Tauwetter auf dem Sofa?

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Vor wenigen Tagen traf sich Verteidigungsminister Benny Gantz mit Mahmoud Abbas in seinem Privathaus. Es waren die ersten Gespräche des Palästinenserpräsidenten mit einem hochrangigen Regierungsmitglied in Israel seit zehn Jahren. Offensichtlich wollen beide Seiten wieder enger zusammenrücken.

Von Ralf Balke

Gutes Stimmung ist wichtig, hatte Benny Gantz sich wohl gedacht. Also lud Israels Verteidigungsminister den greisen Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas direkt zu sich in sein Privathaus ins nur wenige Kilometer östlich von Tel Aviv gelegene Rosh Ha’Ayin ein. Was es zu Essen und zu Trinken gab, darüber wird genauso geschwiegen wie über die konkreten Inhalte der zweieinhalbstündigen Zusammenkunft, die teilweise nur unter vier Augen auf dem heimischen Sofa stattfand. Denn auf Twitter ließ er lediglich Folgendes verkünden: „Wir erörterten die Umsetzung wirtschaftlicher und ziviler Maßnahmen und betonten, wie wichtig es ist, die Sicherheitskoordinierung zu vertiefen und Terror und Gewalt zu verhindern – zum Wohle von Israelis und Palästinensern.“ Generell wird diesem Treffen aber größere Bedeutung zugesprochen. Zum einen ist es die zweite Begegnung der beiden Politiker, seitdem Benjamin Netanyahu nicht mehr Ministerpräsident ist. Und es ist die erste von Mahmoud Abbas mit einem hochrangigen Regierungsmitglied in Israel seit rund zehn Jahren – wenn man von seiner Anwesenheit anlässlich der Beerdigung von Schimon Peres 2016 einmal absieht.

Unmittelbar nach dem Treffen erklärte Israels Regierung sich bereit, das Aufenthaltsrecht von 9.500 Palästinensern im Westjordanland sowie im Gazastreifen anzuerkennen sowie mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Darüber hinaus will Jerusalem der ewig klammen Palästinensischen Autonomiebehörde rund 500 Millionen Schekel – umgerechnet etwa 138 Millionen Euro, überweisen – allesamt Steuern, die Israel für die Palästinenser erhoben hat. Laut Gantz gehören alle diese Schritte zu den „vertrauensbildenden Maßnahmen“, mit denen man eine bessere Zusammenarbeit voranbringen möchte. Doch Abbas reist nicht von Ramallah in das Privathaus des israelischen Verteidigungsminister, nur um ein paar tausend Aufenthaltstitel zu klären und Gelder einzustreichen, die den Palästinensern ohnehin zugestanden hätten. Und die Tatsache, dass Israels militärischer Verbindungsmann zur Autonomiebehörde, Generalmajor Ghassan Alian – übrigens ein Druse und einer der hochrangigsten Vertreter dieser Minderheit beim israelischen Militär – ebenso mit am Tisch in Rosh Ha’Ayin saß wie auch Hussein al-Sheich, zuständig für die Kontakte Ramallahs zu den Israelis, sowie Majed Faraj, Chef des palästinensischen Nachrichtendienstes, beweist, warum wohl ganz andere Themen oben auf der Agenda standen.

Offensichtlich drehte sich alles um Fragen der Sicherheit. Denn in den vergangenen Wochen hatten die israelischen Behörden eine massive Zunahme terroristischer Aktivitäten verzeichnet. Immer wieder war es zu Attacken auf Israelis gekommen, oftmals mit Messern oder mit Fahrzeugen. Umgekehrt wollte die palästinensische Delegation die Gewalt der Siedler vor allem gegen palästinensische Bauern im Westjordanland zur Sprache bringen. Auch hier hatten sich die Vorfälle gehäuft. Beide Seiten haben also ein Interesse, wieder verstärkt ins Gespräch zu kommen und die Zusammenarbeit auf sicherheitspolitischem Gebiet zu intensivieren. Genau diese hatte Abbas im Mai 2020 aber auf Eis gelegt – zumindest offiziell. Die Pläne Netanyahus, große Teile des Westjordanlandes dem Staatsgebiet Israels einzuverleiben, hatten ihn dazu veranlasst, alle Kooperationen einzustellen. Als sich die Annektionspläne dann in Luft aufgelöst hatten, nahm man nach sechs Monaten den Faden ganz vorsichtig wieder auf. „Bei dem Treffen ging es um das Ausloten eines Rahmens, der zu einer politischen Lösung führt… sowie um die angespannte Lage vor Ort aufgrund der Übergriffe der Siedler“, twitterte daher auch  Hussein al-Sheich.

