Die Entwicklung eines ehemaligen Schin Bet-Chefs

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Ami Ajalon, der ehemalige Schin Bet-Chef, hat mit „Im eigenen Feuer“ seine politischen Memoiren vorgelegt. Er beschreibt darin seine persönlich-politische Entwicklung, die ihn zum Kritiker der israelischen Politik machte. Nicht alle seine Einschätzungen sind nachvollziehbar, gleichwohl lohnt das Interesse dafür.

Von Armin Pfahl-Traughber

Die Bezeichnung „Friendly Fire“ steht für eine kriegerische Situation, wobei militärische Einheiten von den eigenen Truppen aus Versehen beschossen werden. Ami Ajalon hat auch sein Buch in englischer Sprache so betitelt. Die deutsche Ausgabe erschien unter einem ähnlichen Titel „Im eigenen Feuer“ und dann mit folgenden Untertiteln „Wie Israel sich selbst zum Feind wurde und die jüdische Demokratie trotzdem gelingen kann. Erinnerungen eines Geheimdienstchefs“. Die letztgenannte Berufsbezeichnung ist darauf gemünzt, dass Ami Ajalon den israelischen Inlandsnachrichtendienst Schin Bet von 1996 bis 2002 leitete. 2002 gründete er die Friedensinitiative „People’s Voice“ – zusammen mit dem palästinensischen Philosophen Sari Nusseibeh. Damit hat man es mit einem hochrangigen israelischen Militär zu tun, welcher sich dann als politischer Aktivist ganz unmilitärisch gab. Er ist damit kein israelischer Einzelfall, wie etwa der bekannte Dokumentarfilm „The Gatekeeper“ auch anhand von anderen früheren Geheimdienstchefs mit kritischer Sicht veranschaulicht.

Bei dem Buch „Im eigenen Feuer“ irritieren die zwei Untertitel ein wenig: Geht es um eine politische Erörterung oder um persönliche Memoiren? Die Antwort auf diese Frage lautet: beides! Dominant sind aber Ajalons Erinnerungen, worin eben politische Reflexionen integriert wurden. Diese Ausrichtung des Buchs erklärt auch, warum zu der angesprochenen Problematik dann doch keine systematischen Reflexionen erfolgen. Sie sind eher Gegenstand bei der Lebensbeschreibung, die von Brüchen und Wandlungen geprägt ist. Genau darin besteht auch das Interesse an der Monographie. Gleichwohl verliert sie sich allzu häufig in autobiographischen Details, während die Erörterung politischer Fragen eben im Lichte persönlicher Wahrnehmungen erfolgt. Der Autor formuliert dabei Einwände gegen eine bestimmte Haltung, welche die Palästinenser-Politik der jeweiligen israelischen Regierungen aus seiner Sicht prägte. So bemerkt er: „Meine Aufgabe im Schabak war nicht, Terroristen zu töten, sondern Israel als freie Gesellschaft zu schützen“ (S. 193).

Eine gegenteilige Ausrichtung wirft der Autor dann der israelischen Politik vor. Bereits in der Einleitung formuliert er scharfe Kritik: „Wenn wir den Terror stoppen wollten, mussten wir aufhören, die Palästinenser als Erbfeinde zu betrachten und sie wie streunende Hunde zu behandeln. Diese Menschen strebten nationale Rechte an, wie wir sie hatten, und sie verdienten sie auch“ (S. 22). Als Botschaft sollte durch das Buch vermittelt werden, „dass Demokratien ihren beständigen Kampf gegen den Terror nur gewinnen können, wenn sie mit den Werten der Humanität, auf denen unsere Gesellschaften beruhen, gleichsam als ihren Schwertern und Schildern in die Schlacht ziehen“ (S. 35). Dafür wirbt Ajalon kontinuierlich in seiner Lebensbeschreibung, die entsprechend von seiner frühen Kindheit über seine Militärzeit bis zu seinem „People’s Voice“-Engagement reicht. Der Autor berichtet auch von seinen persönlichen Erfahrungen mit hohen israelischen Politikern, war er doch selbst zeitweise Kabinettsminister oder Marineoberbefehlshaber.

Gelegentlich macht es sich Ajalon aber mit seiner Kritik etwas zu einfach, würden doch Gerechtigkeitsideale die Hamas schwerlich beeindrucken. Bei ihm kommt auch Arafat zu gut weg, darf dessen Friedenswillen doch durchaus kritisch hinterfragt werden. Beeindruckend sind demgegenüber die Berichte über die Kooperation mit Sari. Sie verdeutlichen die Bereitschaft zu Dialog und Frieden eben auch auf palästinensischer Seite, wobei sie dort angesichts der Konfliktlage eher für Minderheitenpositionen stehen. Gewalt scheint immer mehr die Hoffnungslosigkeit zu kompensieren. Ajalon tritt vehement für die Zwei-Staaten-Lösung ein, wobei die Forderung mit dem Grenzstatus für Israel von 1967 ebenso wie mit dem für Palästinenser verbindlichen Rückkehrverzicht verbunden sein sollte. Doch findet eine solche Auffassung zwar nach wie vor theoretische Zustimmung, der praktischen Umsetzbarkeit wird aber geringe Wahrscheinlichkeit zugeschrieben. Darüber reflektiert Ajalon nicht systematisch, gleichwohl legt er eine interessante Lebensbeschreibung vor.

Ami Ajalon mit Anthony David, Im eigenen Feuer. Wie Israel sich selbst zum Feind wurde und die jüdische Demokratie trotzdem gelingen kann. Erinnerungen eines Geheimdienstchefs, Bonn 2021 (J. H. W. Dietz-Verlag), 359 S., Bestellen?