„… dem Hitlersystem zwar äußerlich, nie aber in seinem Wesen angepasst“

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Der Club-Sportpark wurde 1913 eingeweiht, Foto: Archiv 1. FC Nürnberg

Eine neue Publikation beleuchtet den 1. FC Nürnberg in der NS-Zeit und dokumentiert die Biografien von 142 ausgeschlossenen jüdischen Mitgliedern

„Wir beehren uns, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass der Verwaltungs-Ausschuss in seiner Sitzung vom 27. April d. J. folgenden Beschluss gefasst hat: Der 1. Fußball-Club Nürnberg streicht die ihm angehörigen jüdischen Mitglieder aus seiner Mitgliederliste.“ Diesen Brief erhielt vermutlich auch der Nürnberger Fabrikant Ludwig Magnus. Auf seiner Karteikarte ist ein großes rotes „J“ für Jude vermerkt. Am 30. April 1933 strich der Verein ihn aus der Mitgliederliste. Bereits am 9. April 1933 hatte sich der Club, zusammen mit 13 Vereinen aus Süddeutschland, in der „Stuttgarter Erklärung“ verpflichtet, alle jüdischen Mitglieder auszuschließen. Vor zwei Jahren tauchte die lange verschollene Mitgliederkartei für die Jahre 1928 bis 1955 des Vereins auf; in den 15 Kartons befanden sich 12.000 Karten, darunter 142 von gestrichenen jüdischen Vereinsmitgliedern.

Das Fußballteam des Vereins gehörte seinerzeit zu den führenden Mannschaften in Deutschland. Fünf Meisterschaften in den 1920er-Jahren zeugen davon – der Club war, was Bayern München heute ist – alleiniger Rekordmeister. Zu dem Aufstieg des 1900 gegründeten Vereins hatten an zentralen Stellen und zu wichtigen Zeitpunkten auch jüdische Mitglieder beigetragen, wie etwa der Rechtsanwalt Leopold Neuburger. In seiner Amtszeit als Vorsitzender wurde die vereinseigene Sportanlage im Nürnberger Stadtteil Zerzabelshof gebaut. Ein Stadion, das Anfang der 1920er-Jahre 25.000 Zuschauer fassen konnte.

Während des NS-Regimes ging es dem Club nicht nur darum, die aktiven jüdischen Sportler zu entlassen, sondern auch seine von Juden geprägte Vergangenheit auszulöschen. Zudem sah man sich nach 1945 als Opfer der NS-Politik. „Im Club gab es weder Klassen- noch Rassenunterschiede und erst recht keine nationalen Beschränkungen“, ist in der Festschrift zum 50-jährigen Vereinsjubiläum nachzulesen. „Denn der Sport hat sich dem Hitlersystem zwar äußerlich, nie aber in seinem Wesen angepasst.“

Es hat lange gedauert, bis sich der 1. FC Nürnberg kritisch mit seiner Rolle in der NS-Zeit auseinandersetzte. Angestoßen hat das 1996 der Journalist und heutige Archivar des Clubs Bernd Siegler in seinem Buch „Die Legende vom Club“. Wenige Jahre später, zum 100. Vereinsjubiläum im Jahr 2000, wurde das Schicksal des jüdisch-ungarischen Trainers Jenö Konrad sowie seiner jüdischen Vereinskameraden auch in der Vereinsfestschrift thematisiert. Seitdem hat sich viel getan. Der Club stellte sich seiner Verstrickung ins NS-System. Mit der Entdeckung der verschollen geglaubten Mitgliederkartei kam ein unverhoffter Glücksfall dazu. Der Archivar und Kurator des Clubmuseums, Bernd Siegler, hat in den letzten zwei Jahren den bislang namenlosen, unbekannten und verfemten jüdischen Mitgliedern ein Gesicht gegeben und ihre Biografien recherchiert. In seinem Buch „Heulen mit den Wölfen. Der 1. FC Nürnberg und der Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder“ sind auf rund 300 Seiten 142 Lebensgeschichten nachzulesen, die geprägt waren von Demütigungen, Ausgrenzung, Vertreibung und Neuanfang in der Emigration. 129 Portraitierte überlebten die Shoa. Wie etwa Ludwig Magnus, dem es 1938 über die Tschechoslowakei und Italien gelang zusammen mit seiner Familie, nach Erez Israel zu immigrieren.

Ludwig Magnus (1. v. l.) auf der Schiffspassage nach Erez Israel, Repro: nurinst-archiv

Neben den mehrheitlich umfangreichen und detaillierten Biografien, nahezu alle mit einem Bild versehen, schildert der Autor auf weiteren 170 Seiten kenntnisreich die Geschichte des Vereins im Nationalsozialismus, nennt Verantwortliche und zeigt aber auch auf, wie der Club aktuell mit seiner lange verdrängten Vergangenheit umgeht. Mit dem Jugendprojekt „Fußball trifft auf Geschichte“ informiert und sensibilisiert der Verein seit Jahren. Hinzu kommen Führungen, Bildungsfahrten zu NS-Gedenkstätten und seit 2018 das jährlich in Kooperation mit Maccabi Nürnberg durchgeführte Fußballturnier um den „Jenö-Konrad-Cup“, das an den 1932 vertriebenen Club-Trainer erinnert.

„Heulen mit den Wölfen“ ist ein fundiertes, sensibel geschriebenes und auf breiter Quellenbasis fußendes Buch. Siegler hat einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen vorgelegt und zudem im sporthistorischen Teil die Fakten und Zusammenhänge kompetent im geschichtlichen Kontext verortet. – (jgt)

Bernd Siegler, Heulen mit den Wölfen. Der 1. FC Nürnberg und der Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder, starfruit 2022, 472 S., Euro 28,00, Bestellen?

Bild oben: Der Club-Sportpark wurde 1913 eingeweiht, Foto: Archiv 1. FC Nürnberg