„Und alles ist hier fremd“ – Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil

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Bei dem Wort Exil haben viele Amerika vor Augen. Vor allem Menschen aus der Filmbranche zog es nach 1933 dorthin, auch Musiker und vereinzelt Schriftsteller. Nicht alle blickten so weit in die Ferne, auch Großbritannien bot Rettung. Mit ihrem Buch ‚Und alles ist hier fremd.’ Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil geht Doris Hermanns speziell Schriftstellerinnen nach, die in Großbritannien Zuflucht fanden.

Gabriele Tergit, die in letzten Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit fand, gehörte zu ihnen. Ansonsten sind es in der breiten Öffentlichkeit weiniger bekannte Namen wie Charlotte Wolff, Annette Eick oder Sylvia von Harden. Welche Voraussetzungen mussten sie erfüllen, um in dem Land aufgenommen zu werden? Zu Beginn bestand dezidiertes Arbeitsverbot, dann durfte manch eine nur einreisen, wenn sie eine Anstellung vorweisen konnte. In den späteren Jahren waren diese oft nur als Haushaltshilfe zu bekommen. Wie ist es ihnen dort ergangen? Konnten sie weiter schreiben? Wenn ja, wo und was? Welche Rolle spielten die Vereinigungen wie der Freie Deutsche Kulturbund?

Hierzulande ist Großbritannien ein weißer Fleck in der Exilforschung. Doris Hermanns hat mit ihrem Buch nun ein paar Koordinaten geschaffen.

Sabine Schereck sprach für haGalil mit der Autorin über ihre Arbeit.

Welche Biografie einer Schriftstellerin, die nach Großbritannien emigriert ist, ist Ihnen als erste begegnet?

Das war die von Charlotte Wolff, vor etwa 40 Jahren. Sie ist in den 1980er Jahren in der Frauenbewegung bekannt geworden, da sie von L74 zur Sommeruniversität für Frauen in Berlin eingeladen wurde. Es gab Artikel über sie, die mich neugierig auf sie machten und dann habe ich ihre Autobiografie Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit gelesen. Einem breiteren Publikum ist sie erst 2004 durch die Veröffentlichung des Briefwechsels mit Christa Wolf bekannt geworden.

Was ist Ihnen damals von Charlotte Wolffs Biografie in Erinnerung geblieben?

Ich konnte mich von damals noch erinnern, dass sie zunächst nach Frankreich ins Exil ging und erst später nach Großbritannien.

Von den Biografien, die Ihnen bei der Arbeit am Buch begegnet sind, welche hat Sie am meisten beeindruckt und warum?

Hilde Spiel hat selbst viel über ihre Zeit im Exil geschrieben und bei ihr fand ich mehrere Aspekte spannend. Eines ist, dass sie 1934, als der Austro-Faschismus schon präsent war, wusste, dass sie ins Exil gehen würde. Trotzdem beschloss sie zunächst, ihr Studium zu beenden und zudem nach Italien in den Urlaub zu fahren. Das zweite war später in Großbritannien, wo sie mit der Sprache nicht so vertraut war. Dort ermutigte ein Kollege sie, dennoch in Englisch zu schreiben. Daraufhin hat sie sich die englische Literatur quasi erarbeitet, in dem sie in den Sonntagszeitungen gelesen hat, was es gibt, und angefangen hat, dies zu lesen und dann auch zu schreiben. Sie ist auch ein Beispiel für jemand, die sich sehr bewusst darum bemüht hat, sich zu integrieren.

Als sie dort Kinder bekam, merkte sie, dass man Kultur eigentlich von klein auf lernt und es etwas anderes ist, wenn man sich diese erst als Erwachsene aneignet. Als der Krieg schließlich vorbei war, stellte sie sich die Frage, ob sie bleiben oder gehen sollte – und das, nachdem sie sich so sehr bemüht hat, sich dort zu integrieren und anerkannt war, Freunde und Familie hatte … aber sie ging letztendlich zurück.  Dieses gründliche immer wieder Überdenken hat mich sehr beeindruckt.

Welche im Exil verfasste Arbeit hat Sie am meisten beeindruckt und warum?

Das ist schwer, weil schon viele Arbeiten vorher entstanden waren. Vielleicht Martina Wieds Das Krähennest. Darin geht es um eine französische Dozentin der Kunstgeschichte, die im Zweiten Krieg eine Stelle als Sprachlehrerin in England antritt. Spannend ist allerdings auch Hermynia zur Mühlens Unsere Töchter, die Nazinen, das sie schrieb, als sie nach Wien ins Exil ging. Das Werk ist wichtig, weil den Exilantinnen – nicht nur in Wien, auch in England – immer geraten wurde, keine politische Literatur zu schreiben, sondern seichte Unterhaltungsliteratur. Das machte Hermynia zur Mühlen so wütend, dass sie diesen Roman in drei Wochen schrieb. Aber sie hatte auch Schwierigkeiten ihn zu veröffentlichen. Er war nur kurz im Saarland erhältlich, dann erst viele Jahre später in der DDR und inzwischen als Teil ihrer Werkausgabe. Als Teil dieser ‚Unterhaltungsliteratur’ entstand in England beispielsweise Ruth Feiners Drei Tassen Kaffee. Es ist Geschichte dreier Frauen in London um 1935, in der die politische Situation in Deutschland nur angedeutet wird.

