Die Ermordung von Walter Rathenau und die antisemitische Verschwörungsideologie

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Bundesarchiv, Bild 183-L40010 / CC-BY-SA 3.0

Die Mörder von Walter Rathenau sahen in ihm einen der „Weisen von Zion“. Auch schon vor genau hundert Jahren hatten antisemitische Verschwörungsideologien mörderische Wirkungen. Es geht bei judenfeindlichen Konspirationsvorstellungen nie nur um harmlose Spinnereien.

Von Armin Pfahl-Traughber

Welche Auswirkungen haben Konspirationsvorstellungen in der politischen Praxis? Können sie auch gewalttätige Ausschreitungen oder politische Morde motivieren? Dafür spricht gegenwärtig der Blick auf Lone Actor-Terroristen, die mit dem „Großen Austausch“-Diskurs reale Massaker an Minderheitenangehörigen durchführen wollten. Es gibt dafür aber auch ein historisches Beispiel: die Ermordung von Walter Rathenau, die genau heute vor hundert Jahren am 24. Juni 1922 erfolgte. Die Täter hielten ihn für einen der „Weisen von Zion“. Demnach wurde in ihm ein konspirativer Akteur einer jüdischen Verschwörung gesehen. Hier artikulierte sich bereits die blutige Dimension von antisemitischen Konspirationsvorstellungen, was seinerzeit nur am Rande ein öffentliches Thema war. Denn nicht nur die Außenpolitik von Rathenau motivierte diese Tat, in ihr kündigte sich auch der eliminatorische Antisemitismus der Jahre nach 1933 bzw. 1941 an. Diese Deutung bedarf einer Erläuterung, die den Blick auf die Tat und die Täter voraussetzt:

Rathenau wollte das Reichsaußenministerium an jenem Tag aufsuchen und fuhr dorthin in einem offenen Wagen. Trotz Attentatswarnungen hatte er auf Polizeischutz verzichtet, was wohl auch den Tätern bekannt war. Diese überholten ihn vor einer Kreuzung mit ihrem Wagen. Einer der Attentäter schoss mit einer Maschinenpistole auf Rathenau und traf ihn fünfmal mit tödlicher Wirkung. Der andere Attentäter warf eine Handgranate. Direkt danach flohen die Beteiligten. Es handelte sich um Erwin Kern, Hermann Fischer und Ernst Werner Techow. Letzterer war der Fahrer des Wagens. Fischer beging später Selbstmord, zuvor war Kern durch eine Polizeikugel getötet worden. Beide Attentäter handelten nicht allein, waren sie doch in eine Organisation eingebunden. Darüber hinaus hatten sie diverse Helfer, wozu auch Ernst von Salomon zählte. Er sollte später – auch in der Nachkriegszeit – noch als Schriftsteller berühmt werden. Die gemeinten Akteure gehörten der „Organisation Consul“ (O.C.) an und die mörderische Tat muss in deren strategischem Zusammenhang gesehen werden.

Bei der O.C. handelte es sich um eine paramilitärische Organisation, die von dem Kapitän Hermann Ehrhardt gegründet worden war, um die 5.000 Mann und über eine geheimbündlerische Struktur verfügte. Insofern handelt es sich nicht um eine kleine terroristische Gruppe, gleichwohl agierte man wie eine solche mit politischen Morden. Dazu gehörte der 1921 erfolgte Anschlag auf Matthias Erzberger, ein bekannter Politiker des Zentrums. Heute ist die strategische Absicht derartiger Gewalthandlungen bekannt: Denn damit sollten Aufstandsversuche der politischen Linken provoziert werden, woraufhin die Reichwehr zu Repressionsmaßnahmen gegen diese übergehen würde. Die rechtsextremistischen Republikfeinde würden sich dann auf deren Seite stellen, was dann letztendlich eine autoritäre Diktatur von rechts zur Folge gehabt hätte. Es gab demnach ein entwickeltes Kalkül, das die Attentäter so nicht kennen mussten, aber deren Hintermänner sehr wohl. Es handelte sich auch nicht um eine isolierte Gruppe.

Für die konkreten Attentäter kam als Motiv beim Rathenau-Mord noch die antisemitische Verschwörungsideologie hinzu. Ganz allgemein galt der Außenminister als Feindbild für Rechtsextremisten schlechthin, er wurde als verräterischer „Erfüllungspolitiker“ geschmäht und als jüdischer Unternehmer wahrgenommen. Die Attentäter setzten eine kursierende Hassparole in eine mörderische Tat um: „Knallt ab den Walter Rathenau, die gottverdammte Judensau“. In einem Roman schilderte der eben erwähnte Ernst von Salomon später die Vorbereitungen: „Sagt irgendetwas, dass die Leute verstehen, die gewohnt sind ihren Morgenblättern zu glauben. Sagt meinetwegen, er sei einer von den Weisen von Zion.“ Indessen muss das kein Beleg dafür sein, dass die Mörder nicht an die Verschwörungsvorstellung glaubten. Selbst wenn sie derartige Auffassungen nur instrumentalisierten, macht das deren Relevanz noch deutlich. In der antisemitischen Agitation galt Rathenau auch nach seinem Tod als „Weltkaiser“.

Im späteren Gerichtsurteil gegen die Helfershelfer wurde auch der mit den judenfeindlichen Verschwörungsvorstellungen bestehende Zusammenhang wahrgenommen: „Hinter den Mördern und Mordgehilfen hebt der fanatische Antisemitismus verantwortungslos sein verzerrtes Antlitz empor, der Antisemitismus, für den die Schmähschrift ‚Die Geheimnisse der Weisen von Zion‘ ein Beispiel ist, eine Schrift die Juden schmäht und Mordinstinkte in die unreifen Köpfe pflanzt.“ Die Attentäter gehörten auch dem „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ an, gleiches gilt für viele ihrer Helfershelfer. Dabei handelte es sich um die antisemitische Organisation, die vom Alldeutschen Verband mit gegründet wurde und die schärfste judenfeindliche Propaganda verbreitete. Und dann bekundete auch der Fahrer des Tatfahrzeugs bei der Verhandlung, der Attentäter Kern habe ihm berichtet, dass Rathenau einer der „300 Weisen von Zion“ gewesen sei und er auch die „Protokolle“ gelesen habe. Antisemitische Konspirationsvorstellungen sind nie nur bloße Spinnereien.

Bild oben: Walther Rathenau, 1921, Bundesarchiv, Bild 183-L40010 / CC-BY-SA 3.0

Literatur:

Brammer, Karl: Das politische Ergebnis des Rathenau-Prozesses, Berlin 1922, S. 14.

Lohalm, Uwe: Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutsch-völkischen Schutz und Trutzbundes. 1919-1923, Hamburg 1970, S. 231-234.

Pfahl-Traughber, Armin: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993, S. 60-62.

Sabrow, Martin: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt/M. 1999.

Salomon, Ernst von: Die Geächteten (1929), Reinbek 1962, S. 218.