(Fast) Keine Filme aus Israel

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Als ich 1995 das Jüdische Filmfestival Berlin & Brandenburg ins Leben rief, ging es mir vor allem um eines: Judentum, jüdisches Leben in all seiner Vielfalt sichtbar zu machen. Sichtbar zu machen, dass jüdisches Leben – sowohl hier in Deutschland, als auch in Israel und weltweit – keinesfalls in bestehende und fest tradierte Schubladen zu drängen ist, dass es bunt und lebendig, nicht binär und abschließend definier-, oder gar darstellbar ist.

Von Nicola Galliner

In der vergangenen Woche war ich Mitglied der interreligiösen Jury des DOK Filmfestivals Leipzig 2022 – und dies mit großer Freude. Es war mir eine große Bereicherung und ein absoluter Gewinn die unterschiedlichen Jury-Mitglieder kennenzulernen und so Einblick in verschiedene
Blickrichtungen und Gedanken erhalten zu können. Die beiden Organisationen Signis und interfilm, die verantwortlich für die Zusammenstellung der interreligiösen Jury waren, haben dies mit viel Bedacht getan und so die Grundlage geschaffen für eine sehr gewinnbringende Zusammenarbeit mit Jury-Kolleg*innen mit ganz diversen Lebenshintergründen. Dies möchte ich an dieser Stelle äußerst positiv hervorheben.

Das Thema Judentum im Film war weltweit, wie auch in Deutschland selten so divers und vielfältig, wie in den letzten Jahren und gegenwärtig. Es gibt unzählige, selbstverständlich auch aktuelle Filme, die die religiöse, kulturelle, soziale Bandbreite jüdischen Lebens darstellen – leider jedoch nicht beim Internationalen DOK Filmfestival Leipzig 2022. Und es ist nicht nur das, was mich persönlich wirklich schockiert hat, es sind vor allem auch die wenigen ausgewählten und gezeigten Inhalte, die ich in ihrer einseitigen Darstellung überwunden gehofft hatte. Nuancen, vielfältige jüdische Lebenskonzepte – eine Auswahl an Diversität und Facetten suchte ich vergeblich.

Insgesamt wurden auf dem Filmfestival beeindruckende 255 Filme aus 53 Ländern gezeigt – unter der Rubrik Israel fand sich ein Kurzfilm, nämlich eine deutsch-israelische Co-Produktion, die schließlich in der Sektion ‚Deutscher Wettbewerb Kurzfilm‘ lief. Weitere, in Israel produzierte Filme gab es nicht. Israelische Filme aller Genres werden auf internationalen Filmfestivals weltweit gezeigt und prämiert. In Leipzig bekam man sie leider nicht zu sehen. Real bestehende Komplexität Israels und der Lebensrealitäten seiner Bewohner*innen fand keinen Platz im DOK Filmfestival Leipzig und ich frage mich: Ist das die Darstellung, die wir uns vor allem in Zeiten von Populismus, immer weiter ansteigendem Antisemitismus und israelbezogenem Antisemitismus in Deutschland leisten können und sollten?

Eine ganz andere Form der Ignoranz wiederum zeigte sich an Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in Berlin, konkret bei der Berliner Mendelssohn-Gesellschaft, die am Abend von Yom Kippur Veranstaltungen stattfinden lässt. Ein Umstand, über den dessen Gründerin Cecile Löwenthal-Hensel (1923-2012) sicherlich entsetzt gewesen wäre. Die kritische Nachfrage einer bekannten jüdischen Persönlichkeit diesbezüglich wurde von der Mendelssohn-Gesellschaft ignoriert.

Beide hier skizzierten Erlebnisse spiegeln Lebensrealitäten wider, denen man sich als Jude in Deutschland immer wieder und in letzter Zeit vermehrt ausgesetzt sieht.

Bild oben: Achshav at ahat mishelanu, Maya Steinberg, Dokumentarfilm, Deutschland/Israel 2022