Vor diesem Hintergrund sind denn auch die Gespräche zwischen Gantz und Abbas zu bewerten. Selbstverständlich konnte der Verteidigungsminister nicht ohne Absprache mit Naftali Bennett den Palästinenserpräsidenten einfach so zu sich nachhause einladen. Der Regierungschef persönlich hätte sich wohl niemals gemeinsam mit Abbas sehen lassen – seine Anhänger würden ihm das wohl kaum verzeihen. Deshalb erledigte Gantz diesen Job. Auch ging es Bennett wohl kaum um eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zwischen Israelis und Palästinensern, der für ihn ohnehin nicht auf der Tagesordnung steht. Vielmehr soll eine Politik der vergangenen zehn bis zwölf Jahre korrigiert werden, in dem man für mehr Stabilität in Ramallah sorgt. Denn der damalige Ministerpräsident Netanyahu hatte sehr viel Energie dafür verwendet, die Position von Abbas zu unterminieren und den Konflikt mit den Palästinensern weitestgehend auszublenden. Das sollte sich als kontraproduktiv erweisen.

Gantz und Bennett dagegen sehen mehr Vorteile in einer funktionierenden Autonomiebehörde – auch wenn man weiß, dass die Tage des bald 87-jährigen Mahmoud Abbas gezählt sein dürften. Doch kann sich Israel einen Kollaps der Autonomiebehörde oder einen ernsthaften Konflikt um die Nachfolge im Amt des Palästinenserpräsidenten kaum wünschen. So hatte der Verteidigungsminister erst im August betont, dass es zu dem Regime von Abbas trotz aller Defizite keine Alternative gäbe. Ansonsten würde die Hamas auch in Ramallah schnell das Ruder übernehmen – schließlich erfreut sich die alte Garde an der Spitze der Autonomiebehörde aufgrund ihrer Inkompetenz und Korruption nicht gerade großer Beliebtheit im Westjordanland, so dass in Umfragen vor allem die Islamisten punkten können. „Wenn die Palästinensische Autonomiebehörde stärker ist, wird die Hamas schwächer sein. Wenn die Palästinensische Autonomiebehörde besser in der Lage ist, die Ordnung durchzusetzen, wird es mehr Sicherheit geben, und wir müssen weniger dafür unternehmen“, betonte deshalb Gantz.

Doch eine reibungslose Kooperation ist nicht nur im Interesse Israels. Auch die Autonomiebehörde sieht sich in einer Auseinandersetzung mit der Hamas oder dem Islamischen Jihad, weshalb Maßnahmen gegen die Islamisten ebenfalls ihrem Schutz dienen. Hinter vorgehaltener Hand erklären hochrangige Funktionäre immer wieder, dass ansonsten in Ramallah längst die Hamas das Sagen hätte. „Die Sicherheitszusammenarbeit ist heilig und wird fortgesetzt, egal ob wir in der Politik übereinstimmen oder nicht“, hatte Abbas es 2014 selbst einmal in einem Moment seltener Offenheit betont. Genau das aber bringt die Autonomiebehörde in eine Zwickmühle. Denn sie setzt sich dadurch dem Vorwurf aus, als eine Art „Subunternehmer“ oder Kollaborateur Israels zu agieren. Entsprechend hatte der Hashtag #SecurityCoordinationIsTreason, also „Sicherheitszusammenarbeit ist Verrat“, nach der Begegnung zwischen Gantz und Abbas Konjunktur. Die Hamas erklärte, das Treffen „diene nur dem Feind“ und beweise „einmal mehr den großen Niedergang der Palästinensische Autonomiebehörde“. Und der Islamische Jihad deutete die jüngsten Verhaftungen seiner Aktivisten im Westjordanland als Resultat der Gespräche in Rosh Ha’Ayin.

