere Gemeinsamkeit: Manche dieser kommunistischen Parteigänger hatten die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung im westlichen Exil verbracht, was ihnen nun zum Vorwurf gemacht wurde, weil sie deshalb in der einen der anderen Form Kontakte mit amerikanischen, britischen und französischen Staatsbürgern und Behörden hatten. Entsprechend lautete die Anklage im Slánský-Prozess, im Auftrag westlicher Geheimdienste eine „trotzkistisch-titoistische, zionistische sowie bürgerlich-nationalistische“ Verschwörung initiiert zu haben.

Für den 1901 geborenen Rudolf Slánský traf die westliche Emigrationsgeschichte nicht zu. Er hatte die Jahre nach 1938 in Moskau verbracht, galt selbst als Hardliner. Zweifel an der kommunistischen Sache kamen ihm sogar dann nicht auf, als 1943 in Moskau seine zwei Monate alte Tochter Nadja entführt wurde. Trotzdem wurde Rudolf Slánský am 23. November 1951 verhaftet. Einer der Gründe: Klement Gottwald, erster kommunistischer Staatspräsident der Tschechoslowakei, sah in ihm einen potenziellen Rivalen, den er schlichtweg loswerden wollte. Bemerkenswerterweise fand die Verhaftung unmittelbar nach der Feier zum 55. Geburtstag von Klement Gottwald statt, bei der das Ehepaar Slánský ebenfalls zu Gast war. „Aus dem Dunkel tauchte eine Gruppe an der Wand aufgereihter Männer auf, Maschinenpistolen gezielt, ein Bein vorgestellt, bereit zum Sprung“, beschreibt seine Frau Josefa Slánská später einmal das Geschehen. „Andere Männer drängten Ruda an die Wand zwischen Halle und Küche. Er stand aufrecht, die Augen vor Überraschung geweitet und zugleich unsagbar traurig. (…) Da öffnete sich rechts die Garderobe, in der Kopf an Kopf weitere standen. Ein Mann kam heraus und fesselte Ruda wortlos die Hände. Ich schaute Ruda an, ich sollte ihn nur noch einmal wiedersehen.“

Sieben Tage nur sollte der Schauprozess in Prag dauern. Vor dem Gericht machten die Angeklagten einen verheerenden Eindruck – genau das war vom Regime gewollt. Offensichtlich waren sie ausgehungert und brutalen Verhörmethoden und Folter unterworfen worden. Sie spulten wie zwangsweise auswendig gelernt ihre Geständnisse herunter, wurden von Publikum und Richtern verhöhnt, und das alles vor laufender Kamera. „Ich habe feindliche Tätigkeit ausgeübt, ich habe Interessen der anglo-amerikanischen Imperialisten (…) vertreten, ich habe die Interessen des tschechoslowakischen Volkes verraten“, gab Rudolf Slánský schließlich zu Protokoll. Entsprechend aufgeheizt war die Stimmung. Bei der Staatsführung gingen unzählige Petitionen ein, in denen der Kopf der Angeklagten gefordert wurde. „Und die zweite Hauptsache gegen ihn war, dass er ein Jude war“, betonte Josefa Slánská in den Jahren danach mehrfach. Und sie nennt den sowjetischen Diktator als treibende Kraft hinter dem Gerichtsspektakel. „Der Stalin war doch ein sehr großer Antisemit. Das war ein antisemitischer Prozess.“

Einer der Höhepunkte des Verfahrens war der vor Gericht laut vorgelesene Brief des Sohn des ebenfalls Angeklagten Ludvík Frejka, in dem er für seinen eigenen Vater die Todesstrafe forderte. Die Diktion war erschreckend. So dürfe der frühere Berater des Präsidenten in Wirtschaftsfragen aufgrund seiner Verbrechen „nicht als Mensch“ behandelt werden. Bereits am 27. November 1952 wurde das Urteil gesprochen, elf der Angeklagten zum Tode verurteilt, die drei übrigen erhalten lebenslange Freiheitsstrafen. Das Urteil gegen Rudolf Slánský sowie zehn weitere Angeklagte des Prozesses wurde bereits am 3. Dezember 1952 vollzogen. Man hängte sie alle, verbrannte ihre Leichen und streute die Asche auf einer vereisten Straße aus.

