Der alte Strohhut

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Gestern brachte mir der Junior einen alten Strohhut und hängte ihn im Garten an einen Baum. Er wusste, dass ich das Fundstück sofort erkennen würde. Es gehörte seinem Opa.

Von Anita Haviv-Horiner

Der unerwartete Anblick der abgewetzten Kopfbedeckung löste eine Welle von Erinnerungen an den Patriarchen des Haviv-Stammes in mir aus. Er war 1928 in Libyen als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie zur Welt gekommen. Die Eltern hatten eine Textilfabrik und ein großes Haus. Wie bei vielen orientalischen jüdischen Familien, war das Praktizieren der jüdischen Religion eine Selbstverständlichkeit, die keiner großen Gesten bedurfte.

Als in dem arabischen Land – als Reaktion auf die Gründung Israels – Pogrome gegen Juden ausbrachen, flüchtete die Familie. Sie hinterließ ihren gesamten Besitz in der Hafenstadt Benghasi, um sich in Sicherheit zu bringen. Sein Vater kam bei der Odyssee ums Leben, die Strapazen und die Aufregung überforderten sein Herz. Doch die Anderen schafften es auf das Schiff, das sie 1951 auf Umwegen in den jüdischen Staat brachte.

Im Sinne des Prinzips „Wir lieben die Einwanderung, nur die Einwandernden nicht“ – nahm Israel die Familie auf. Bei Ankunft wurden sie in eine Asbest-Baracke in einem Auffanglager in Netanya untergebracht und mit wenig Respekt behandelt. Die Hebräisierung der Vornamen wurde damals allen Einwandernden abgefordert, so verwandelte sich Chlafu in Yigal. Zum von den Staatsgründern bezweckten Schmelztiegel-Effekt gehörte natürlich auch der Armeedienst, den er drei Jahre als Koch leistete. Es war eine schöne Zeit für ihn. Dort lernte er die Kunst, gut schmeckende Gerichte aus billigen Produkten zu kreieren.

Nach der Entlassung aus der IDF traf er Esther, deren Familie aus Tripolis geflüchtet war. Bald heirateten sie und ließen sich in Netanya nieder. Sie bekamen vier Söhne und eine Tochter. Er war ihnen ein strenger, manchmal auch aufbrausender Vater. Nie werde ich vergessen, wie er am Grab seines tödlich verunglückten Sohnes Shalom tränenüberströmt und in – sich selbst gegenüber unerbittlicher – Aufrichtigkeit um Verzeihung bat.

Oft wetterte er gegen die Benachteiligung orientalischer Juden durch das aschkenasische Establishment. Dennoch beeinträchtige sein Unmut darüber nie seine Liebe zu Israel. Stets sah er in der Existenz dieses Landes ein lebensrettendes Wunder für das jüdische Volk, Libyen wollte er nie wieder sehen.

„Lernen ist der Schlüssel zum Erfolg“ lautete das Leitmotiv für die Erziehung seiner Kinder. Den Drang nach Bildung lebte er ihnen vor. Obwohl er keinen formalen Schulabschluss hatte, beeindruckte er durch sein autodidaktisch erworbenes Wissen. Die schwere physische Arbeit am Bau plagte zwar seinen Körper, doch seinen Wissendurst konnte sie nie stoppen. Die in seiner Jugend erworbene Vertrautheit mit der Thora vertiefte er zeitlebens. Sein Interesse an der Politik bewog ihn, Zeitungen zu verschlingen. Er war ein wandelndes Lexikon der Gärtnerei und der Heilpflanzen.

Die entspannte Einstellung zur Religion bewahrte er zeitlebens. Er aß nur koscher, den Schabbat hielt er im Großen und Ganzen. Doch der Fernseher lief auch am Heiligen Ruhetag.

Als Eli mich seinen Eltern vorstellte, nahmen sie mich liebevoll auf. Zu dem Patriarchen entwickelte ich sofort eine innige Beziehung, die bis zu seinem Tod nie abgebrochen ist. Seiner Geschichte und seinen Geschichten lauschte ich nur allzu gerne. Die Fragen mit denen ich ihn löcherte, beantwortete er geduldig und präzise.

Obwohl er viel Leid erfahren hat, war er ein zufriedener und lebenslustiger Mensch. Seine Enkelkinder liebte er innig und verwöhnte sie nach Strich und Faden.

Das Meer, das Fischen, die Synagoge waren ihm das Paradies auf Erden. Sein Königreich war sein Garten, den er hegte und pflegte.

Jedes Mal wenn ich in meinem Garten eine Blume pflanze, denke ich an Chlafu/Yigal. Womit wir wieder bei dem alten Strohhut wären.