Mit Menora beim Abendmahl

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Schmah Israel, © Passionsspiele Oberammergau 2022/Arno Declair

Die Oberammergauer Passionsspiele versuchen in dieser Saison einen Neustart ohne antisemitische Motive

Von Gerhard Haase-Hindenberg
Zuerst erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 15.07.2022

Die Gründung der Oberammergauer Passionsspiele im Jahr 1634 war der Beginn einer inzwischen mehr als 300-jährigen Volkstheater-Tradition, die auch zu einer unseligen Tradition des christlichen Antijudaismus wurde. Als der Antisemit Adolf Hitler das Spektakel 1930 sah, war er begeistert. Als Reichskanzler veranlasste er, dass zum 300. Jubiläum exakt diese Fassung aufgeführt wurde. Die reichsweite Werbung übernahm praktischerweise das NS-Propagandaministerium.

Nach dem Krieg sah der inzwischen »entnazifizierte« Spielleiter keine Veranlassung, Änderungen an der vom Nazi-Führer bevorzugten Version vorzunehmen. Das aber hatten jüdische Künstler wie Leonard Bernstein, Arthur Miller oder Billy Wilder gefordert. Der Rabbiner Marc Tanenbaum vom American Jewish Committee hatte in seinem »Schwarzbuch« die antisemitischen Stellen minutiös aufgelistet. Etwa in der klischeehaften Überzeichnung der Figuren des Hohepriesters Kaiphas als hinterhältiger Machtpolitiker und des Judas Ischariot als geldgieriger Verräter.

Der Oberammergauer Gastwirtssohn Christian Stückl hatte Tanenbaums Kritik schon als Teenager interessiert gelesen. Als er dann mit nur 24 Jahren der Festspiel-Chef wurde, wollte er mit der antijüdischen Tradition aufräumen. Während er sich aber auf seine ersten Passionsspiele 1990 vorbereitete, stellte man ihm einen katholischen Theologen zur Seite, und der warnte: »Wir müssen aufpassen, dass wir uns von den Juden nicht unser Evangelium zusammenstreichen lassen.«

In den vergangenen beiden Jahrzehnten nahm sich Stückl gemeinsam mit seinem Dramaturgen Otto Huber vor, in einer textlichen Neufassung den Antisemitismus zu eliminieren. Hierfür suchten sie regelmäßig das Gespräch mit Rabbinern. In dieser Saison nun zeigt das Ensemble noch bis Anfang Oktober eine Version, in der Jesus und seine Anhänger nicht als frühe Christen, sondern als innerjüdische Gruppe gezeigt werden. Genau da aber steht die Absicht einer historisch authentischen Darstellung dem Anspruch einer opulenten Theateraufführung entgegen. Stückl hat wirkungsmächtigen Bildern den Vorrang eingeräumt, und das mit Erfolg.

Natürlich hielt die Bevölkerung von Jerusalem auch zur Zeit des Tempels die Palmwedel erst am herbstlichen Sukkotfest in den Händen und nicht schon zu Pessach sechs Monate zuvor. Entweder wusste der biblische Chronist das nicht, oder es ist bei den Übersetzungen ein Fehler passiert. Die Palmblätter beim Einzug in die Stadt aber aus Gründen der Authentizität zu streichen, hätte beim christlichen Publikum aus aller Welt sicherlich empörte Reaktionen zur Folge.

Die Menora mit sieben brennenden Kerzen auf dem Tisch beim Abendmahl, das hier als Kiddusch inszeniert wurde, macht auf der Festspielbühne so richtig was her. Dem Bühnenbildner Stefan Hageneier sei’s gedankt. Historisch gesehen aber hat der Leuchter da gar nichts zu suchen, war die Menora damals doch ausschließlich als ritueller Gegenstand innerhalb des Tempels gebräuchlich. Billy Wilder würde solch einen Fehler wohl augenzwinkernd mit seinem Grundsatz kommentieren: »Wirkung geht vor Logik!« Und diese ist enorm, wenn die Bühnenfigur des Jesus neben jener falschen Menora in Hebräisch die Brachot zu Brot und Wein spricht.

Hart gerungen wurde mit den Figuren des Kaiphas und des Judas, an deren antisemitischen Klischees sich in der Vergangenheit die Gemüter erhitzten. Judas Ischariot wird nun unter falschen Versprechungen dazu verführt, einen Verrat zu begehen, der als solcher für ihn zunächst gar nicht erkennbar ist. Als man ihn mit den 30 Silberlingen entlohnen will, wirft er den »Judaslohn« dem Hohen Rat vor die Füße. Geldgier war also kein Motiv. Stückl inszeniert Judas als einen jüdischen Widerstandskämpfer gegen die römische Besatzung, der Jesus dahin bringen will, sich zum König Israels zu erheben.

Im Hohepriester Kaiphas glaubt Judas einen heimlichen Verbündeten zu sehen. Der aber ist in der aktuellen Spielvorlage ein realpolitisch Getriebener zwischen Angst vor einem Volksaufstand und den Sympathien für die Jesus-Bewegung, die er in den eigenen Reihen wahrnimmt. Als er Jesus dem römischen Prokurator Pilatus übergibt, will der wissen, warum der Hohepriester diesen nicht selbst aburteilt.

Kaiphas’ Antwort gipfelt in der Gegenfrage: »Warum sollte ich einen Sohn meines Volkes töten?« Pontius Pilatus wird nun als derjenige gezeigt, der den Jesus-Mord organisiert. Das alles ist angesichts mangelnder Zeugnisse von Zeitgenossen höchst spekulativ, aber das sind die Königsdramen des William Shakespeare schließlich auch. Theater eben.

Von Lion Feuchtwanger gibt es das Zitat, wonach die Vertreibung der Händler aus dem Tempel durch die Oberammergauer so groß herausgestellt worden sei, dass man meinen könnte, Jesus sei gestorben, weil er sich mit den Kleingewerbetreibenden angelegt hat.

Christian Stückl und sein Dramaturg hingegen haben sich gefragt, was Jesus dazu getrieben hat. Sie kamen zu dem Schluss, dass er sich auf die Tempelrede von Jeremia bezieht, in der es heißt: »Mein Haus, spricht der Herr, ist ein Haus des Gebets!« Dafür wurde ein ergreifendes Bild inszeniert: Jesus hebt in einer Massenszene die Tora in die Höhe, und vielstimmig erhebt sich der Gesang zum Schma Israel.

Bei allem Bemühen, Jesus im innerjüdischen Zusammenhang zu zeigen, kamen Experten des amerikanischen Rates der jüdisch-christlichen Beziehungen (CCJR) zu dem Ergebnis, dass es nicht durchweg gelungen sei, antisemitische Klischees zu tilgen.

Der umtriebige Festspiel-Chef Stückl erklärte hierzu: »Wir haben es mit 2000 Jahren christlichem Antijudaismus zu tun, der sehr stark in den Köpfen ist, und vielleicht übersehen wir auch selbst manche Dinge. Wir sagen aber auch, dass wir keinen Koscher-Stempel wollen. Wir können nur kontinuierlich im Dialog mit den jüdischen Organisationen und ihren Experten bleiben und weiterarbeiten.«

In jedem Fall kann den Oberammergauern heute schon bescheinigt werden, dass ihnen in diesem Passionsspiel-Sommer ein theatralisch großer Wurf gelungen ist.

Bis zum 2. Oktober werden die Passionsspiele dienstags, donnerstags, freitags, samstags und sonntags aufgeführt.

Bild oben: Schmah Israel, © Passionsspiele Oberammergau 2022/Arno Declair