Doch im Slánský-Prozess geht es um viel mehr als nur um das Wegbeißen unliebsamer Rivalen innerhalb der Führungsriege der kommunistischen Partei. Und da erweisen sich die erhobenen Vorwürfe als Schlüssel zum Verständnis des Geschehens. Denn wenn eine „trotzkistisch-titoistische, zionistische sowie bürgerlich-nationalistische“ Verschwörung halluziniert wird, dann lassen sich gleich mehrere Bedeutungsebenen erkennen. So steht das Begriffspaar „trotzkistisch-titoistisch“ aus sowjetischer Perspektive für das Abweichlertum par excellence. Während die Behauptung, Leo Trotzki irgendwie nahe zu stehen, bereits in den unzähligen Schauprozessen der 1930er Jahre inflationär in Stellung gebracht wurde und quasi das Todesurteil der so Beschuldigten bedeutete, ist der Verweis auf Marschall Tito deutlich aktuellen Ereignissen geschuldet. Zum Ausdruck kam darin die Furcht Moskaus, dass die Tschechoslowakei, die in der Vorkriegszeit sich eher an Großbritannien und Frankreich orientiert hatte, ebenso wie Jugoslawien aus dem sich bildenden Ostblock ausscheren könnte und ihren eigenen Weg geht. Oder anders formuliert: Weil die kommunistische Partei der Tschechoslowakei ohnehin eine gewisse Eigenständigkeit an den Tag gelegt hatte und sich unter anderem dem Druck Stalins ein wenig zu entziehen versuchte, indem sie beispielsweise die per ordre de mufti verordnete Jagd auf „Feinde im Parteiapparat“ nur halbherzig mitmachte, gab es Bedenken, dass in Prag ein anderer als der von der Sowjetunion befohlene geben könnte. Entsprechend begann Moskau, auf die Führung in Prag Druck aufzubauen.

Gleichfalls bedeutsam ist die Behauptung, Rudolf Slánský & Co. würden eine „zionistische“ Konspiration planen. Ursprünglich hatte Stalin die Gründung des Staates Israel unterstützt – selbstverständlich nicht aus einer prozionistischen oder philosemitischen Haltung heraus. Vielmehr sollte dieser Schritt zur Vertreibung Großbritanniens aus der östlichen Mittelmeerregion beitragen. Außerdem hoffte Moskau damals, dass Israel Teil der sowjetischen Einflusszone werden könnte, weshalb man den jungen Staat mit Waffen versorgte, und zwar aus der Tschechoslowakei heraus. Doch diese Erwartungshaltung sollte sich nicht erfüllen, weshalb man Zionisten schon bald der immer länger werdenden Phalanx der Feinde zuordnete, wobei statt „Zionisten“ im Sprachgebrauch oftmals auch „Kosmopoliten“ Einzug fanden. All das führte dazu, dass innerhalb des tschechoslowakischen Sicherheitsdienstes ebenfalls eine Abteilung geschaffen wurde, die sich gezielt dem Thema Zionismus und seiner Anhänger widmete. Konkret hieß das, dass die nach einer Auswanderungswelle nach Israel rund 20.000 im Lande verbliebenen Juden zunehmend unter Druck gerieten, ihr Judentum verbergen mussten und sich schnell dem Generalverdacht ausgesetzt sahen, „Zionisten“ oder „Kosmopoliten“ zu sein.

Die dritte Ebene, und zwar „bürgerlich-nationalistisch“ bezieht sich zum einen auf die soziale Herkunft der allermeisten im Slánský-Prozess angeklagten Personen. Die andere dagegen verweist auf die Relevanz der Nationalitätenfrage. „Die Tschechoslowakei verwandelte sich von einem multiethnischen Nationalitätenstaat in den Nationalstaat der Tschechen und Slowaken“, bringt es der Historiker Jan Gerber in der „Neuen Zürcher Zeitung“ auf den Punkt. „Bei dieser ethnischen Homogenisierung gerieten die wenigen einheimischen Juden, die den Holocaust überlebt hatten, zwischen die Fronten.“ Denn seit dem Habsburgerreich waren deutsche Kultur und Sprache für die Juden in Böhmen oder Mähren das Maß aller Dinge, was ihnen bereits in der neu gegründeten Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit als Minorität Schwierigkeiten bereiten sollte. Ihre Nicht-Dazugehörigkeit zur Nachkriegs-Tschechoslowakei wurde nun in der Form exemplarisch betont, indem man in der Presse die Geburtsnamen der Angeklagten im Slánský-Prozess oftmals in der deutschsprachigen Version schrieb, was sie in die ihre Nähe der ohnehin verhassten Deutschen rückte. Absurderweise hatten manche derjenigen, die nun vor Gericht standen, 1945 geraten, ihre Namen zu tschechisieren. „Nun wurden diese Namensänderungen als Versuch gewertet, die Partei zu unterwandern“, so Gerber weiter. „Im ‚Rudé právo‘, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei, wurde erklärt, dass den Angeklagten anzuhören sei, dass sie nicht mit den tschechischen Traditionen vertraut seien.“ Mit der „Säuberung“ hatte man die kommunistischen Partei der Tschechoslowakei also quasi auch ethnisch auf Linie gebracht. Eine weitere Besonderheit: Nachdem in der Sowjetunion Stalins Tod im März 1953 der Zeit der großen Schauprozessen weitestgehend ein Ende setzte, dauerte das letzte Tribunal, das an den Slánský-Prozess anknüpfte, noch bis Ende des Jahres 1954.

Bild oben: Rudolf Slánský während des Prozess