Was charakterisierte die Schriftstellerinnen, die nach Großbritannien ins Exil gingen?

Sie waren komplett unterschiedlich, das heißt, manche sind alleine gegangen, manche mit einem Partner. Es waren Lesben wie auch behinderte Frauen dabei. Es waren Frauen, die bereits Englisch sprachen oder auch nicht. Es waren Frauen darunter, die eine Arbeitsgenehmigung hatten. Auffällig war, dass die Mehrheit der Schriftstellerinnen aus Österreich kam, aber warum das so war, dazu konnte ich keine Informationen finden.

Wie würden Sie sagen, unterscheidet sich Großbritannien als Exilland von anderen Ländern, die Emigranten zum Ziel hatten?

Gabriele Tergit war beispielsweise in Palästina und in England. Sie schreibt, sie hat es in Palästina nicht ausgehalten und war froh, als sie nach London kam, wieder europäisches Kulturleben um sich zu haben. Die Aufbauarbeit in Palästina war nicht ihres. Dort man brauchte Leute, die das Land auch handwerklich und landwirtschaftlich aufbauen konnten. Es war auch schwierig aufgrund der Sprache und der Situation mit den Palästinensern.

Ein wichtiger Unterschied war, dass die Exilantinnen, wenn sie einmal in Großbritannien waren, nicht Gefahr liefen, nach Deutschland ausgeliefert zu werden, wie beispielsweise von Frankreich aus.

Welche Abschnitte waren besonders schwer zu recherchieren? 

Es war schwer, Details über die Zusammenschlüsse wie dem Freie Deutsche Kulturbund, dem Austria Centre, Czech Refugee Trust Fund oder den PEN Clubs zu finden, zum Beispiel: Wer war Mitglied? Es war nicht klar, wie wichtig diese Gruppen für die einzelnen waren. Es hat darüber natürlich Kontakte gegeben. Hilde Spiel und ihr Mann meinten später beispielsweise, dass ihnen ab einem Zeitpunkt der englische PEN Club wichtiger war, weil sie sich nicht mehr so mit dem Exilantenleben beschäftigten. Für andere war es wohl wichtig. Aber Informationen darüber blieben sporadisch, weil es keine Übersichtslisten gab, wie ich sie mir gewünscht hätte. Es gab auch nichts zu den Netzwerken innerhalb der Gruppen und in welcher Beziehung die Mitglieder zueinander standen.

Gibt es Dinge, die Sie im Buch gerne noch untergebracht hätte, dies aber aus verschiedenen Gründen nicht konnten?

Kurz vor Abschluss des Buches habe ich gehört, dass eine Biografie von Ilse Barker erscheinen sollte. Ich hätte gerne mehr über sie erfahren, aber zu dem Zeitpunkt meines Buches war sie noch nicht erhältlich. Sie veröffentlichte ihre Arbeiten erfolgreich unter dem Pseudonym Katherine Talbot und verkehrte in Künstlerkreisen.

Werden Sie sich in weiteren Büchern mit Großbritannien als Exilland beschäftigen?

Derzeit bereite ich eine Biografie über Hertha von Gebhardt vor. Sie war eine Freundin von Gabriele Tergit und Christa Winsloe, die die Grundlage des Films Mädchen in Uniform schuf.

Bezüglich Großbritanniens würde ich gerne noch die Rolle von Maria Huxley im Zusammenhang mit Sybille Bedford und Charlotte Wolff herausarbeiten. Sie hat die beiden Exilantinnen sehr unterstützt, damit sie in England Fuß fassen konnten.

Zur Autorin: Doris Hermanns ist Autorin, Publizistin, Redakteurin und Übersetzerin. 2012 verfasste sie die Biografie „Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe“. Sie ist zudem als Herausgeberin tätig, dazu gehören die Feuilletonsammlung „Auto-Biographie und andere Feuilletons“ von Christa Winsloe, „Sixty to Go. Roman vom Widerstand an der Riviera“, den sie auch übersetzt hat, von Ruth Landshoff-Yorck sowie der Roman „Christian Voß und die Sterne“ von Hertha von Gebhardt.

Doris Hermanns: Und alles ist hier fremd. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil, AvivA Verlag 2022, Hardcover m. Leseband, 240 Seiten, m. Abb., 22 €, Bestellen?

Lesung und Gespräch mit der Autorin, 7. August 2022, 15 Uhr, BEGiNE Berlin