In Ramallah übt man sich daher im Spagat. Auf der einen Seite gehöre es zur Politik der Autonomiebehörde, „Gewalt und Terror“ abzulehnen, wie es einer ihrer hochrangigen Beamten nach dem Treffen von Gantz und Abbas auf den Punkt brachte. Andererseits aber würde der Palästinenserpräsident weiterhin den „friedlichen Volkswiderstand“ gegen Israel unterstützen – was immer damit gemeint sein könnte. Auch beschränkten sich diese Kooperationen nicht nur auf Israel. Mit den Vereinigten Staaten würde man eine ähnliche Sicherheitspartnerschaft pflegen. Zudem sind für die Palästinenser solche Formen der Zusammenarbeit eines der wenigen Werkzeuge, um Druck auf Jerusalem oder Washington auszuüben und Konzessionen zu erhalten.

Aber auch Gantz geriet in Israel aufgrund seiner Begegnung mit Abbas in die Kritik. „Die Sorge um die Sicherheit der israelischen Bürger im Kampf gegen die Hamas, ist der Hauptgrund, warum ich mich kürzlich mit Abbas getroffen habe“, erklärte er gegenüber seiner eigenen Partei. „Und das ist auch der Grund, warum ich mich weiterhin mit ihm und anderen treffen werde, wenn Gespräche mit ihnen der Stabilität und unserer Sicherheit dienen.“ Denn aus den Reihen der Koalition als auch aus der Opposition gab es Stimmen, die den Verteidigungsminister dafür attackierten, Abbas und der Autonomiebehörde auf diese Weise wieder eine größere Rolle zuzuschreiben. Eine solche scheint Gantz aber auch persönlich verleihen zu wollen. Denn wenige Tage nach dem Plausch auf dem Sofa mit dem Palästinenserpräsidenten reiste er nach Amman, um sich dort mit König Abdullah über die Lage in der Region auszutauschen – auch das nicht ohne Bedeutung, denn die jordanisch-israelischen Beziehungen hatten sich in den vergangenen Jahren aus einer Vielzahl von Gründen abgekühlt. Dabei kamen selbstverständlich die Situation im Westjordanland sowie die Begegnung mit Abbas zur Sprache. Der Monarch König bekräftigte seinerseits die Notwendigkeit, die Ruhe in den palästinensischen Gebieten aufrechtzuerhalten „und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Voraussetzungen für einen gerechten und umfassenden Frieden auf der Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung zu schaffen“. Übersetzt heißt das, dass Jordanien aus eigenem Interesse alles unterstützt, was dort der Stabilität dient – und dazu gehört eben auch die Stärkung und nicht die Schwächung der Autonomiebehörde.

Umgekehrt verwundert es etwas, dass Gantz als Verteidigungsminister Termine wie den Besuch bei König Abdullah in Amman wahrnimmt, obwohl diese eigentlich eher in das Ressort des Außenministers fallen. Und da fallen einem gleich die Worte ein, die er anlässlich der ersten Begegnung mit Abbas im August gesagt haben soll. Zum einen war es laut Medienberichten ein Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung. Zum anderen ist folgendes Zitat von Gantz überliefert: „Ich möchte der neue Yitzhak Rabin werden. In dieser Regierung gibt es jedoch Grenzen.“ Zwar beeilte sich sein Büro, diese Äußerung ein wenig zu relativieren. Aber offensichtlich scheint sich da jemand um mehr Profil im politischen Wettbewerb zu kümmern. Und dazu gehört eben auch der Plausch mit einem greisen Palästinenserpräsident auf dem heimischen Sofa.

Bild oben: Benny Gantz, (c) Mark Neyman / Government Press Office (Israel) / CC BY-SA 3.0; Mahmud Abbas, (c) Gobierno de Chile, CC BY 3.0 cl